Stellungnahme zur Sabotage an der Bundesbahnstrecke Hamburg Lübeck und dem tödlichen Unfall am Bahnübergang Dassauweg

Wir haben am 27.2.1997 mit einer gegen die Castor-Transporte der Bundesbahn gerichteten Sabotageaktion Achszählgeräte an der Bahnstrecke Hamburg - Lübeck zerstört. Zwei Tage später starb ein Mensch, weil die Schrankenanlage nicht ordnungsgemäß funktionierte. Ein Teil der Presse stellte anfangs einen Zusammenhang zwischen unserer Aktion und dem tödlichen Unfall her.

Wir waren geschockt und entsetzt, weil zu keinem Zeitpunkt Leben oder Gesundheit irgendwelcher Menschen mit dieser Aktion gefährdet werden sollten.

Daher haben wir versucht genauer zu bestimmen, was an der Strecke abgelaufen ist, ob Zusammenhänge bestehen könnten und welche Schlußfolgerungen zu ziehen sind.

Zur Aktion:

Wir haben zwischen den Bahnübergängen Nornenweg und Dassauweg in beiden Fahrtrichtungen insgesamt drei Schaltkästen sabotiert, die in Verbindung zu Achszählgeräten standen, die wir (nach der Sabotageanleitung der Flammenden Herzen in der radikal 154) als Typ "Einzelstück an der Innenseite des Gleises" identifiziert hatten. Dabei wurden von uns Kabel durchgezwickt oder die Schaltkästen mittels Brandbeschleuniger vollständig zerstört.

Die Achszählgeräte sichern die Streckenabschnitte so, daß nur jeweils ein Zug sich in einem Abschnitt befinden kann. Fallen ein oder gar mehrere Geräte aus, schalten die betreffenden Signale auf Rot. Der nächst Zug muß anhalten und erst nach Rücksprache mit dem zuständigen Stellwerk darf der Zug in langsamer Geschwindigkeit weiterfahren. Das war Ziel unserer Aktion.

Was danach passierte oder passiert sein könnte:

Bei der Auswertung von den Auswirkungen der Sabotage sind wir auf die Presse angewiesen, die von Anfang an sehr ungenau berichtete. Der Schaden soll demnach beim zuständigen Stellwerk sofort bemerkt worden sein, Sicherungs- und Reparaturmaßnahmen seien eingeleitet worden. Laut Medien habe es sich um eine Manipulation an den Schrankenschaltkästen der Schrankenanlagen an den Bahnübergängen "Dassauweg" und "Brauner Hirsch" gehandelt, die sich in einer Entfernung von mehreren hundert Metern nördlich, bzw. südlich der von uns sabotierten Schaltkästen befinden. Die Schrankenanlage "Nornenweg", welche sich erheblich näher an den Aktionsorten befindet, wurde dagegen nicht erwähnt. Als Folge der Manipulation hätten die Schranken nicht mehr automatisch bewegt werden können. Züge mußten die Übergänge im Schritttempo passieren, um die zur Sicherung eingesetzten Posten der Bundesbahn nicht zu gefährden.

Die Angaben über die zerstörten Gegenstände wie auch über die verwendeten Mittel wichen teilweise erheblich ab von denen, die tatsächlich mit unserem Vorgehen in Zusammenhang stehen. So wurde z.B. fälschlicherweise mehrfach Montageschaum als Brandbeschleuniger angegeben. Außerdem erschien ein Pressefoto, welches den am Bahnübergang Dassauweg angeblich manipulierten Schaltkasten zeige, der mit den von uns sabotierten Kästen nichts zu tun hat und keinerlei Ähnlichkeiten aufweist. Zudem kursierte ein falscher vermeintlicher Aktionszeitpunkt in der Presse.

Es ist demnach nicht auszuschließen, daß zeitgleich oder später von Dritten an dem Streckenabschnitt technische Anlagen manipuliert wurden.

Wahrscheinlicher aber ist, daß fehlerhafte oder ungenügende Reparaturen zum Unfall am 1.3. führten, als sich die Schranken am Übergang Dassauweg öffneten, obwohl sich ein Zug näherte, nachdem die Anlage zwei Tage lang reibungslos funktioniert hatte. Nach Angaben des mit den Ermittlungen des tödlichen Unfalls befassten Eisenbahnbundesamtes kam es zum Ausfall von zwei Sicherungsanlagen des Bahnüberganges, welche unabhängig voneinander versagt hätten. In einem der beiden Sicherungssysteme konnten schließlich Kabelfehlschaltungen festgestellt werden. Kabel seien falsch zusammengeklemmt worden, was auf einen Reparaturfehler hindeute. Das zweite Sicherungssystem habe aus unbekannten Gründen versagt, die Fachleute seien ratlos.

Bewertung:

Nach allen uns zur Verfügung stehenden Informationen gehen wir davon aus, daß eine fehlerhafte Reparatur der Schaltkästen ursächlich für den tödlichen Unfall war.

Damit sehen wir uns aber nicht außerhalb jeder Verantwortung, sondern diese relativiert sich lediglich für uns.

So sehen wir es unabhängig von den Fehlern und Pannen der Bundesbahn als unser grundlegendes und tragisches Versäumnis an, uns vorher nicht ausreichend mit den technischen Gegebenheiten vertraut gemacht zu haben. Zu schnell und unkritisch sind wir der fundierten, bzw. fundiert wirkenden Anleitung der Flammenden Herzen gefolgt und haben damit zu schnell und unhinterfragt selbst eine indirekte Gefährdung von Personen vermeintlich ausgeschlossen.

So sind wir zu leichtfertig damit umgegangen, Brandbeschleuniger einzusetzen ohne eine profunde Kenntnis davon zu haben, ob die extreme Hitzewirkung im Schalterkasten nicht irgendwelche Kettenreaktionen auslosen könnte, deren Folgen nicht für uns zu überblicken waren (in der taz war zu lesen, der Brand habe einen Kurzschluß verursacht, der sämtliche Kabel und Sicherungen beschädigte). Bisher gab es ja keine praktischen Erfahrungen mit dem Einsatz von Feuer an Schaltkästen, da die Brandsätze der Flammenden Herzen damals nicht zündeten.

Grundsätzlich betrachten wir mittlerweile eine Sabotage an Achszähl- und Schaltkästen als nicht verantwortbar. Das vielgepriesene doppelte Sicherungssystem der Bahn scheint eine Farce zu sein und es ist zu unsicher, sich auf vermeintliche Zuverlässigkeiten der Reparaturtrupps zu verlassen, was einen Kernpunkt dieser Aktionen ausmacht.

Im Sinne des Grundsatzes, daß bei Sabotageaktionen gegen die Castor-Transporte keine Menschen gefährdet werden dürfen, geschweige denn im Zusammenhang damit ihr Leben verlieren und aus dieser schlimmen Erfahrung heraus, sehen wir es als unverzichtbar an, auch nur kleinste technische Risiken oder Unsicherheiten auszuschließen.

Dies macht derartige Sabotageaktionen wie die unsrige unmöglich.

Unser Widerstand gegen das herrschende System muß genau und verantwortungsvoll sein!

Revolutionäre Gruppe Wasserkante,

Offener Brief an die revolutionäre Gruppe Wasserkante

Wir hatten im Januar '96 anläßlich der vierteljährlich stattfindenden Rekruteneinbeziehungen versucht, die Bahnstrecke Berlin-Magdeburg zu sabotieren. Unser Ziel war, durch Manipulation der Sicherheitstechnik ein Signal auf "Halt" zu schalten und damit den "Rekrutenzügen" eine Menge Verspätung zu bescheren. Um die Behinderung in die Länge zu ziehen, plazierten wir an einer der beiden Sabotagestellen eine Puppe mit einem Schild um den Hals, welches durch den Text "Jedes Herz eine Zeitbombe..." die Bullen nebst Sprengstoffschnüffelroboter auf den Plan rufen sollte.

In der Kombination der Aktion mit der Veröffentlichung einer Anleitung dazu wollten wir eine Sabotageform propagieren, die mit einfachsten Hilfsmitteln und an unzählbaren, nicht kontrollierbaren Punkten in unterschiedlichen Konfrontationssituationen zur Anwendung gebracht werden kann - und die uns für "Neulinge" eine passable Möglichkeit zum Sich-Herantasten an militante Aktionen zu sein schien.

Ein paar Tage später gab es in der jw und taz eine kurze Meldung mit dem Inhalt, daß sie aufgrund der von uns zugeschickten Erklärung bei den Bullen/DB nachgefragt und von denen "Keine besonderen Vorkommnisse" zur Antwort bekommen hätten.

Das hat uns erstmal ein wenig ratlos gemacht, denn wir hatten offengestanden mit etwas mehr öffentlicher Aufgeregtheit gerechnet. Wir mußten an dem Punkt feststellen, daß wir intensiver, als wir es getan haben, nach Möglichkeiten hätten suchen müssen, wie die Wirkung der Aktion von uns hätte beobachtet werden können. So waren wir an der Stelle weitgehend auf die Medien angewiesen - und die gaben nichts her.

Anfang März '96 (unsere nicht gezündeten Brandsätze waren gefunden worden und hatten ein paar Schlagzeilen in der Berliner Presse zur Folge gehabt) erfuhren wir dann die tatsächliche Auswirkung der Aktion: Wir hatten offensichtlich den Sensor einer Lichtsignalanlage für einen Bahnübergang sabotiert, so daß diese durchgängig "Rot" für den Autoverkehr zeigte (dieser Bahnübergang befindet sich ca. 3km weiter an einer Nebenstrecke nach Beelitz). Damit war klar, daß unsere Recherchen in Sachen Bahntechnik offensichtlich nicht ausreichend gewesen waren und in unserem Leitfaden ein Wurm stecken mußte wir eine nicht ausgereifte Anleitung zur Veröffentlichung gebracht hatten. Zwar war unsere Testerfahrung, daß die Sabotage eines Achszählers den im Leitfaden beschriebenen Effekt hat, aber sowohl unsere als auch Eure Aktion hat gezeigt, daß mensch sich dazu nicht einen beliebigen Achszähler ausgucken und diesen dann kaputtmachen kann.

Daß wir dies in unserem Nachtrag/Rückschau (radi 6/96) nicht klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht haben, rechnen wir uns heute als schweres Versäumnis an. So stehen sowohl wir als auch Ihr vor der Erkenntnis, eine Aktion gemacht zu haben, über deren Auswirkungen wir/Ihr objektiv keine Kontrolle gehabt haben/habt - wobei sich eine Kontrolle u.a. darüber herstellt, ob Mensch penguins mögliche Gefährdungsmomente für sich und andere diskutiert und nach einem Umgang damit sucht, wie diese auszuschließen sind; und ob Mensch bereit ist, die Verantwortung für eine nicht auszuschließende Gefährdung zu tragen.

Sich damit nur unzureichend auseinandergesetzt zu haben ist unserer Meinung nach unser und euer eigentliches Problem - und nicht die Fehlfunktion einer Sicherheitstechnik aufgrund einer schlampigen Reparatur.

Wir stimmen Euch zu, daß es ein Fehler war, sich alleinig auf unsere Anleitung verlassen zu haben. Jede Anleitung, und scheint sie noch so fundiert, muß von ihren Anwendern auf mögliche Probleme hin abgeklopft werden, denn schließlich tragen in erster Linie sie die Verantwortung für gemachte Fehler auf ihren Schultern und müssen diese auch aushalten können. Wir können Euch Euren Teil der Verantwortung nicht abnehmen, aber wir hoffen, daß deutlich geworden ist, wo wir unseren Teil sehen. So verbleiben wir mit der Hoffnung, daß die Aufarbeitung der begangenen Fehler nicht wirkungslos verpufft, sondern auch als Chance gesehen wird, etwas daraus zu lernen.

Seid herzlich umarmt! Aug 97

Flammende Herzen und Freunde