"Euskal Presoak Euskal Herrira!"

der Kampf der baskischen politischen Gefangenen

Seit dem 15. Januar 1996 befinden sich die etwa 550 baskischen politischen Gefangenen in einem ständigen Kampf. Abwechselnd mit Hungerstreiks und verschiedenen Protestaktionen wie Selbsteinschliessungen in den Zellen kämpfen sie für die Erfüllung ihrer Forderungen. Seit November 1997 machen jeweils kleinere Gruppen in den einzelnen Knästen rotierende, einwöchige Hungerstreiks, so dass in den meisten Knästen immer eine Gruppe im Streik ist. Ihre Forderungen sind: Zusammenlegung aller Gefangenen im Baskenland, Freilassung der sieben haftunfähigen Gefangenen, Freilassung der 104 Gefangenen, die 3/4 ihrer Haft abgesessen haben, auf Bewährung und die Respektierung der elementaren Menschenrechte: Recht auf physische und psychische Unversehrtheit, auf Information, auf freie Verteidigung, auf Bildung, auf ein Privatleben. Sie wollen ein kollektive Lösung für alle Gefangenen und haben sieben SprecherInnen gewählt. Im Mai 1997 unterbrachen sie den Kampf und forderten die spanische Regierung in einer mit einem Ultimatum verbundenen Erklärung zu Verhandlungen auf. Im November gingen die Hungerstreiks wieder los.

Wer sind die Gefangenen?

Das Gefangenenkollektiv ist sehr vielschichtig. Menschen verschiedenen Alters, aus unterschiedlichen Kämpfen und Organisationen, verschiedener Herkunft und Nationalität, knapp 500 Männer und etwa 60 Frauen, die sich im Knast organisieren und am Kampf der baskischen Unabhängigkeitsbewegung teilnehmen.

Die meisten sind wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der ETA verurteilt bzw. in Untersuchungshaft. Ein Teil der Gefangenen waren Mitglieder der Kommandos von ETA, andere, die vom Staat und den Gerichten ebenfalls als ETA-Mitglieder angesehen werden, nicht: um die hundert sind militante Jugendliche, die bei Strassenkämpfen festgenommen wurden oder für Sabotageaktionen verantwortlich gemacht werden. Ihnen wird das Werfen von Steinen und Molotow-Cocktails, Brandanschläge auf Banken, Polizeiwachen und -autos, Parteilokale, Telefonzellen und Busse angelastet, einige sind schon für solche Aktionen zu bis zu 10 Jahren verurteilt worden. Die 22 Mitglieder des Vorstandes von Herrn Batasuna, die im Dezember letzten Jahres zu sieben Jahren verurteilt wurden, weil sie die "Alternativa Democratica", den Friedensverhandlungsvorschlag von ETA, verbreitet hatten, gehören ebenfalls zum Kollektiv. Aus der baskischen ökologischen Bewegung "Solidarios de Itoiz" befinden sich auch einige AktivistInnen im Knast, die Teil des Kollektivs geworden sind. Sie hatten die Bauarbeiten an dem Staudammprojekt Itoiz durch eine sehr intelligente Sabotageaktion für ein Jahr zum Erliegen gebracht und sich anschließend gestellt. Ihnen soll im April 1998 hater Prozess gemacht werden.

Einige Dutzend der baskischen politischen Gefangenen sind, wie der aus der BRD ausgelieferte Benjamin Ramos Vega, aus anderen Bewegungen und Organisationen, die sich in unterschiedlicher Form mit dem Kampf im Baskenland solidarisier(t)en. Darunter sind einige weitere Menschen aus der katalanischen und galizischen Unabhängigkeitsbewegung und relativ viele FranzösInnen bzw. BretonInnen, die die zahlreichen baskischen Flüchtlinge in Frankreich unterstützt hatten oder eben Mitglieder der ETA waren. Insgesamt 60 baskische politische Gefangene befinden sich in zehn französischen Knästen.

Einigen, auch der im November 1996 in Frankreich verhafteten Frankfurterin Petra Elser, droht zusätzlich noch die Auslieferung nach Spanien, wo sie teilweise wegen der gleichen Straftaten nochmals verurteilt werden. Dazu kommen etwa zehn Gefangene aus den 1982 bzw. 1985 aufgelösten illegalen Organisationen ETA politico-militar und Comandos Autonomos Anticapitalistas.

Die zahlreichen "insumisos", Totalverweigerer, bilden soweit bekannt ein eigenes Kollektiv. Es waren bis vor einem Jahr etwa 250 baskische "insumisos" im Knast. Die 1996 verabschiedete Strafrechtsreform sollte die Totalverweigerung, für die bis dahin immer zwei Jahre, vier Monate und ein Tag verhängt worden war, entkriminalisieren. Aktuelle Informationen darüber haben wir leider nicht.

Trotz dieser Unterschiedlichkeit und der Isolation führt das Kollektiv jetzt seit über zwei Jahren einen permanenten Kampf.

Ihre Hauptforderung:

Zusammenlegung im Baskenland! richtet sich gegen die sogenannte "Politik der Verstreuung", die in der Folge des spanischen EG-Beitritts 1987 von der damaligen PSOE-Regierung durchgesetzt worden war. Dieses Projekt umfasst eine Reihe vor Maßnahmen, die alle bis heute wirksam sind und darauf zielen, das Kollektiv der Gefangenen zu zerstören, die einzelnen zu isolieren und mit einer Kombination aus massivem Angriff und der Option von Vergünstigungen bis zur Freilassung zum Aufgeben zu bringen. Kernstück ist die physische Isolation der Gefangenen untereinander und nach draußen.

Die Haftbedingungen

Die Gefangenen, die bis Mitte der 80er Jahre in großen Gruppen in Knästen wie Herrera de la Mancha zusammen gelebt und gekämpft hatten, wurden schrittweise voneinander isoliert: zuerst wurden sie in Gruppen von 5 - 10 Gefangenen auf 62 Knäste aufgespalten, bald aber schon auf über hundert Knäste im gesamten Staatsgebiet einschließlich der nordafrikanischen Kolonien verteilt. Bis zum Beginn des aktuellen Kampfzyklus Anfang 1996 waren allerhöchstens drei politische Gefangene in einem Trakt, in der Regel waren sie allerdings vollständig voneinander getrennt. Das Konzept der Isolation der Gefangenen zielte auch auf die Trennung von ihren Angehörigen und FreundInnen. Nur 7% der Gefangenen kamen ins Baskenland, wesentlich weniger als die 36 Gefangenen, die in die Knäste auf den Kanarischen Inseln verlegt wurden.

Die Besuche werden durch die langen Anfahrtswege bis zu 3000 Kilometer und die kurzen Besuchszeiten von 2 mal 20 Minuten wöchentlich erschwert. Für die Angehörigen ist das eine ungeheure finanzielle und zeitliche Belastung. Nicht selten erfahren BesucherInnen erst am Knast, dass der/die Gefangene verlegt worden ist, allerdings wird ihnen nicht mitgeteilt wohin. Es gibt neben den fast schon regulären Beschimpfungen und Bedrohungen teilweise auch massive Angriffe gegen die BesucherInnen: ihre Autos wurden demoliert, ihnen wurde Geld gestohlen, vor zwei Jahren bewarfen Schließer einen Kleinbus von Angehörigen vor dem Knast mit Steinen. Vier Angehörige sind in den letzten 11 Jahren bei Verkehrsunfällen auf der Anfahrt ums Leben gekommen.

Die Isolation und der Angriff auf den/die Einzelne beginnt bei der Festnahme:

das Antiterrorismusgesetz erlaubt es den Polizeikräften, Festgenommene fünf Tage lang in Polizeikasernen in sogenannter "incomunicacion" festzuhalten, ohne dies irgendjemanden mitteilen zu müssen. Weder Angehörige, noch AnwältInnen oder ÄrztInnen dürfen in diesen Tagen verständigt werden, die Gefangenen sehen nur Polizisten. Schätzungsweise die Hälfte der Festgenommenen, 1997 waren es insgesamt 1036 Personen, werden in dieser Zeit gefoltert. Gängige Methoden sind Erstickungen durch Überstülpen von Plastiktüten oder/und Untertauchen in Badewannen, sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigungen, Schläge mit Telefonbüchern, Scheinerschiessungen, Schlafentzug, Verabreichung von Drogen und Drohungen aller Art, besonders mit dem Tod oder der Folterung von Angehörigen. Die Methoden sind in den letzten Jahren wegen der schlechten Erfahrung mit der Öffentlichkeit dahingehend verfeinert worden, dass sie im Gegensatz zu Elektroschocks etc.. kaum noch nachweisbare körperliche Verletzungen hinterlassen. Nach fünf Tagen werden die Gefangenen dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der sie 1997 in 87% der Fälle freiliess. Diese Zahl kommt deshalb zustande, weil die Polizei die Folter breit zur Einschüchterung und zur Erpressung von Informationen einsetzt. Ähnlich wie bei den 129a-Verfahren hier wird letztendlich nur ein Bruchteil der Festgenommenen am Ende vor Gericht gestellt. Die körperlichen Angriffe gehen in den Knästen weiter. Zwei baskische politische Gefangene sind 1997 - vorsichtig ausgedrückt - unter "ungeklärten Umständen" erhängt aufgefunden worden. Besonders die jugendlichen politischen Gefangenen wurden in letzter Zeit mehrfach von Schließern und von einzelnen Gruppen sozialer Gefangener, die mit dem Knastregime zusammenarbeiten, zum Teil mit Eisenstangen etc.. überfallen. Sowohl gegen soziale wie gegen politische gefangene Frauen haben sexualisierte Angriffe zugenommen.

1997 haben 1558 Frauen deshalb Anzeige erstattet. Insgesamt finden die allermeisten Angriffe während der häufigen Verlegungen statt, für die die paramilitärische Guardia Civil zuständig ist.

Einige der Gefangenen sind durch die Haftbedingungen schwer erkrankt, bei anderen haben sich ihre Krankheiten durch medizinische Unterversorgung massiv verschlimmert. Eine adäquate medizinische Behandlung findet nicht statt.

Ausführungen in Krankenhäuser sind die Ausnahme und wenn, dann werden die Gefangenen, selbst bei Operationen und gynäkologischen Untersuchungen, angekettet und befinden sich unter permanenter und direkter Überwachung durch bewaffnete Guardia Civil-Beamte. Zehn haftunfähige Gefangene sind bisher in den Knästen gestorben. Der HIV-positive Benjamin Ramos Vega, der im Juni 1996 aus der BRD ausgeliefert und im September 1997 zu elf Jahren und vier Monaten verurteilt wurde, besitzt nur noch ein Zehntel seiner Immunabwehr. Er war bei seiner Festnahme in Berlin vor vier Jahren gesund. Die haftunfähigen Gefangenen werden besonders unter Druck gesetzt: sie können freigelassen werden, wenn sie öffentlich erklären, dass ihr Kampf sinnlos war und ihr Leben zerstört hat.

Jeder Knast verfügt über eine Truppe von Psychologlnnen und SozialarbeiterInnen, die das Verhalten der einzelnen Gefangenen beobachten und analysieren. Wie auf dem Schachbrett setzen sie mittels Verlegungen die sozialen Konstellationen zusammen, die ihnen für die Zerstörung der Beziehungen und das Weichkochen der Gefangenen am günstigsten erscheinen.

Sie versuchen dabei häufig, persönliche Rückschläge wie die Trauer um den Tod vor GenossInnen oder Angehörigen, Streit und politische Diskussionen unter den Gefangenen auszubeuten. Ab und zu werden auch einzelne Zitate aus mitgelesenen Briefen der internen politischen Diskussion der Gefangenen an die Zeitungen gegeben, um die politische Lage zu beinflussen oder um Spaltungen zu provozieren. Wenn sie aus diesen Beobachtungen zu der Auffassung kommen, dass der Augenblick gekommen ist, bieten sie Einzelnen Vergünstigungen wie z.B. Freigang, medizinische Behandlung oder Verlegung in die Nähe des Baskenlandes an. Das sogenannte "Programm zur Wiedereingliederung" umfasst alles bis hin zur Freilassung und finanziellen Starthilfen. Mit den reuigen Gefangenen, denen ganze Zeitungsseiten eingeräumt werden, wenn sie z.B. etwas gegen ETA sagen, soll dann medienwirksam die Perspektivlosigkeit des Kampfes demonstriert werden.

Die "Politik der Verstreuung" ist gescheitert. Nicht einmal 20 Gefangene haben sich in den elf Jahren seit ihrer Einführung vom Kollektiv getrennt und mit dem Staat zusammengearbeitet. Der Druck auf die Gefangenen, der nach wie vor aufrechterhalten wird, hat nicht zur Zerstörung des Kollektivs geführt. Politisch sind die Gefangenen in der Offensive, ihr Kampf hat eine breite und sehr aktive Solidaritätsbewegung im Baskenland ausgelöst. Die Mehrheit der BaskInnen unterstützt die Forderungen, die, die dafür kämpfen, das sind allerdings weniger. Die Gefangenenfrage hat eine enorme soziale und politische Bedeutung.

Das Baskenland ist klein, es hat nur 2,5 Millionen Einwohnerinnen. Seit dreissig, vierzig Jahren befinden sich mit einer Unterbrechung von einem Jahr nach der Amnestie 1977 ununterbrochen über 500 politische Gefangene im Knast.

Fast aus jedem Dorf sind Leute inhaftiert, ihre Bilder hängen in den Kneipen und an den Hauswänden. Wenn jemand entlassen wird, kommen in einem kleinen Dorf mehrere hunderte zur Begrüssungsfeier. Einige Gefangene sind, ähnlich wie in Nordirland, zu StadträtInnen, BürgermeisterInnen oder BetriebrätInnen gewählt worden. Besonders die Angehörigen haben durch einen zähen Kampf dazu beigetragen, eine breite Bewegung aufzubauen. Ebensolange wie die Gefangenen sind Woche für Woche schon über zwei Jahre jeweils eine Gruppe von 15 Personen im Solidaritätshungerstreik. Die Gruppen, die daran teilnehmen, spiegeln die Breite der Solidarität: Angehörige, SchülerInnen, StudentInnen und ProfessorInnen, GewerkschafterInnen, Sportvereine, MusikerInnen, Pfarrer, Elternvereinigungen, etc... Mehrmals hat es auch große Demonstrationen mit bis zu 50 - 60 000 TeilnehmerInnen gegeben, zuletzt am 5. April 1998. Es gibt auch zahlreiche militante Aktionen in Solidarität mit den Gefangenen, 1997 waren es über 400.

ETA unterstützte die Gefangenen sehr massiv und schnell zu Beginn des Kampfes mit bewaffneten Aktionen. Im Baskenland führte ETA fünf Angriffe auf Knastpersonal durch, einige Schließer und ein Psychologe starben. Eineinhalb Jahre hielt ETA einen Schließer gefangen, bis er im Juli 1997 von der Guardia Civil befreit wurde. Das Gefangenenkollektiv hatte die Geiselnahme gegen den Schließer ausdrücklich in einer Erklärung unterstützt. Nachdem es im Sommer letzten Jahres aus Anlass der Erschießung eines Lokalpolitikers der Regierungspartei PP zu großen Demonstrationen gegen ETA, einer immensen internationalen Medienkampagne gegen die baskische Linke und auch zu einer Debatte in der baskischen Linken über den bewaffneten Kampf kam, zog ETA hieraus im November 1997 die Konsequenz, alle für die Knastfront vorgesehenen Aktionen auszusetzen. Gleichzeitig forderte ETA die Kräfte der baskischen Gesellschaft auf, die Zusammenlegung der Gefangenen zu erkämpfen. Die umstrittenen Angriffe auf Lokalpolitiker der PP halten allerdings an. In den letzten zehn Monaten hat es neun Anschläge mit fünf Toten gegeben.

Zusammen mit der Kriminalisierung von Herri Batasuna ist die Gefangenenfrage im Baskenland der Punkt, an dem die Konfrontation der baskischen Linken mit dem spanischen Zentralstaat am breitesten und deutlichsten ist. Beides hängt eng mit dem gesamten Konflikt zusammen. Der Friedensvorschlag ETAs, der von der baskischen Linken breit unterstützt wird, fordert u.a. die Freiheit der Gefangenen als Bedingung einer endgültigen politischen Lösung. Für die Regierung sind die "ETA-Gefangenen" ein Druckmittel in ihrer Hand. Wenn sie eine/n Gefangene/n von den Kanaren nach Malaga verlegen, ist das eine Schlagzeile. Je nachdem, was gerade opportun ist, wird dies als Geste des guten Willens oder als Einbruch in der Anti ETA-Front gesehen.

Die PP-Regierung und die PSOE sind bisher völlig unbeweglich, sowohl hinsichtlich Verhandlungen mit ETA als auch hinsichtlich der Gefangenen. Die bürgerlichen Parteien des Baskenlandes, vor allem die rechte PNV, die spanische Vereinigte Linke, die spanische sozialdemokratische und die "kommunistische" Gewerkschaft schwanken zwischen ihrer Unterstützung des Krieges gegen ETA und dem Konzept einer individuellen "Annäherung", d.h. einzelne Gefangene sollen näher an das Baskenland verlegt werden. Die Mehrheit des baskischen Parlaments hat im Mai und im Oktober 1997 zwei Resolutionen verabschiedet, in der von der Madrider Regierung gefordert wurde, auf die Forderungen der Gefangenen "einzugehen". Jetzt strengt das baskische Parlament eine Klage gegen die spanische Regierung vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof an.

Bisher haben weder bewaffnete Aktionen noch parlamentarische Resolutionen erreicht, dass sich real etwas an den Haftbedingungen ändert. Aber das heißt nicht, dass die Bewegung schwach und isoliert ist, wie es in der deutschen Presse gerne geschrieben wird, es heißt nur, das noch mehr getan werden muss. Bis die Forderungen der Gefangenen erfüllt werden.