Interview mit zwei Gesuchten

R: Ich weiß gar nicht, wie ich jetzt anfangen soll. Hier auf’m Zettel stehen so viele Fragen.
B: Jetzt fang’endlich an.
R: Na, wie geht’s euch denn?
B: Den Umständen entsprechend.
M: Tja, wenn die andere Perspektive Knast ist, dann geht es mir blendend.
R: Jetzt aber mal ...
M: ... Ab und zu packt mich schon mal der Frust. lch wandel manchmal durch die Straßen am Strand, in den Bergen herum, mir kommt es dann wie Urlaub vor. Dieses Urlaubsgefühl dauert ein paar Sekunden oder besser, es ist ein Gefühl, das ich kenne und deshalb kann ich mir das auch ranholen. Mensch war ja schon öfters im Urlaub. Das Gefühl “gesucht zu werden” ist eben anders.

R: Was meinst Du, was für dich den Unterschied ausmacht?

B: lch glaub, ich hab in der ersten Zeit immer nach mir bekannten Gefühlen und Gedanken gesucht. Ja, dieses Schauen nach den Anderen und du gehörst nur äußerlich dazu. Ich hab mich dann gefragt, wie die sich wohl fühlen, im Gegensatz zu mir. Dabei wurd’ dann klar, die können zurück oder bleiben, wie sie wollen.
M: Für die gehört ihr Urlaub zum Leben, wie auch ihre Arbeit. - Und zu Hause ist für uns nun da, wo wir uns gerade aufhalten müssen. Da sollten wir das Beste draus machen.
B: Das ist aber nicht einfach. Du kommst schnell auf’ so einen Trip, daß die Leute sich nicht genug um dich kümmern und verfällst auch in Selbst-Mitleid. Dir fällt, viel vor die Füße, was du vorher alles verdrängt hast. Da ist dann niemand, der sich mit dir über deine Probleme auseinandersetzt. Wenn ich Leute neu kennenlerne, kann ich denen nur’ne Story erzählen. Das ist schon blöd ohne Hintergrund meine Probleme zu schildern!
M: lch hab mich oft gar nicht mehr aus’em Haus getraut und kam mir wie ein Fremdkörper vor. Aber mit (der Zeit gewöhnte ich mich daran, auch wieder aus’em Haus zu gehen.
B: Am Beschissesten ist es, daß ich direkt spüre: das ist nicht meine Entscheidung. Die Bedingungen worden von den Pigs diktiert. Klar, lach ich mir ins Fäustchen, ich ihnen erstmal entwischt bin. Das ist der Trost und auch der Anstoß, sich nicht hängen zu lassen.

R: Wie verpackt ihr denn diese vollständige Umstellung eures bisherigen Lebens? Ich würd’ das als einen Bruch beschreiben, so wie das bei euch bisher rüberkam. Wie ist eure Situation, was beschäftigt euch?

M: Ja, das ist schon lustig. Viele Dinge fallen einfach weg. Die Alltagsscheiße erübrigt sich, z. B. brauch’ ich keine lästigen Ämtergänge mehr zu machen. (Allgemeines Gelächter) Dann kommt es aber schon wieder hoch, an einem “unbekannten Ort” zu sein - sich sehr unsicher zu fühlen. Bei jedem Bullenwagen erstmal Konzentration bis sie wieder weg sind. Oder wenn Leute einen angucken, habe ich zuerst versucht, mich diesem Blick zu entziehen, oder versucht, mich in meinen Vorstellungen so normal zu bewegen, wie es geht. Aber was ist schon normal?
B: Für mich ist es völlig neu, daß ich keine Dates mehr habe und dadurch auch mehr in den Tag hinein lebe. Mir geht dann andauernd durch den Kopf, daß ich ja aus politischen Gründen gesucht werde, und ich merke, das ist es nicht, zumindest nicht alles. Da gibt es mehr, was zum Leben gehört. Es gibt nicht nur Politik. Um das vielleicht besser zu verstehen, ist es wichtig, daß ich mich entschieden habe, vor Ort, auf der Straße Politik zu machen und eben auch in der Stadt zu leben - nicht auf’em Dorf oder inner Vorstadt. Und jetzt mußte ich mich dem Zugriff der Bullen entziehen...
M: Das ist für mich auch ein Bruch. Mein ganzes Leben zieht manchmal an mir vorbei. lch hab ja viel Zeit und merke, in so’ner Situation war ich noch nicht und ich weiß nicht, wann ich mich damit zurechtfinden werde.
B: Das geht mir auch so, es ist alles auf’ einmal anders und für fast alle geht es weiter wie bisher.

R: lch glaub’, so ein Gefühl hatten viele nach den Durchsuchungen.

B: Vorher konnste immer auch bestimmte Momente abschalten, dir überlegen, wie geh’ ich bestimmte Sachen an. Das geht jetzt nicht mehr so. Diese ungewollte Situation bestimmt einfach deine ganzen Lebensäußerungen. lch wach’auf damit, schlaf ein damit und renn’ damit auch durch den Wald, die Stadt und über die Felder. Nach ein paar Monaten oder vielleicht auch Jahren kann das dann vielleicht mal weg sein. Zur Zeit ist es für mich zumindest nur wenige Momente nicht da, daß ich weg mußte.

R: Aber war das für dich nicht eine Auseinandersetzung Wie verhältst du dich, wenn sie dich einknasten wollen?

B: Doch klar, ähnlich wie auf’ner Demo, wenn sie dich haben wollen, haust du ab, aber diese ganze Scheiße ist ja anders gelagert. Das hört nicht auf, wenn du keine Lust mehr drauf hast. Da gibt es verschiedene Stationen. Das fängt bei den ersten Meldungen in den Nachrichten an. Nun haben sie also wieder zugeschlagen, sind bei mir, Freunden, Bekannten und GenossInnen eingeritten. Ein paar Leute gehen gleich-ab-nach-Karlsruhe und ich bin nicht da.

R: Das ist doch erstmal ganz gut.

B: Na klar, aber was meinst du, was dir durch den Kopf geht? Du kriegst langsam mit, was für’n Ausmaß das hat, stellst dir die übelsten Situationen vor; die dann ja auch gelaufen sind, mit Blendschockgranate, Türenaufbrechen, Kinder fertig machen, Leute auf die Wachen zerren usw. Dann fragst du dich schon, wie gehen die Leute damit um? Hoffentlich haben sie es frühzeitig mitbekommen? Sind nicht völlig überrascht; - weil dieses Überrumpeln ist ja ihr hauptsächliches Mittel. Die Pigs wollen dich auf dein kalten Fuß erwischen. Was dann auch bei einigen geklappt hat. Dann geht das ja weiter, du hörst von denen, die eingeknastet worden sind - 24 Punkte Haftstatut (ist mittlerweile cm 8-Punkte-Haftstatut d.S.), klar überleg ich mir dann, wie das aussieht. Rainer hat ja z.B. ein Kind - hab ich gehört. Wie wird es ihm damit wohl gehen’? Erpressung auf Kosten der Kinder. Hat es ja auch in anderen Prozessen schon gegeben. Oder Werner aus Berlin wird bei seinen Eltern mit einer Hepatitis abgeholt. Das kann doch nur übel abgehen. Ist schon heftig, diese ganzen Eindrücke die dann auf dich niederprasseln; und dann merkst du langsam, bei dir waren sie ja auch und mit nach Hause kommen, ist erstmal Essig. Das geht schon rein! Es war von mir ja nicht beabsichtigt, um auf die Frage zurückzukommen, daß ich wegbleibe. lch war nicht inner Guerilla organisiert, die dies - zwar immer weniger - offen vertritt. Das war nie meine Politik und jetzt bist du auf einmal von der Bildfläche. Mir fallen die ganze Zeit Gespräche ein, die ich noch führen wollte. Mal’ mir aus, was wohl die Leute machen, mit denen ich zusammengesessen hab’. Da gab es ja Entwicklungen, auf die ich Bock hatte. Das ist dann auf einmal alles weg. Was für’ne Scheiße!!!

R: Langsam, nicht so schnell ...

B: ... Ja, aber es ist ja nicht nur Scheiße, was abgeht. Du findest dich mit deinem neuen Alltag zurecht. Das nimmt auch einiges in Anspruch. Aber eigentlich setzt als erstes die Verdrängung ein. lch fing erstmal an zu hoffen, das werden die doch nicht so voll durchziehen, ist doch wirklich nicht das Ding. Aber das änderte sich, um so mehr Informationen ich bekam. Das sind dann auch immer sehr heftige Sachen, weil die Infos dich ja voll mit deiner Realität konfrontieren und du die Leute, um die es da geht, vielleicht auch kennst. Klar ist die Freude groß, wenn du mal was von zu Hause hörst. Aber desto länger ich weg war, um so mehr ging es mir so, daß ich für mich beschloß - zumindest im Kopf- ICH BLEIB WEG! Mit diesem Gedanken wurde es dann einfacher. lch bemüh’ mich immer noch an meinem neuen Wohnort anzukommen.

R: Machen eben mal ‘ne Kurze Pause!
R: Weiter geht’s! Wie ist das denn für euch, daß ihr durch die neue Situation ständig auf die Hilfe von Anderen angewiesen seid?

M: S’onn Gefühl hatte ich bisher nicht. Normal war es, daß ich nach meinem Ermessen oder mit Anderen zusammen Sachen mache. Sei es jetzt ‘ne Veranstaltung vorzubereiten oder Aufgaben auf ‘ner Demo zu übernehmen oder sonst irgendwas. Genauso regelte ich mein Leben ab, da beruhte es auf Gegenseitigkeit, wie welche Arbeiten erledigt werden. Das war auf einmal weg. Da mußten Leute auf einmal für dich Pennmöglichkeiten suchen, Fahrzeuge besorgen usw. Das lag alles nicht mehr in meiner Hand. lch war oft total froh, wenn was geklappt hat, weil es im politischen Alltag eher häufiger ist, daß was nicht klappt. Auf einmal lief die Sache, auch ohne mich. Das fand ich eine wichtige Erfahrung, weil oft hab ich vorher gedacht, daß klappt eh’nicht also mach ich es lieber selber.

R: Wenn du schon von den Leuten sprichst, die dich oder euch versorgen - wie gehen sie auf euch ab? Habt ihr Konflikte oder läuft das locker vom Hocker?

B: Das geht alles nicht so einfach. Da war als erstes die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, wenn sie mit mir verkehren. Das muß dann geklärt werden.
M: Für mich war es eine wichtige Erfahrung, daß die Leute, die mich versorgen, mir bisher nicht das Gefühl gaben, daß sie für mich wer weiß was Tolles machen. Sondern, sich in meine Situation versetzen und z.B. wenn sich der Frust breit macht, Geschichten erzählen, die sie erlebt haben. Dieses Aufheitern war sehr wichtig. Auch mir mal in den Arsch zu treten, daß ich rausgehe oder wir zusammen was machen. Dis waren Situationen, die waren schon sehr schön.
B: Eins will ich noch schnell los werden. Tausend Dank, Umarmungen und auch Küsse an Alle, die sich darum bemühen, daß, ich wegbleiben kann!! Vor allem an die Leute, die ich überrumpelt habe mit meinem Problem, und auch an die, wo ich es nicht erwartet hätte, daß sie sich zu diesem Scheiß verhalten würden.
M: Von mir auch!!!

Ein problem wird erst dann gelöst, wenn mensch es schon lange kennt