Von der Bürde und der Würde des Exils

Die Frage Exil oder Knast ist nicht gerade neu in der linken Ge- schichte. SpanienkämpferInnen, KPlerInnen und andere Antifa- schistInnen während des Nationalsozialismus, lateinamerikani- sche GenossInnen während der Militärdiktaturen - es lohnt sich, ihre Biographien zu studieren, um eigene Probleme und Mög- lichkeiten zu relativieren und zu klären. Das ist keine billige Moralisierung, sondern ein Hinweis auf die viel geringere aktu- elle Erfahrung der BRD-Linken mit dieser Frage.

Wir sind auf historische und internationale Erfahrungen ange- wiesen, die uns zumeist nur in schriftlicher Form vorliegen. Auch die Solidarität, praktisch-unmittelbar und politische Kam- pagnen usw., läßt sich mit historischen Erfahrungen vor Augen besser entwickeln.

Es ist sinnvoll zwischen Exil, Illegalität und Flucht zu unter- scheiden. Flucht ist Weglaufen, Entkommen. Die erste Phase vielleicht, negativ bestimmt, in der du reagierst und wenig ge- staltest. Illegalität ist in der Definition und dem Selbstverständ- nis von militanter Organisierung offensives Handeln aus der verdeckten Gruppenstruktur heraus. Exil hingegen ist das Leben in einer neuen Existenz, unter anderen Vorzeichen, fern der bis- herigen Lebenswelt.

Ausgangspunkt für die Entscheidung, entweder ins Exil zu ge- hen oder sich zu stellen, ist das eigene politische Verhalten vor- her. Ist die jetzige Lage nur ein Tritt in die Scheiße oder Konse- quenz eines bewußt eingegangenen Risikos, einer politischen Arbeit, von deren Sinn du überzeugt warst um den Preis persön- licher Schwierigkeiten und Repression? Wenn das so ist, wirst du wenig(er) Probleme haben, weil du nichts bereust. Mit dieser Einstellung stellst du dich nicht, aber wenn es dann doch mal dazu kommt, fällt dir auch Knast leicht(er).

Die erste Zeit im Exil ist selbstverständlich geprägt von Trauer, Verlustgefühlen und Eingewöhnungsproblemen. Angesichts die- ser Schwierigkeiten der ersten Monate - die vermutlich alle Exi- lierten hatten/haben - scheint die vage Überlegung, legal zu- rückkommen zu können, wichtiger, als sie es nach ca. einem Jahr ist. Historisch wie auch aktuell berichten die meisten, daß sie nach dieser Zeit sehr gut klar kamen und noch länger zu bleiben kein Problem geworden sei. Manche wollten sogar nicht zurück, weil sie ihr neues Leben im Exil mehr schätzen gelernt hatten als ihr früheres.

Exil ist gelungene Flucht, Gestaltungsmöglichkeit. Diese Mög- lichkeit zu nutzen, nicht nur (über)leben zu wollen, sondern eine persönliche und politische Perspektive sich aufbauen zu wollen, das ist entscheidend.

Die Entscheidungsmöglichkeiten und -chancen sind nicht gerade die alten, vormals gelebten, aber auch nicht weniger zahlreich auf lange Sicht. Es sind neue Möglichkeiten, die Zeit brauchen, bis sie realisiert werden. Diese Erfahrung und die Wichtigkeit von hartnäckiger Geduld unterstreichen Exilierte immer wieder.

Exil bedeutet auch, nicht allein zu sein und sogar in einer zunächst fremden Gesellschaft leben, lernen, kämpfen zu kön- nen. Letztlich, sich von dort aus einmischen zu können in die Dinge "zuhause".

Sich zu stellen, der Knast, ist eine Pseudoalternitive, die so gut wie nichts davon bietet.

Sowohl zu Knast, als auch zu Exil, gehören zwei: die Betroffe- nen und die Solidarischen.

Die Entscheidung Knast oder Exil ist von beiden Seiten abhän- gig und gemeinsam zu fällen. Jemandem im Exil zu helfen ist etwas anderes, als ihn/sie im Knast zu besuchen. Ersteres ist er- heblicher befriedigender, lehrreicher und gestaltbarer! Sicher- lich, es gibt finanzielle, zeitliche und allgemein logistische Pro- bleme, die desto gravierender sind, je kleiner und angeschlage- ner die Linke allgemein ist. Aber diese Schwäche -als unabän- derlichen "Sachzwang" hinzunehmen und deshalb in den Knast gehen zu "müssen", das wäre eine politisch unkontrollierte, bit- tere und eigentlich phantasielos-dumme Entwicklung. Es gab und gibt immer bessere Lösungen als sich zu stellen.

Wichtig ist es, sich nicht auf juristische überlegungen zu ver- steifen. Auf dem Gebiet ist vieles doppelbödig und voller mögli- cher Irrtümer. Gerade AnwältInnen sind oft "betriebsblind" und keine sicheren RatgeberInnen. Der einfache, fast platte Ansatz, daß die Bullen ja nicht umsonst so eine Aktion in dem Ausmaß gestartet haben, um einen zu kriegen und es deshalb auch nicht unterlassen werden, einen richtig einzumachen - so sie dich denn hätten - ist immer der richtige. (Wenn sie mit dem Einma- chen dann doch nicht durchkommen, weil es eine gute Kampa- gne usw. gibt, dann ist das deren Verdienst und nicht Folge des sich-stellens).

Das Beispiel Kaindl-Prozeß sollte lehrreich sein: Wer sich dort guten Glaubens und juristisch beraten stellte, saß erstmal im Knast, die weg blieben, hingegen nicht.

Nebcnbei: Bei dem jetzt erhobenen juristischen Vorwurf wäre eine Kampagne im Exilland gegen eine Auslieferung im Falle des dortigen Einfahrens ziemlich gut möglich und erfolgsträch- tig, denn die BRD ist so ziemlich das einzige Land, welches so etwas kriminalisiert.

Wer sich stellte, wer in den Knast kam als "SelbststellerIn", der/die hatte es schlecht. Das läßt sich leicht begründen: Sich zu stellen führt zu der Einstellung, daß alles, was danach geschieht, deine eigene Schuld ist. Du hättest dich ja nicht stel- len müssen. Eine Schikane im Knast, ein gehässiger Kommentar in der Presse über dich - alles wäre vermeidbar gewesen; Scham, Wut und Stress hätte es in dieser Form im Exil nicht gegeben.

Sich zu stellen in einem Deal für Haftverschonung bringt andere Nachteile mit sich. Der Knast droht weiter, das macht erpreßbar, erzwingt gewisses zurückhaltendes Verhalten - sprich: eine op- portunistische Zwangslage. Und tief in dir drin sticht die Gewißheit, daß du dich hast beugen lassen. Dies kann eine Schädigung der Persönlichkeit für das ganze weitere Leben bedeuten; diesen Knick in der politischen Biografie wird niemand los.

Es ist ein hohes Risiko in den Knast zu gehen, denn medizini- sche oder psychische Probleme kommen oft erst dort zum Tra- gen.

Katharina Hammerschmidt ist z.B. auf den Rat ihres damals lin- ken Anwalts zu den Bullen gekommen, im Knast gelandet und drei Jahre später aufgrund eines dort nicht erkannten und nicht behandelten Tumors gestorben. Nach ihrer viel zu späten Frei- lassung ist sie ausgerechnet im Ausland medizinisch behandelt worden - in dem Land, in das sie vorher ins Exil hätte gehen können ... Sie hätte dort sehr wahrscheinlich überlebt. Im Exil krank zu werden, ist immer noch besser als im Knast, denn dort gibt es keine Wahl mehr, dort bist du auf die Knastmedizin an- gewiesen und ihr nahezu ausgeliefert.

Exil ist Leben in Gesellschaft, wenn auch am Rand oder mit we- nigen, aber es ist immer noch deine Wahl. Knast ist Einsamkeit, denn die räumliche Nähe zur alten Lebenswelt ist real, durch Post- und Besuchskontrolle, eine sehr große Entfernung. Ein gutes Treffen im Exil alle paar Wochen für ein paar Tage ist mehr als alle zwei Wochen ein, zwei Stunden Besuch in einem widerlichen Raum mit noch widerlicheren Lauschern.

Kommunikation im und aus dem Exil ist sicherlich nicht ein- fach, aber sie ist organisierbarer als im Knast. Die wesentlichen Verbindungen lassen sich von dort aus leichter herstellen, im Knast ist nichts bis wenig davon möglich.

Wichtig: Wer im Exil Probleme hat und es nicht aushalten zu können glaubt, der/die wird im Knast oder bei den Bullen erst Recht Probleme bekommen. Bullen halten sich nicht an Abspra- chen, sie legen sich-stellen als Schwäche aus und versuchen mit mehr Druck mehr zu kriegen. Nach der Logik: Wenn der Druck des Exils reichte, daß der/die sich stellte, dann wird der Druck des Knastes noch ganz andere "Erfolge" zeitigen...

Die Schliesser lachen sich schlapp über "SelbststellerInnen"', sie haben nie den Respekt, der für Gefangene extrem wichtig ist und der politischen Gefangenen zumeist doch entgegengebracht wird. Bei Knackis gelten "SelbststellerInnen" als unsichere Fi- guren, da sie sich offensichtlich gebeugt haben, anstatt so lange wie nur irgend möglich dem stumpfen Knastleben zu entgehen. Gerade die Gefangenen, die hart darum gekämpft haben nicht so leicht erwischt zu werden, oder die versucht haben auszubre- chen, haben wenig Verständnis für welche, die freiwillig in eine Zelle gehen.

Knasterfahrungen und -berichte gibt es in der BRD inzwischen reichlich. Wie der zu überleben ist, wie du dort halbwegs klar- kommen kannst, können einige erzählen. (Und alle werden er- zählen, daß er am besten zu überleben ist, wenn du dich nie er- gibst und nie freiwillig auf ihn einläßt).

Die wenig zahlreichen Exilerfahrungen sind eher unverarbeitet und undokumentiert. Es wäre sicher eine lohnende Aufgabe, sie zu sammeln, zu beschreiben und auszuwerten - für andere Linke, die mit Gewißheit irgendwann vor der gleichen Frage - Exil - stehen werden.

Zum Absch1uß: Es ist erfahrungsgemäß wichtig, im Exil eine Aufgabe zu haben, bzw. sie sich zu suchen und an politischen Projekten beteiligt zu sein, die einen unmittelbaren Sinn für einen selbst wie für die Linke haben. Die Beteiligung an diesen Projekten muß konkrete Formen annehmen, sei es "nur" durch Schreiben und übersetzen, oder Recherchen oder sonstwas ...

Im Exil zu warten, kostet nicht viel, sich-stellen kann sehr, sehr teuer werden. Nicht nur für die, die es tun.

Warten bringt Durchblick, sich-stellen ist Ungeduld. Wer sich stellt, beschadigt sich selbst, er/sie verliert den Respekt anderer und den Respekt vor sich selbst. In den Worten lateinamerikani- scher GenossInnen, die sehr grobes Gewicht darauf legen: Du verlierst deine Würde.

Exil ist eine viel "würdevollere " Situation als der Knast.

Gruppe "Wider den Knick"

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