Ein Jahr vor ... und zwei zurück

In der Zeit, in der ich weg war, habe ich mir oft genug gewünscht, mir die Gedanken über unsere Verfolgung nicht alleine machen zu müssen. Nun bin ich, sind fast alle wieder da oder auf freiem Fuß und?

Nichts.

Fürjeden, und mittierweile auch für mich, scheint die eigene Auseinandersetzung am produktivsten wir hatten alle davor nicht allzuviel, miteinander zu tun, also warum jetzt? Mag sein, daß das die Realität ist, aber im Grunde ist es eine unpolitische und verantwortungslose Haltung. Zumindest nach Außen entsteht dadurch die Stimmung, als wäre alles vorbei und alle hätten wieder ihre Ruhe.

Es werden wieder drei Leute aus der Szene gesucht, und ich kann mir leider nicht nur abstrakt ausmalen, womit sie sich konfrontiert sehen. Zum Beispiel, ihnen könnte es etwas bringen, wenn ein wenig mehr von uns kommen würde. Auf einer Demo vor kurzem gab es einen Redebeitrag für die drei, an dessen Ende ihnen Hoffnung gewünscht wurde. Ich wünsche ihnen alles, nur nicht, daß sie die gesamte Zeit ihres Wegseins von der Hoffnung leben. Dieser Text macht hoffentlich deutlich, daß Hoffnung zu haben sicher nichts verwerfliches ist, schon gar nicht in der ersten Zeit, aber auf Dauer wird sie zum Klotz am Bein. Deshalb:

Kraft und Liebe.

Daß Menschen aus unseren nächsten Umfeld weg müssen, ist mittlerweile keine unvorstellbare Situation mehr für uns, der Gedanke daran sollte uns weder in Höhenflüge versetzen, noch sollten wir beim bloßen Gedanken daran zusammenbrechen.

Dieser Text ist ein Versuch, das wenige an Exilerfahrung und der Zeit danach zu vermitteln.

Über vieles, was von Nutzen, interessant, amüsant ist und ein wenig von dem Abenteuer hat, das viele mit Flucht verbinden werden, will ich weder hier noch an sonst einem Ort sprechen. Die Gründe liegen auf der Hand. Also wird nicht all zuviel übrig bleiben und im Vordergrund wird die persönliche Verarbeitung einer solchen Situation stehen.

Befasst habe ich mich bisweilen schon mit dem Gedanken, die Sachen packen zu müssen (Sachen packen ist gut, viel Zeit dafür blieb mit nicht: mit einer Hose, einem Hemd, ein paar Socken, ‘nen Batzen Geld, mit dem ich nicht so recht was anzufangen wußte und mit mir machte ich mich auf den Weg), als es dann wirklich soweit war, stimmten meine Vorstellung von mir, wie ich in einem solchen Fall reagieren würde, mit so ziemlich nichts mehr überein. Nichts von “locker hinnehmen, problemlos damit umgehen können. denn für eine korrekte Sache, hinter der ich stehe, muß ich eben auch so etwas in Kauf nehmen”. Vom einen Tag auf den anderen konnte ich nicht mehr teilnehmen an einem Loben, das mir gefiel und in dem ich einen Sinn sah. In den ersten Wochen war ich mir nicht bewußt, was da mit mir geschieht, geschweige denn, daß eben auch ich gesucht werde. Es hat eine Weile gedauert, bis auch ich die Situation ernst wahrgenommen habe. lch fühlte mich enorm nutzlos und es wäre mir um einiges lieber gewesen, bei der Soliarbeit zu helfen, anstatt mir helfen lassen zu müssen. In nur kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, meine Selbstständigkeit vollkommen verloren zu haben; ich halte mir nicht ausgesucht zu gehen, und ich sträubte mich dagegen, daß da an anderer Stelle faktisch eine Entscheidung über mein Leben gefällt wurde.

Aber egal, wie man die Sache drehte und wendete, ich war ersteinmal geparkt. lch wußte in der ersten Zeit nichts mit mir anzufangen, mein Tagesablauf bestand aus dreizehn Stunden Schlaf, nach einem aufregenden Tag erfüllt von Duschen, Frühstück, Spaziergängen, Essen, Kaffee trinken, Rauchen, Fernsehen. Lebens mitteleinkauf wurde zu meinem Ereignis des Tages. Von meiner Situation wußten nur wenige, ich hatte also nicht immer, wenn ICH es wollte, jemanden zum Reden, einen groben Teil der Auseinander setzungen führte ich zwangsläufig mit mir.

Sich nichts anmerken lassen. In dieser Stimmung habe ich einige Seiten von mir kennengelernt, von denen ich nicht gerade sagen würde, daß sie es wert sind, entdeckt zu werden. lch hatte Lethar giephasen, konnte stundenlang auf einen Fleck starren, ohne mich zu bewegen. lch war eifersüchtig auf alle, die ihr zu Hause sein konntet, eure Arbeit machen wie immer, mit Freunden reden, und nicht alleine wart mit eurer Trauer und wenig stens etwas tun konntet, um die Hilflosigkeit nicht allzu stark zu spüren. Meine Interventionsmöglichkeiten waren stark eingeschränkt und im Nachhinein merke ich, daß ich die wenigen, die ich hatte, noch nicht einmal genutzt habe, aus den verschiedensten Gründen: zum einen, weil ich mit der Sache anfangs nicht bewußt genug umgegangen bin, d.h. ich wußte mich in die Situation nicht einzuordnen, zum anderen später erst erschien es mir eher zwecklos, mich zu Wort zu melden, denn in vielen Punkten war ich zu sehr außen vor, als daß ich es für hilfreich und sinnvoll gehalten hätte, mich zu äußern. lch glaube, daraus gelernt zu haben und weit., da ich noch mals in einer solchen Situation bewußter mit mir und den Sachen umgehen werde. Selbst auf stinknormale Leute, die die Straßen entlangpromenierten und eigentlich bullshit redeten, war ich eifersüchtig, und verwondert, daß man überhaupt über die alltäglichsten, unwichtigen und doch wichtigen Kleinigkeiten klönen konnte ich konnte es nicht mehr, meine Gedanken drehten sich größtenteils um mich, um die Leute im Knast und die auf der Flucht. Dieser Neid auf ein solch langweiliges Leben veränderte sich im Laufe der Zeit in Abscheu gegenüber Leuten, die meiner Ansicht nach ihr Leben im Nichtstun vertrödelten der Grund für diese Empfindungen, die ansich ungerecht sind, liegen glaube ich daran, daß ich daß. alles Entscheidende nicht tun konnte: Entscheidungen über mein Leben selber treffen zu können. In dieser Logik paßt demnach auch die Überlegung, mich zu stellen, die ich in dieser Zeit hatte. Den Zeitpunkt hätte immerhin ich bestimmt. Geistig lebte ich in Berlin und vermißte die unmöglichsten Dinge, ich hatte eine Wut im Bauch, mit der ich nicht wußte, wohin.

Die ersten Wochen hatte ich eigentlich nur den Wunsch, schnell zurückzukommen und so zu tun, als wäre nix passiert, einfach dort weiterzumachen, wo ich aufgehört hatte die Schallgrenze dessen, was ich an Verurteilung akzeptieren würde, war zu dieser Zeit eher hoch, ich hätte mich wohl mit allem abgefunden außer einem lebenslänglich. Ein Leben, wie es sich zu dieser Zeit für mich gestaltete, schien mir zwecklos. Ich lechzte nach jeder Nachricht, aber es bewegte sich eine lange Zeit absolut nichts. Dieses Gefühl in der Schwebe war das Unerträglichste an der ganzen Situation mit Fakten konnte ich mich auseinander setzen, aber nicht mit Ungewißheiten. Die Vorstellung, lebenslang in den Knast zu müssen, war mir unvorstellbar und in der Auseinandersetzung mit der Situation macht man sich die unglaublichsten Milchmädchenrechnungen, zählt Jahre, zieht ab, überlegt sich, was man eventuell noch akzeptieren würde, was nicht mehr. Die Vor und Nachteile des Bleibens oder Sich-stellens habe ich zu der Zeit zigmal abgewogen, ein Punkt, der mich das Sichstellen überhaupt in Erwägung hat ziehen lassen war, daß nach der konkreten Anzahl von Jahren die Sache zu mindest ausgestanden gewesen wäre, im Exil gibt es diese Gewißheit nicht.

Wie ich es geschafft habe, diesen toten Zustand zu überwinden und mich mit meiner Situation abzufinden, kann ich nicht genau nachvollziehen; neben der günstigen Lösung einiger Umstände (z.B. Leute kennenzulernen, Arbeit zu haben) denke ich, daß jede/r früher oder später an einen Punkt kommt, an dem man sich mit einer Lage abgibt oder aber eine andere Lösung sucht. Einen Arbeitsplatz zu haben, war in den ersten Wochen mehr Therapie als alles andere. Zum ersten Mal war es mir möglich, auch mal über einen längeren Zeitraum an etwas anderes zu denken, als an meine Situation.

so langsam, habe ich wieder gelernt, für mich die Verantwortung zu übernehmen und nach Dingen zu suchen, die mir Spaß machen und etwas bringen, anstatt ständig nach Gründen zu suchen, warum es für mich absolut unmöglich ist, etwas aufbauen zu können. Um ein anderes Leben anfangen zu können, war es für mich notwendig, ein Stück meines alten Lebens abzuschütteln. Eine lange Zeit über Hatte ich hintergründig ein schlechtes Gewissen,- wenn ich mich dabei ertappte, mal fröhlich zu sein, über Dinge zu lachen, die meine Freundlnnen und Familie nicht mit mir teilen konnten oder mich dabei ertappte, einen ganzen Tag nicht an Berlin gedacht zu haben; oft hatte ich das Gefühl, nur zu nehmen und den Menschen, die mir viel bedeuteten, nichts zurückzugeben.

So langsam wurde mir klar, daß ich mich nicht etwa ablöse, um nicht mehr daran zu denken, sondern vielmehr, um alles andere in Erinnerung haben zu können, nicht geplagt zu sein von Neid und Heimweh, sondern zu schätzen, was ich mit den Leuten hier geteilt habe, mein Leben jetzt aber mit anderen Menschen und einer anderen Realität zu teilen. Um der Unbestimmtheit der Dauer meiner Lage etwas entgegenzusetzen, begann ich, mir selber Zeitpläne zu machen. Ich denke, das war einer der entscheidenden Punkte, die mich das haben aushalten lassen und es mir im Endeffekt ermöglicht haben, eine Alternative zu meinem “alten Leben” aufbauen zu können.

Bis zum Prozessende - damals noch für April, Mai vorgesehen - nahm ich mir vor, die Gedanken an Berlin nicht mehr zu meinem Hauptthema zu machen und mich stattdessen auf das zu konzentrieren, was mich umgab. So wie es oft sinnvoll ist, sich Zwischenziele zu setzen, verhält es sich auch in diesem Fall, das gesamte Ausmaß eines Projektes im Kopf zu haben, lähmt viel mehr, als es einen vorwärtsbringt. Zu einem Teil war es so, daß ich dieses Thema versucht habe zu verdringen an viele unangenehme Situationen erinnere ich mich auch tatsächlich nicht mehr, ansonsten zerbricht man daran. Diese Zeit war auch sicher keine konstant gute Phase, obgleich sie die beste war, die ich hatte; es gibt immer Tage, an denen man schlechte Laune hat und so auch in dem Fall, plötzlich schießt einem eine Szene durch den Kopf und der Tag ist im großen und ganzen dahin. Mich in so einem Fall unter Kontrolle zu haben, war schwer.

Außerdem blieben nach wie vor die Überlegungen, was wohl im April sein wird - es war mir zwar mittlerweile möglich, mir mein Leben auch anders vorzustellen, doch hätte ich doch sicher einen Einbruch bekommen, wenn herausgekommen wäre, daß ich tatsächlich nicht zurückkommen könne, die anderen Iebenslänglich im Knast gesessen hätten. Mittlerweile hatte ich mich auch davon verabschiedet, Milchmädchenrechnungen aufzustellen, d.h.. auszurechnen, wieviele Jahre mit soundsoviel Vierteln Bewährung etc. gerade noch zu vertreten seien. Daß ich mir Monate davor solche Gedanken gemacht habe, liegt wohl daran, daß man zumindest subjektiv das Gefühl hat, es etwas greifbarer und damit überschaubarer für einen zu machen, indem man mit den Zahlen hantiert. lch hatte lediglich noch den Wunsch, entweder mehr oder weniger unversehrt wegzukommen, also maximal -mit einer Bewährungsstrafe, oder aber mit einer derart hohen Knaststrafe rechnen zu müssen, daß, ich gar nicht erst die Gelegenheit gehabt hätte, abzuwägen, ob es Sinn macht mich zu stellen.

Bei einer Knaststrafe von z.B. vier Jahre wäre es mir sicherlich nicht leicht gefallen, eine Entscheidung zu treffen. Hätte ich mich in dem Fall gestellt, hätte ich es in jedem miesen Moment im Knast garantiert bereut, andersherum hätte ich mir wahrscheinlich in schlechten Zeiten, die Tage, die ich schon abgegessen hätte, wenn... einzeln vorgerechnet.

Die plötzliche Nachricht, daß ich zurückkommen kann, traf mich darum auch dementsprechend unverhofft. Einer der ersten Gedanken nach der Freude war, daß ich doch nicht schon wieder alles stehen- und liegenlassen kann... lch wollte die Sachen, die ich begonnen hatte, zu Ende bringen. lch durchlief’ schon wieder eine Phase in der Schwebe, so wie es sich am Anfang meiner Exilzeit darstellte, nur versuchte ‘eh diesmal einigermaßen in Ruhe die Zelte abzubauen, aber unweigerlich baute ich sie in Gedanken in Berlin wieder auf. Natürlich war mir klar, daß ich wiederkommen würde - selbst wenn ich mich dazu entschieden hätte, wegbleiben zu wollen, wäre ich zumindest gekommen, um letzten Endes SELBST die Entscheidung zu treffen, wieder zu gehen; schließlich bin ich nicht freiwillig gegangen, und alleine, wenn es nur eine eher ‘formale’ Entscheidung gewesen wäre, begannen die Muffensausen, was mich da nach einem Jahr erwarten würde. Noch ein halbes Jahr davor hatte ich mir nichts lieber gewünscht, als daß dieser Fall einträte, aber in der Zwischenzeit hat sich eine Menge getan, und es war mir auf einmal nicht mehr so klar, wohin ich denn nun gehöre.

Und das ist es mir nach fünf Monaten zurück in Berlin nach wie vor nicht. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß es mir viel Wert ist, wieder bei meinen Genosslnnen, meiner Familie und Freundlnnen zu sein, aber ich habe nicht mehr die unerschüttliche ‘ überzeugung, am richtigen Ort zu sein. Hier hat sich viel getan, und bei mir eben auch. Das letzte Jahr über habe ich sehr zurückgezogen, umgeben von einem kleinen Kreis -mir mittlerweile unendlich wichtiger Menschen gelebt. lch hatte mich an diesen Lebensstil gewöhnt und hatte nicht oft das Gefühl, das mir etwas fehlt.

Die plötzliche Menge an Menschen, die ich kenne, grüße, und vermisst habe, hat mich die erste Zeit umgeworfen. Es fiel mir schwer, auf so viele Menschen einzugehen und es hat mich ziemlich ermüdet. Dazu kommen eine Menge Kleinigkeiten, die ein Leben mit ‘Vorsicht’ von dem alltäglichen hier unterscheiden, mit denen ich zu kämpfen hatte und habe: Ungefähr ein Jahr lang waren Telefone eher nicht existierende Einrichtungsgegenstände - die Male, die ich einen Hörer abgenommen habe, lassen sich an einer Hand abzählen. Dementsprechend ungewohnt bis unangenehm ist mir bis heute in einigen Situationen dieser Apparat, ebenso die Umgangsweise anderer damit. (Mehr oder weniger zufällig habe ich eine Konfrontationstherapie gemacht, indem ich auf der Arbeit Anrufe entgegennehme.) Zu sagen, wo ich wohne, wie ich heiße, in der Offentlichkeit eine linke Zeitschrift zu lesen, auf Demos zu gehen - es gibt viele Beispiele von Dingen, die normal sind, an die ich mich erst wieder gewöhnen muß, die vielen sicherlich komisch erscheinen - eine Art Paranoia bleibt eben hängen. Nun ja, solch unwichtige Dinge, wie das man in den Bus steigen kann, ohne der Fahrschein zu zeigen, wurden mir gesagt, als ich mir schon den einen oder anderen Fahrschein gekauft hatte... es sind eben Kleinigkeiten, an die man nicht ohne weiteres denkt.
(...)

Der Artikel ist aus der Broschüre “Überlegungen zum Fall Kaindl”, herausgegeben vom “Mittwochskreis der Unterstützerlnnen der Kaindl-Angeklagten”, zu erhalten in gut sortierten Infoläden. Wir haben den lotzten Teil aus Platzgründen gekürzt, er handelt von dem Wiedereinleben in Berlin.

Von der Bürde und der Würde des Exils

exil-index
speisekarte