Situation in Irakisch- Kurdistan

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Als diesen Winter die Schiffe mit großteils kurdischen Flüchtlingen an Bord in Italien landeten, suchten wir vergeblich nach Artikeln in der Tagespresse, die sich mit den Ursachen für deren Flucht beschäftigten.

Im folgenden dokumentieren wir einen Text von WADI und PRO ASYL (zwei Projekten für Flüchtlinge aus Frankfurt/Main) allerdings in gekürzter Form. Wir finden, daß er die Situation im irakischen Teil Kurdistans gut verständlich und kurz beschreibt; wir gehen davon aus, daß es vielen wie uns geht, nämlich jedesmal wieder ins Grübeln zu kommen "Wer war noch mal Talabani und wer Barzani,...ist im Nordirak jetzt 'ne Schutz- oder 'ne Sicherheitszone...usw." Nun also zumindest ein kleiner Überblick:

Kurdische Flüchtlinge aus dem Nordirak

Die deutsche Regierung darf sich 10 Jahre nach Halabja nicht der Mitverantwortung für die Fluchtursachen entziehen!

Am 16. März 1988 bombardierte die irakische Armee die kurdische Stadt Halabja mit Giftgas. Auf der Stelle starben etwa 5.000 Zivilisten, weitere 7.000 in der Folgezeit. Der Angriff auf Halabja war der Höhepunkt des Vernichtungsfeldzuges der irakischen Armee gegen die kurdische Bevölkerung, die als "Anfal-Kampagne" in die Geschichte eingegangen ist. Mehr als 4.000 Dörfer und Städte wurden binnen weniger Jahre zerstört, ihre BewohnerInnen ermordet oder in militärisch kontrollierte Sammelstädte deportiert. Große Teile der Region wurden vermint. Mehr als 400.000 Menschen wurden verschleppt und bis heute gibt es keine Informationen, was mit den meisten von ihnen geschehen ist; die Sammelstädte glichen riesigen Internierungslagern, in denen die Menschen auf Gedeih und Verderb dem Regime und seinen Sicherheitskräften ausgeliefert waren.

Halabja ist zum Sinnbild geworden für eine Vernichtungskampagne, in deren Verlauf die kubische Bevölkerung zu Flüchtlingen und Vertriebenen im eigenen Land gemacht wurde. Ohne die Unterstützung der Bundesrepublik wäre diese Kampagne so nicht möglich gewesen.

Das irakische Regime war als Gegner des Iran großzügig mit westlichen Waffensystemen hochgerüstet worden. Neben konventionellen Waffen wurden von deutschen Firmen Labore und Fertigungsmaterial geliefert, mit denen chemische und biologische Kampfstoffe hergestellt wurden, - Kampfstoffe, mit denen Halabja bombardiert wurde. Deutsche Behörden leisteten in den 80er Jahren auch Hilfe bei der Ausbildung der Sicherheitsdienste, die bis heute die gesamte irakische Bevölkerung terrorisieren.

Halabja

Flüchtlingslager an der türkisch-irakischen Grenze, 1991

Als die Bilder aus Halabja in den Fernsehnachrichten auftauchten, mochte kaum jemand genau hinsehen. Halabja, das waren die wahllos in den Straßen herumliegenden, verkrümmten Leichen von Männern, Frauen und Kindern; infolge des Giftgases äußerlich scheinbar unversehrt.

In den Straßen und Häusern verbreitete sich ein süßlicher Geruch, den Augenzeugen zuerst nicht einmal als unangenehm empfanden. Es war aber Giftgas, vermutlich sowohl das Nervengas Sarin, eine ursprünglich deutsche Erfindung, als auch das schon im ersten Weltkrieg eingesetzte Senfgas. Kein Zufall, waren doch auch diese irakischen Gasbomben mit deutscher Hilfe produziert worden. Die Menschen in Halahja brachen am Steuer ihrer Autos zusammen oder in Hauseingängen, manche sollen, bevor sie umfielen, noch hysterisch gelacht haben. Wer noch nicht direkt mit dem Gas in Berührung gekommen war, versuchte sich vergeblich mit feuchten Tüchern vor dem Mund zu schützen. Bis zu 5.OOO Menschen starben sofort, die genaue Zahl ist unbekannt.

Nach dem Angriff floh die überlebende Bevölkerung panisch im Eisregen in Richtung iranischer Grenze. Die eiskalte Witterung und die Minenfelder an der Grenze sorgten für weitere Opfer unter den Flüchtlingen. Aufgrund der Einwirkung des Giftgases starben in den folgenden Monaten vermutlich über 7.000 Menschen. Bis heute leiden viele Überlebende an schweren, unheilbaren gesundheitlichen Schäden durch das Gas: an Nervenlähmungen, nie gesehenen Hautkrankheiten, Tumoren, Dauerschäden an Lunge und Atemwegen, genetischen Folgeschäden.

Die Errichtung der Schutzzone 1991

Im März 1991, kurz nach der Beendigung des Golfkrieges mit der völligen militärischen Niederlage des Irak, erhoben sich sowohl im Süden des Landes als auch in Kurdistan die Menschen gegen die verhaßte Diktatur. Deren kriegsbedingte Schwäche und ein Aufruf des amerikanischen Präsidenten an die irakische Bevölkerung, sich Saddam Husseins zu entledigen, waren ausschlaggebend für diese Aufstände. Nachdem sie die Erhebung im Süden des Iraks brutal niedergeschlagen hatten, wendeten sich die Eliteeinheiten der irakischen Armee, die gefürchteten "Republikanischen Garden", dem Norden zu. Hier hofften die Kurden auf eine internationale Unterstützung ihres Kampfes. Diese blieb aus: Unter den Augen der Weltöffentlichkeit eroberte die irakische Armee die befreiten Städte Kurdistans zurück. Eine Flucht von Millionen Kurden in die umliegenden Berge setzte ein. Die Angst vor irakischen Vergeltungsmaßnahmen trieb damals die Bevölkerung ganzer Städte in die noch verschneiten Grenzregionen zum Iran und zur Türkei.

Wieder waren die Kurden zu Flüchtlingen und Vertriebenen geworden, die der Vernichtung durch das irakische Militär oder die unwirtliche Umwelt preisgegeben waren. Ihnen Schutz zu gewähren war der offizielle Grund, die Operation "Provide Comfort" zu beginnen. Eine Schutzzone nördlich des 36. Breitengrades wurde von den Vereinten Nationen ausgerufen und den Flüchtlingen sichere Rückkehr unter Geleit alliierter Soldaten versprochen. Zudem startete eine vergleichsweise große Hilfsaktion. Ausschlaggebend für diese erste "humanitäre Intervention" der neunziger Jahre war vor allem die Sorge, daß das Flüchtlingsproblem die Nachbarländer destabilsieren könnte. Diese versuchten, wo immer möglich, Kurden aus dem Irak den Zutritt zu ihrem Hoheitsgebiet zu verwehren, oder wenn sie die Grenze überschritten hatten, sie schnellstmöglich in den Irak zurückzuschieben.

Das Hilfsdebakel im kurdischen Nordirak

Wie sehr sich die internationale Politik gegenüber der UN-Schutzzone lediglich an der Frage der Flüchtlinge orientierte, zeigte sich am deutlichsten in der Tatsache, daß ab 1992 ca.90% der Mittel aus den Hilfsprogrammen in die reine Nothilfe flossen.

Die Situation der kurdischen Bevölkerung, die zum überwiegenden Teil als Flüchtlinge lebte, denen als einziger Rückzugsort die von der irakischen Regierung errichteten Kollektivsiedlungen blieben, legte es nahe, den Schwerpunkt der Hilfe auf die Rücksiedlung der Menschen in ihre zerstörten Dörfer und Städte zu legen.

Nachdem die irakischen Kurden 1992 erkennen mußten, daß sie auf eine internationale politische Unterstützung ihrer Eigenständigkeit nicht weiter hoffen konnten, versuchten sie in eigener Initiative einen Status zu schaffen, der dem eines Staates ähnlich war. Aus dem 1992 gewählten Parlament ging eine Regierung hervor, die Ministerien und Verwaltungseinheiten bildete. Da der Autonomieregierung international jedwede politische Souveränität verwehrt wurde, blieb ihr lediglich die Möglichkeit, Souveränität in inneren Angelegenheiten zu wahren. Vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich vollständig zerstörten Region aber besaßen die internationalen Hilfsagenturen, die alle Gelder ins Land brachten, real mehr Macht, als die kurdische Regierung selbst. Wie ihre Auftraggeber erkannten auch sie die Regierung und ihre Institutionen nie an, sondern zogen es vor, ihre Programme über die regional herrschenden Partei- und Stammesautoritäten abzuwickeln.

Gleichzeitig mit dem wachsenden Einfluß der Parteien, die sich innerhalb der machtlosen Regierungsinstitutionen gegenseitig blockierten, wurden die Regierung und ihre Institutionen schrittweise paralysiert. In allen Angelegenheiten von Belang übernahmen die Parteien die Aufgaben der Regierungsinstitutionen. Zugleich wurde ein grundlegender Wiederaufbau der Region als Voraussetzung dafür, daß ihre Bewohnerinnen und Bewohner irgendwann einmal unabhängig von den Hilfslieferungen des Auslandes würden, niemals betrieben. Zudem machte die Beibehaltung des UN-Wirtschaftsembargos auch gegen die befreiten kurdischen Gebiete die Entwicklung tragfähiger, langfristig stabiler ökonomischer Strukturen unmöglich. Wichtige Ersatzteile und Anlagen beispielsweise dürfen nach wie vor nicht in das Gebiet eingeführt werden.

Die fortschreitende Verelendung der Bevölkerung, wie die aufkommenden innerkurdischen Konflikte, erzeugten erneut Flüchtling dort, wo man sie ansiedeln wollte. In den ehemaligen Sammelstädten, deren BewoherInnen mittels Rücksiedlungsprogramme in ihre ursprünglichen Dörfer zurückkehrten, hat sich eine neue Gruppe Menschen eingerichtet: Jene, die nicht rücksiedelbar sind, weil ihre Städte und Dörfer jenseits der "befreiten" Zone liegen, und solche, die vor den innerkurdischen Kampfhandlungen, vor den Interventionen der Nachbarstaaten und der Verelendung erneut geflüchtet sind.

"Inländische Fluchtalternative " Nordirak:

Der innerkurdische Krieg und die Interventionen von außen

1994 entwickelte sich der seit langem schwelende Konflikt zwischen den großen kurdischen Parteien Kurdische Demokratische Partei (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) zu einem offenen Krieg. Seitdem ist die Region auch geographisch in zwei Lager gespalten: Der nördliche Badinan wird von der KDP kontrolliert, während sich der südliche Soran unter der Kontrolle der PUK befindet. Beide Parteien kontrollieren die jeweilige Region in Alleinherrschaft. Regierungs- und Verwaltungsfunktionen haben seitdem fast ausschließlich Parteifunktionäre inne; faktisch existieren zwei voneinander unabhängige Entitäten (da fragen wir uns auch, was das genau bedeutet. Der Duden ist fern, vielleicht habt ihr ja einen zur Hand) im Nordirak. Gelder, wie Zolleinnahmen und andere Gebühren, die vorher der Regierung zugute kamen, fließen jetzt in die Kassen der Parteien; ein Teil dieser Einnahmen wird in die Bewaffnung weiterer parteieigener Milizverbände für regelmäßig auftretende Parteikämpfe investiert. Diese militärischen Auseinandersetzungen führten zu einer weiteren Destabilisierung der Region, wobei der innerkurdische Warenverkehr zeitweise völlig zum Erliegen kam. Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit in großen Teilen der Bevölkerung sind seitdem verbreitete Grundstimmung. Auf diese verfahrene Lage reagierten die beiden Parteien, indem sie ihre Strukturen militarisierten und nach innen die 1991 erkämpften Freiräume immer weiter einschränkten. Hierbei bedienen sie sich äußerst repressiver Methoden.

Politische Gegner, darunter auch Anhänger kurdischer Organisationen aus der Türkei und dem Iran, werden unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert, zum Teil gefoltert. Extralegale Hinrichtungen sind keine Seltenheit. Der militarisierten Logik zufolge ist jeder, der nicht explizit auf Seiten der jeweilig regional herrschenden Partei steht, verdächtig, mit der Gegenseite zu kooperieren. Freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und andere Grundrechte sind in dieser Atmosphäre nicht gewährleistet. Bisher gelang es den beiden Parteien nicht, aus diesem selbstzerstörerischen Zirkel der Gewalt auszubrechen, Versuche, eine Friedenslösung zu finden, scheiterten regelmäßig. So besteht auch nur eine vage Hoffnung, daß die aktuellen Friedensverhandlungen zu einem positiven Resultat führen.

Wie trügerisch die Sicherheiten, die der Schutzzone 1991 gegeben worden waren, sind, zeigte sich Ende August 1996. Im Krieg gegen die rivalisierende PUK rief KDP-Führer Massud Barzani irakische Truppen zur Hilfe. Irakische Elitetruppen rückten in die Hauptstadt des kurdischen Nordirak Arbil ein und zerschlugen binnen eines Tages den oppositionellen Widerstand. Tagelang durchkämmten Geheimdiensteinheiten der irakischen Regierung die Stadt nach Oppositionellen. Hunderte wurden verhaftet und zum Teil später hingerichtet. Alle internationalen Appelle, der "Invasion" ein Ende zu setzen, blieben erfolglos: Die irakischen Truppen halten lediglich gültiges irakisches Recht auf eigenem Territorium exerziert. Keine Grenze und kein internationales Abkommen existierten, auf das sich die Kurden zum Schutz berufen konnten. Die Invasion wurde so nicht nur zum Desaster für die irakische Opposition, deren Mitglieder schutzlos den irakischen Sicherheitsdiensten ausgeliefert waren, sondern

Flüchtlingslager an der türkisch-irakischen Grenze, 1991.

für die gesamte kurdische Bevölkerung. Die Illusion von Sicherheit, die auf der stillschweigenden Übereinkunft zwischen Hussein und den Golfkriegs-Alliierten beruhte, war zerstört. Als Konsequenz evakuierte die amerikanische Regierung über 5.000 KurdInnen, die für amerikanische Regierungs- und Hilfsorganisationen gearbeitet hatten. Ihre Sicherheit war nicht mehr zu garantieren.

Der irakische Geheimdienst agiert bis heute relativ ungehindert auf kurdischem Territorium; unliebsame Oppositionelle oder Überläufer werden regelmäßig ermordet oder in den Zentralirak verschleppt.

Seit 1994 ist die türkische Armee mindestens siebenmal im Rahmen großangelegter militärischer Operationen in den Nordirak eingedrungen. Bei diesen Operationen wurden auch unter der irakisch-kurdischen Bevölkerung Verhaftungen durchgeführt. Während der Invasion im Frühjahr 1995 wurden innerhalb des irakischen Territoriums Internierungslager der türkischen Armee eingerichtet und irakisch-kurdische Dörfer mit Artillerie beschossen. 1997 drang die türkische Armee bis tief ins Zentrum der Region - ungefähr 200 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt - vor und unterstützte die verbündete KDP im innerkurdischen Parteienkampf. Unabhängigen Beobachtern zufolge bombardierten türkische Kampfflugzeuge Stellungen der irakisch-kurdischen PUK mit Napalm.

Der Nordirak gleicht seit 1991 immer mehr einem riesigen Flüchtlingslager. Viele arabische Flüchtlinge aus dem Süden des Landes, denen eine Flucht ins Ausland nicht möglich war, haben dort Zuflucht gesucht. Schätzungsweise 20.000 - 30.000 türkische und mehrere tausend iranische KurdInnen leben im Nordirak. Rund ein Drittel der irakisch-kurdischen Bevölkerung konnte bislang nicht wieder angesiedelt werden. Zehntausende wurden während der türkischen Militäroffensiven in den vergangenen Jahren zur Flucht gezwungen. Nach UN-Angaben ist alleine aufgrund der innerkurdischen Auseinandersetzungen und der türkischen Interventionen ein Drittel der Bevölkerung vertrieben worden.

Zehn Jahre nach dem irakischen Giftgasangriff auf Halahja und sieben Jahre nach dem Ende des Golfkrieges glauben die Flüchtlinge nicht mehr daran, daß sie mit internationaler Unterstützung in dieser Schutzzone ungefährdet leben können.

Die Flüchtlinge, die heute diese Elendsregion verlassen, ziehen die Ablehnung und Abwehr der potentiellen Aufnahmeländer auf sich.

Europa macht die Schotten dicht:

BRT-60-Radpanzer der ehemaligen DDR im kurdischen Gebiet

Fluchtverhinderung und Abschottung gegenüber kurdischen Flüchtlingen aus dem Irak

In zahlreichen Treffen haben die Staaten der Europäischen Union (EU) unter Federführung der Bundesrepublik ein Aktionsprogramm zur Fluchtverhinderung, Abschotttung der Außengrenzen speziell gegen kurdische Flüchtlinge aus dem Nordirak beschlossen. O-Ton Bundesinnenministerium: "Massive illegale Zuwanderung irakischer Kurden".

Einige Kernpunkte dieses Maßnahmenpaktes sind:

Die Bundesregierung hat zwischenzeitlich eine Bürgschaft über 60 Millionen DM für die Lieferung von Geräten zur Grenzüberwachung an die Türkei übernommen.

Das türkische Regime erhofft sich davon, sowohl den Fluchtweg von kurdischen Flüchtlingen aus der Türkei in den Nordirak abzuschneiden, als auch umgekehrt eine erneute Fluchtwelle von irakischen Kurden in die Türkei zu verhindern. Die deutsche Regierung erhofft sich davon ein wirksames Hindernis, um eine Weiterflucht nach Europa zu erschweren.

Der Preis für die Flucht steigt weiter, im doppelten Sinne: Sie wird teurer und riskanter.

Bundesdeutsche Abschreckungsmaßnahmen gegenüber kurdischen Flüchtlingen aus dem Irak

Flüchtlinge, denen die Flucht in die Bundesrepublik gelungen ist, müssen in Zukunft mit einer restriktiven Anerkennungspraxis, Statusverlust und der Gefahr einer Abschiebung rechnen. Obwohl sich die Lage im gesamten Irak stetig verschlechtert, werden aufgrund veränderter Lageberichte des auswärtigen Amtes asylrelevante Fluchtgründe relativiert. Das Interesse der Bundesrepublik ist klar: Senkung der vergleichsweise hohen Anerkennungsquoten.

Im Juni und August 1997 lieferte das Auswärtige Amt die gewünschten veränderten Lageeinschätzungen. Die Folgen der vermeintlich neuen Realität in Nordirak: sinkende Anerkennungsquoten und flächendeckende Anfechtungsklagen des weisungsgebundenen Bundesheauftragten gegen positive Entscheidungen seit Juli 1997.

Die Zahl der Widerrufsverfahren gegen rechtskräftig anerkannte Flüchtlinge nimmt zu.

Ende Februar 1998 berichtete der Leiter des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge, die Anerkennungsrate bei kurdischen Flüchtlingen aus dem Irak sei innerhalb von neun Monaten von 90% auf 50% gesunken.

Im Herbst 1997 - zu einer Zeit, als die türkische Armee erneut in den Nordirak einfiel, Splitterbomben und Napalm gegen Zivilisten einsetzte - erhielten viele kurdische Flüchtlinge aus dem Irak vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein Schreiben mit dem Textbaustein:

"Bezüglich ihrer Anerkennung als Asylberechtigter in der Bundesrepublik wurde aufgrund der zwischenzeitlich geänderten Situation in Ihrem Heimatland gemäß $73 Asylverfahrensgesetz ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Es ist beabsichtigt, Ihre Anerkennung zu widerrufen und festzustellen (...), daß keine Abschiebehindernisse vorliegen."

Ende 1997 wurden die bereits restriktiven Bedingungen für die Familienzusammenführung weiter verschärft. Es werden original irakische Ausweise der nachzugswilligen Fanilienangehörigen von den bundesdeutschen Behörden verlangt. Seit 1991 gibt es aber keine autorisierte irakische Stelle in der Schutzzone, die Pässe ausstellen und verlängern konnte. Von der irakischen Verwaltung verbliebene Vordrucke wurden verwendet, ohne daß diese in der Regel von der deutschen Botschaft in Ankara beanstandet wurden. Inzwischen werden nach langwierigen Überprüfungsverfahren solche Pässe als gefälscht eingestuft und der Visumsantrag abgelehnt. Den nachzugswilligen Familienangehörigen wird zur Identitätsklärung ein Speicheltest zugemutet, um die Abstammung der Kinder von den Eltern feststellen zu können.

Ob im Rahmen dieser mannigfaltigen Flüchtlingsabwehr-Aktivitäten in naher Zukunft auch Abschiebewege in den Nordirak realisiert werden, bleibt eine noch offen Frage.

Momentan besteht für kurdische Flüchtlinge aus dem Irak der einzige noch bestehende Abschiebestopp nach $54 Ausländergesetz. Es dürfen keine Abschiebungen über Bagdad erfolgen. Abschiebungen über den Landweg via Jordanien oder Türkei sind bis jetzt nicht möglich. Obwohl es zahlreiche Hinweise gibt, daß die Bundesregierung über ein Durchschiebeabkommen mit der Türkei bereits Verhandlungen geführt hat und auf europäischer Ebene dieses Abkommen in verschieden Gremien gewünscht wird, - dementierte die Bundesregierung im Oktober und November 1997 jegliche Verhandlungen mit Transitländern wie Türkei und Jordanien über diese Frage.