Subject:  Internet Marquard
Date:     Fri, 06 Jun 1997 12:00:00 +0200
From:     PDS.AHB.PRESSE@IPN-B.comlink.apc.org (PDS-Fraktion Berlin
Presse)



Nr.: 148 / 06.06.97
Thema: Prozess Marquard

Berlins Staatsanwaltschaft jagt Hyper- 
LINKS 

Zum Prozeß gegen Angela Marquardt vor dem Amtsgericht Tier-
garten erklärt der rechtspolitische Sprecher Michail Nelken: 

Am Dienstag durchsuchte die Berliner Polizei die Wohnung und ins-
besondere den PC von Angela Marquardt auf der Suche nach Be-
weismaterial für die Urheberschafft ihrer Internet-Hompage, heute 
wird vor einem Berliner Amtsgericht ein Prozeß gegen Angela Mar-
quardt eröffnet, in dem die Staatsanwaltschaft Frau Marquardt we-
gen eines Links auf ihrer Hompage bestrafen will, der den virtuellen 
,Besucher", so er denn will, zu einer Hompage zu einem niederlän-
dischen Service-Provider führt, auf der in Deutschland verbotene 
Hefte der Zeitschrift ,Radikal" zu lesen sind. 

Und dieser Tage drücken der Senat und die SPD/CDU-Mehrheit im 
Berliner Parlament einen Mediendienstestaatsvertrag im Express-
tempo durch den parlamentarischen Geschäftsgang, mit dem man 
versucht globale Informationsnetze und -dienste über den Leisten 
deutscher Kleinstaaterei zu schlagen und für die Durchsetzung be-
kannter deutscher Weltläufigkeit strafrechtlich verfolgbare Verant-
wortlichkeiten zu schaffen. Und Berlin steht an der Spitze des deut-
schen postmodernen Sonderweges in die technologische und 
kulturelle Zukunft des 21.Jahunderts. 

Eines ist allen drei Ereignissen gemeinsam, die staatstragenden 
Akteure agieren mit unübersehbarer Inkompetenz im Feld der sich 
permanent revolutionierenden Medienwelt.

Die Berliner Justiz ist wieder einmal auf dem besten Wege, unter 
den Augen nicht nur der erstaunten globalen Netzgemeinde sich ins 
rechte Licht zu rücken. Angela Marqardt soll für einen Link, eine 
elektronische Fußnote, die auf eine elektronische Quelle verweist, 
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Der Unterschied 
zur Fußnote in einer Schrift besteht einzig darin, daß man hier durch 
,Anklicken" (,Anwählen") direkt via elektronischem Netz zur angege-
benen Quelle kommt und nicht erst in Bibliotheken nach der ange-
benen Quelle suchen muß, um Sie zu studieren. Oder anders ge-
sagt, kein Wissenschaftler und kein Journalist dürften zukünftig, gin-
ge es nach den Berliner Staatsanwälten, eine Quelle angeben, wenn 
der Gegenstand ihrer Untersuchung mit strafrechtlich relevanten 
Tatbeständen in Zusammenhang stehen könnte. - Also nicht nur ei-
ne Textwiedergabe aus Hitlers ,Mein Kampf" wäre dann strafbar, 
sondern allein schon der Hinweis auf dieses Buch mit einer Fund-
stellenangabe. 

Als gelernte DDR-Bürgerin hätte A. Marquardt, so meint offensicht-
lich die Berliner Staatsanwaltschaft (im Auftrage der Bundesanwalt-
schaft), doch wissen müssen, daß man einen ,Giftschein" braucht, 
um an indizierte Quellen heranzudürfen. Es ist nicht einmal der Bote, 
der Überbringer, der hier für die ,schlechte Nachricht" bestraft wer-
den soll, wie dies im Medien- und im Teledienstegesetz unter be-
stimmten Bedingungen vorgesehen ist, sondern die Berliner Staats-
anwaltschaft will den Wegweiser zur ,schlechten Nachricht" bestra-
fen, ohne daß dieser die Botschaft kennen muß.

Während Bundesanwaltschaft und Bundespolitik sich der strafrecht-
lichen Verantwortlichkeit der Provider vorsichtig und langsam nä-
hern, macht die Berliner staatsanwaltliche pressure-group in bekann-
ter Manier auch in Sachen juristischer Verantwortung im Internet 
gleich den radikalen nutzerfeindlichen Schnitt. Die offensichtlich 
rechtsirrige Anklage gegen Angela Marquardt wegen des Hyper-Link 
läßt sich nur erklären mit einer blinden Hyper-Verfolgungswut der 
Berliner Staatsanwaltschaft gegen Links. Die ,Radikal", die Ex-PDS-
Vize Marquardt und dazwischen ein Link, dies scheint der Staatsan-
waltschaft eine so verlockende Konstellation beim mühseligen Ge-
schäft der Kriminalisierung der Linken und der PDS im besondern, 
daß sie alle rechtsstaatliche Contenance verliert. Das ging übrigens 
der preußischen Staatsanwaltschaft an der letzten Jahrhundertwen-
de trotz des Falls des Sozialistengesetzes beim ,Umgang" mit den 
modernen Medien und der sozialdemokratischen Linken ganz ähn-
lich.



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Miklas Weber
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