GUTE ZEITEN, SCHLECHTE ZEITEN

Die Motivation darzulegen, sich an diesem Projekt zu beteiligen, bedeutet, sich in einem Dilemma zu bewegen. Es ist eigentlich nicht möglich, eine Entscheidung für gerade dieses Engagement zu begründen, ohne weit auszuholen: Gesellschaftsanalyse, Zustand der Restlinken / fortschrittlichen Kräfte, darüber schließlich Verortung des Projektes. An den Betrachtungs- und Denkprozessen, die mit diesen Schlagworten umrissen sein sollen, knabbern jedoch eine Reihe von Leuten seit einer Reihe von Jahren. Es wäre vermessen zu behaupten, es ginge nicht über die Kapazitäten unserer Köpfe, derartiges leisten zu können. Wir wollen also versuchen, einige Gründe für unsere Beteiligung im Projekt zusammenzutragen, einige Ansprüche und Erwartungen zu formulieren, ohne uns in Worthülsen zu verlieren, die den Zustand von Gesellschaft und politischen Kräften beschreiben sollen.

Zur Strukturierung unserer Gedanken erweist es sich als hilfreich, zwei Herangehensweisen zu unterscheiden. Zunächst ist unser Ausgangspunkt das Individuum mit seinen Befindlichkeiten (der Bauch). Kennzeichnend ist für diese Annäherung eine persönliche Gebundenheit der Argumente. In einem zweiten Abschnitt stehen die über das Individuum hinausgehenden Zusammenhänge im Vordergrund, die Struktur des Projektes (der Kopf). Diese Unterteilung kann nichts anderes sein als ein Krückstock, da die beiden Ebenen statisch sind und in ihrer klaren Umrissenheit und Begrenztheit nicht unbedingt die Realität wiederspiegeln, in der Kopf und Bauch ständig ineinanderfließen und sich ergänzen.

DER BAUCH

you are my heart Grundsätzlich ist vorauszuschicken, daß in der Regel bei unserem Projekt nicht die Möglichkeit besteht, sich dafür zu entscheiden, ins Büro zu gehen und Mitglied zu werden. Voraussetzung für eine Mitarbeit sind Kontakte, Beziehungen, Erfahrungen, die zur Folge haben, daß Einzelpersonen oder Gruppen in das Projekt einsteigen und eingebunden werden können. Eine Beteiligung entsteht also aller

Wahrscheinlichkeit nach sowohl aufgrund von theoretischpolitischen Überlegungen und daraus folgenden Entscheidungen als auch durch persönliche Bindungen. Dementsprechend ist ein wichtiges Motiv für unsere Mitarbeit die Möglichkeit, etwas mit Menschen zusammen zu machen, mit denen wir auf einer Wellenlänge sind, und uns dabei in einen weiteren Rahmen einbinden zu können.

Da in den letzten Jahren viele Projekte und Gruppen ihre Arbeit eingestellt haben, sehen wir uns in der Wahl eines Betätigungsfeldes nicht so frei, wie wir es gerne wären. Wir begrüßen sehr die Kontinuität und den verbindlichen Rahmen, in dem gearbeitet wird. Diese Faktoren wirken sich positiv auf unsere Arbeit aus. Wir sind genauer, ausdauernder, zielstrebiger und kriegen mehr auf die Reihe als in weniger verbindlichen Strukturen. Es ist spannend, andere über das Projekt kennenzulernen, einen Austausch miteinander zu haben und zu diskutieren. Die entstehenden Kontakte würden wir ansonsten wohl kaum knüpfen, schon gar nicht in dieser Intensität. Das ist bereichernd, macht zufrieden und - nicht zu vergessen - Spaß.

Zu Anfang fühlten wir uns geschmeichelt, zur Mitarbeit aufgefordert worden zu sein. Wir freuten uns, daß uns das dafür notwendige Maß an Vertrauen entgegengebracht wurde. Die Beteiligung gab uns vor uns selbst Wichtigkeit und nach außen hin in bestimmter Hinsicht Macht (z.B. durch Informationen, die wir erhielten). Spannung und die Lust auf Räuber-und-Gendarm-Spiel waren zunächst weitere motivierende Faktoren. Im Laufe der Zeit erwiesen der Kribbel und heimliche Wichtigtuerei sich jedoch als der vergängliche Reiz des Neuen. Wir mußten feststellen, es gibt bei der Arbeit immer wieder viel zu viele ... nennen wir es einfach Unannehmlichkeiten, um solche Scheinbarkeiten als Motivation ausreichen zu lassen.

angle

Nach wie vor wichtig finden wir die Möglichkeit, uns durch und für das Projekt besondere Techniken anzueignen und Erfahrungen damit zu sammeln. Wir lernen, mit Sachen umzugehen und uns in verschiedenen Situationen zu bewegen. Unabhängig von der Zukunft und Ausrichtung des Projektes und unserem Platz darin halten wir die erlernten Dinge für eine sinnvolle Ergänzung unserer Fähigkeiten. Mittlerweile würden wir unter diese Rubrik über das rein Technische hinaus auch unsere Beweglichkeit in gruppendynamischen Prozessen fassen, gerade in solchen, die unter schwierigen Bedingungen und Druck stattfinden müssen.

DER KOPF

Als eine der Hauptaufgaben des Projektes sehen wir die Informationsumverteilung an. Über die reine Weitergabe von Nachrichten hinaus können Themen in die öffentliche Diskussion getragen werden, sei es daß vorhandene Anstöße aufgegriffen oder neue gegeben werden, die u.U. diskursbildend wirken können. Mit Hilfe des Projektes kann die Auswahl der Themen überlegt, langfristig und vor einem fundierten Hintergrund geschehen. Die Kapazitäten und Kompetenzen, die zusammengetragen werden, gehen über die Möglichkeiten einer Einzelperson oder einer einzelnen Gruppe hinaus. Weiter hat die Zeitschrift die Funktion

einer Klammer, die einen Zusammenhalt der Personenkreise bewirkt, die sich durch sie repräsentiert sehen. In guten wie in schlechten Zeiten sollte sie die Bewegung, als deren Teil sie sich versteht, informieren, hinterfragen und kritisieren sowie tiefergehende Analysen zu den Ereignissen des Tages liefern. In guten Zeiten ist das Projekt ein Selbstläufer, getragen von der Hochstimmung. In schlechten Zeiten kommen Aufgaben hinzu, wie überhaupt eine Kommunikation aufrecht zu erhalten und mobilisierend zu wirken. (Es sei dahingestellt, was genau gute und schlechte Zeiten sind, wann eine gute Zeit aufhört und eine schlechte beginnt und wie eine Verbesserung der Zeit erreicht werden kann. Das ausdauernde Einschalten bei der schlechtesten aller Soaps hat uns in dieser Hinsicht jedenfalls nicht weitergebracht. Auch über die Bewegung an und für sich oder über den Stillstand wollen wir uns hier nicht weiter auslassen. Wir nehmen es als gegeben, daß eine Bewegung existiert, deren Teil wir sind. Auf alle Fälle glauben wir zu wissen, daß es so etwas einmal gegeben hat, sowie daß jede über den Automatismus

hinausgehende Bewegung Institutionen braucht, die mit den aufgeführten Aufgaben betraut werden.)

Wir denken uns das Projekt nicht als eine geschlossene Arbeitsgruppe, die gemeinschaftlich alle Beschlüsse faßt, sondern eher als einen Zusammenschluß verschiedener Gruppen, die kooperieren. Darin liegt das Potential der Heterogenität: Gruppen mit unterschiedlichem Hintergrund und u.U. unterschiedlichen Ansätzen können zusammenarbeiten, diskutieren und Unterschiede nebeneinander stehenlassen, so daß die Verschiedenartigkeit zu einem runderen gemeinsamen Ergebnis führt.

Wie aus der jüngeren (oder mittlerweile älteren) Geschichte klar geworden ist, muß sich das Projekt ständig neu die Bedingungen für seine Arbeit schaffen. Immer wieder von neuem ist sicherzustellen, daß eine ausreichende Anzahl von Personen zur Mitarbeit bereit

ist, so z.B. wenn einzelne oder ganze Gruppen aufhören. Die Logistik muß stehen, Möglichkeiten fallen weg, neue müssen gesucht und gefunden werden. Es muß sich ständig neu zeigen, was machbar, durchführbar, haltbar ist. Genauso ergibt sich aus dem "Produkt" und den Reaktionen darauf ständig wieder eine Legitimation für die Existenz des Projektes, erweist es sich, ob sich der Aufwand lohnt und Sinn macht oder nicht. Deutlichstes Beispiel: Wenn es kein (an-)greifbares Produkt gibt, kein Ergebnis, spielt es letztlich keine Rolle, ob das Projekt existiert oder nicht. Natürlich können ein paar Leutchen zusammenkommen und sich die Köpfe heißreden, sie sich sogar einschlagen, wenn es ihnen Spaß bereitet. Sie können es aber auch sein lassen. Es ist egal. Wir wollen jetzt nicht einen argumentativen Kreis bilden nach dem Motto: Weil es das Projekt gibt, macht es Sinn, daß es das Projekt gibt. Es erscheint uns jedoch wichtig herauszustellen, daß handfeste, praktische Überlegungen natürlich auch eine Rolle spielen und die Notwendigkeit des Projektes nicht nur abstrakt begründet werden kann. Auch bei der eingangs erwähnten Verortung kann es sich nur um einen Prozeß handeln, der eigentlich nur zusammen mit einer entsprechenden Praxis stattfinden kann. Eine Verortung ist nicht das einmalige Beziehen eines Standpunktes, sondern neben einer Arbeitsgrundlage gleichzeitig eine Arbeitsweise: Uns immer wieder zu reflektieren und in einen geschichtlichen und gesellschaftlichen Rahmen einzuordnen. Als Ideal erhoffen wir uns aus einer solchen Struktur die Entwicklung neuer Perspektiven. Erscheint die Existenz des Projektes also immer wieder sinnvoll und notwendig, so ergibt sich daraus die Motivation für eine Beteiligung und Mitarbeit. Die Bereitschaft einzelner Individuen, Zeit und Energie in das Projekt zu stecken, wird verstärkt, bzw. entsteht überhaupt erst.

Der Punkt, an dem Kopf und Bauch sich treffen, ist die Frage, ob es möglich ist,

  1. ein Projekt entsprechend unseren persönlichen Vorstellungen zu verwirklichen, dabei

  2. alte Fehler zu vermeiden und darüber hinaus

  3. neue Vorstellungen von Organisierung / gesellschaftlicher Veränderung zu entwickeln.

In diesem Sinne verstehen wir unsere Mitarbeit als einen Versuch - die weitere Entwicklung wird zeigen, inwieweit er erfolgreich ist.