Interview mit der Antifa (M)

Am 17. August soll vor dem Lüneburger Landgericht gegen 17 vermeintliche Mitglieder der Autonomen Antifa (M) aus Göttingen wegen “Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung” der Prozeß eröffnet werden. Nachdem ursprünglich nach 129a (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) verhandelt werden sollte, dies das Landgericht Celle aber nicht zuließ, soll nun eine ganze Antifa-Gruppe zur kriminellen Vereinigung erklärt und abgeurteilt werden. Den Anklagen, die im Frühjahr 1995 erhoben wurden, waren nach über vierjährigen Ermittlungen im Juli 1994 zahlreiche Hausdurchsuchungen vorausgegangen. Die über 100 Seiten lange Anklageschrift, die die Kriminalität der Gruppe belegen soll, handelt hauptsächlich vom Selbstverständnis der Gruppe, das mit zahlreichen Flugblättern und Veröffentlichungen belegt wird.

Die radi sprach mit einem Angeklagten, der im folgenden Viktor heißt, und mit Viktoria, die Mitglied der Autonomen Antifa (M) ist über die Grundlage und Einschätzung des Verfahrens, das Interesse der Staatsanwaltschaft, Gemeinsamkeiten mit dem radi-Verfahren, die Rolle von Konspirativität, Gefährlichkeit, Unkontrollierbarkeit und Unkalkulierbarkeit für die Hintergründe der Verfahren, über Prozeßstrategien und revolutionäre Politik im bürgerlichen Gerichtssaal, über den Schwarzen Block, seine Rolle im Verfahren und linksradikale Kritik an ihm, über Integrationsstrategien und präventive Konterrevolution, über die Vermittlung von systemkritischen Ansätzen, über Forderungen, die nicht über ihre Rechtsstaatlichkeit hinauskommen, über autonome Medienarbeit und ihre Grenzen und vieles mehr. In vielen Punkten waren wir uns nicht einig, andere sahen wir ähnlich, auf jeden Fall war die Diskussion, die teilweise auch um alte Streitpunkte ging, interessant und produktiv, und trotz einiger Meinungsverschiedenheiten solidarisch - und das ist ja, wie frühere Diskussionen um ähnliche Themen zeigen, nicht immer selbstverständlich.

Noch was, bevors los geht: Um es euch einfacher und übersichtlicher zu machen, haben wir die zusammenhängende Diskussion versucht, ein wenig zu gliedern und Zwischenüberschriften kreiert. Diese sind trotzdem nicht immer inhaltliche Abschnitte, manchmal wird ohne Bruch von einem Thema zum anderen übergeleitet, so daß wir manche Zwischenüberschriften mitten rein gefügt haben.


Grundlage der Verfahren

Worauf stützt sich die Anklage außer einer Flugblattsammlung? Ich meine, womit werden die Verfahren gegen Einzelne begründet, was enthalten die Akten?

Viktoria: Alles eigentlich: Telefonabhörprotokolle, Observationsprotokolle, beschlagnahmte Gegenstände aus den Durchsuchungen, Plakate, Flugblätter...

Viktor: Den allergrößten Teil machen allerdings sämtliche Veröffentlichungen der Gruppe der letzten fünf Jahre aus. Über die Qualität der bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Sachen gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Ich denke, was im Prozeß wichtig sein wird, werden Telefonprotokolle und Teile der Protokollbücher sein, die sie bei den Durchsuchungen gefunden haben. Das sind für die GStA die Bausteine, aus denen sie im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen die Anklage konstruieren. Allerdings haben wir von den mittlerweile rund 130 Ordnern nur 31 erhalten, das heißt, wir haben nichtmal in ein Drittel der Akten Einsicht.

Wenn in den Akten hauptsächlich Flugblätter oder Protokolle gesammelt sind - sind dann überhaupt konkrete Straftaten angeklagt?

Viktoria: Obwohl die Staatsanwaltschaft selbst immer betont, daß es nur darum gehe, Straftaten zu verfolgen, wird in der Anklageschrift ein anderes Interesse deutlich. In diesem Zusammenhang muß man auch deren Beschreibung unseres Selbstverständnisse sehen.

Interesse der Staatsanwaltschaft - Charakterisierung der Gruppe in der Anklageschrift - Rolle der “Konspirativen Organisierung” und Zusammenhang zum radi-Verfahren

Und was vermutet ihr hinter diesem anderen Interesse? Was für einen Zweck hat die Beschreibung eures angeblichen Selbstverständnisses? Und wie ist dieses Selbstverständnis deren Meinung nach?

Viktoria: Die Abhandlung über unsere Ziele und Inhalte verdeutlicht den politischen Charakter der Verfahren, d.h. zunächst ist unsere antiimperialistische inhaltliche Ausrichtung schon kriminell. Sie behaupten beispielsweise, daß die Autonome Antifa (M) Antifaschismus und Bündnispolitik nur als Mittel zum Zweck einsetzt, um ihre eigenen Ideen durchzusetzen. Dann erst werden die sog. Straftaten aufgelistet, um auch juristisch gegen uns vorgehen zu können.

Viktor: Mit Hilfe der Telefonprotokolle und Observationsberichte ist die ganze Charakterisierung der Gruppe so aufgebaut, daß sie unter die Schablone des 129 paßt. Es gibt verschiedene Kriterien, die den 129 erfüllen, und die pressen sie der Gruppe auf.

Viktoria: Sie behaupten, die Autonome Antifa (M) sei konspirativ organisiert, was ja in völligem Widerspruch zu dem steht, wie wir uns gegründet haben. Als Beispiel: Im Organisierungspapier 1991 sagen wir, wir schaffen eine Kontaktadresse - was damals für autonome Gruppen noch sehr unüblich war - und wollen öffentlich ansprechbar sein für Interessierte. Daraus machen sie jetzt eine Deckadresse, weil diese über einen Buchladen läuft. Oder sie schustern uns eine Hierarchie zu, weil es AGs gibt, die gegenüber dem Gesamtplenum rechenschaftspflichtig sind. Dann charakterisieren sie uns auf der einen Seite als politisch und ziehen über den Antifaschismus her, auf der anderen Seite sagen sie, unsere Haupttätigkeit sei - so der Gesetzestext des 129 - kriminelle Taten zu begehen. Im zweiten Absatz des Paragraphen steht, solange das nicht Haupttätigkeit ist, ist der 129 nicht anzuwenden. Bei diesem angeblichen Selbstverständnis wird auch nicht die gesamte Breite unserer Politik dargestellt, sondern fast ausschließlich Bündnispolitik und Demonstrationen, und darin besonders der Schwarze Block. Die “kriminellen Tätigkeiten” sind dann auch hauptsächlich Demonstrationsdelikte, also sog. Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.

Ihr habt gesagt, in der Anklageschrift wird behauptet, ihr seid konspirativ organisiert. Das ist im Verfahren gegen uns auch ein wichtiger Punkt. Spielt das eine zentrale Rolle?

Viktor: Die Autonome Antifa (M) ist nicht konspirativ organisiert. Sie hat ein legal angelegtes Konzept. Genau wie der Begriff der Illegalität ist auch der Begriff der Konspirativität definiert durch die Öffentlichkeit. Da reicht es ja schon, wenn du als AntifaschistIn nicht mit Namen auftrittst, so wie in den bürgerlichen Medien sonst jeder mit Namen erwähnt wird, sondern als Gruppe. Sei es weil du dich schützen willst vor dem Zugriff der Sicherheitsbehörden, oder einfach den kollektiven Moment in den Vordergrund stellen willst und sagst: die Einzelmeinung zählt gar nicht so viel, sondern es geht darum, Gruppenpositionen zu repräsentieren. Und so ähnlich ist das auch mit dieser Adresse geartet: wo dann gesagt wird, weil es eine Kontaktadresse gibt - das hat ja mittlerweile jede Gruppe - ist es konspirativ. Eine größere Rolle spielt das nicht.

Aktueller Stand - die faktische Nicht-Durchführbarkeit des Prozesses und die sozialen und persönlichen Folgen für die Angeklagten

Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens? Gibt es schon einen Termin und Ort für den Prozeß?

Viktoria: Der erste Verhandlungstag ist auf den 14. August 1996 festgelegt, wobei der Ort noch unklar ist. Um die 17 Angeklagten und ihre 34 VerteidigerInnen unterzubringen, hatte das Gericht zuerst überlegt, eine Reithalle einer ehemaligen BGS-Kaserne umzubauen. Doch nachdem das unter anderem durch uns öffentlich gemacht wurde, hat sich die niedersächsische Justizministerin Heidi Alm-Merk (SPD) dagegen ausgesprochen, da sie meinte, das könne der Haushalt zur Zeit nicht tragen, da sich die Kosten auf 300 000 Mark belaufen würden. Seitdem sind sie immer noch auf der Suche und haben bisher keinen Raum gefunden, wo so ein Mammutprozeß durchgezogen werden kann. Zwischendurch wurden von einer Anwältin zwei Anträge gestellt, den Prozeß nach Göttingen zu verlegen. Das wurde beide Male mit verschiedenen Begründungen abgelehnt: einmal wurde gesagt, da die Angeklagten vergleichsweise jung seien und von einer gewissen Mobilität ausgegangen werden könne, könne man die ruhig drei mal die Woche 250 km nach Lüneburg und zurück schicken; die andere Begründung waren befürchtete Unruhen in Göttingen, wenn der Prozeß dort stattfände. Also Fakt ist bisher 14. August vor der Staatsschutzkammer Lüneburg, aber wo, ist noch nicht klar.

Aber daß alle 17 Angeklagten zusammen Prozeß haben werden, ist schon klar?

Viktoria: Ja, das ist der aktuelle Stand. Sie sagen: alle 17, drei mal die Woche, für erstmal 131 angesetzte Prozeßtage. Im Moment versuchen die GStA und das Gericht, die Angeklagten aufzuspalten, indem sie den Angeklagten ein sog. Angebot unterbreitet haben. Dazu später mehr.

Viktor: Von August 1996 bis August 1997 stehen alle Termine bereits fest, die Angeklagten haben auch die Ladung schon bekommen: jeden Dienstag, Donnerstag und Freitag; über Weihnachten gibt’s eine Pause von vier Wochen.

Ich möchte aber gerne noch was zu den Bedingungen sagen: Uns wurde zur Auflage gemacht, daß jedeR von uns zwei AnwältInnen haben muß. Dahinter steht das Gerichtsverfahrensgesetz, das festlegt, daß ein Prozeß nicht länger als 10 Tage unterbrochen werden darf, sonst muß er neu aufgerollt werden. Deshalb müssen wir zwei AnwältInnen haben, damit der Prozeß fortgeführt werden kann, auch wenn eineR krank ist. Denn natürlich ist die Wahrscheinlichkeit bei 34 AnwältInnen relativ hoch, daß öfter mal einer krank ist. Damit ist der Prozeß sehr schwer durchführbar. Das andere ist die Mobilität: Diese Mobilität wird nicht begründet, sie wird einfach behauptet. Mobilität kann entweder sozial - also Familie, Job etc. - oder körperlich gemeint sein. Sozial stimmt das für uns natürlich überhaupt nicht: einige haben Familie und Kinder, andere sind durch Studium oder Arbeit gebunden.

Drei mal die Woche Lüneburg - ein Grund, seine Zelte dort aufzuschlagen? Über einheitliches Vorgehen von 17 Angeklagten und wieso sie den Prozeß nicht boykottieren

Überlegt ihr, für den Prozeß nach Lüneburg zu ziehen bzw. den Schwerpunkt Eurer Aktivitäten nach Lüneburg zu verlegen?

Viktor: Es gibt die Überlegung, dort ein Büro einzurichten. Weil wir ja immer dienstags, donnerstags und freitags dort sind und natürlich weiter Öffentlichkeitsarbeit machen wollen, Presseerklärungen verfassen oder auch persönlich für die Presse ansprechbar sein wollen; als Arbeitsstruktur einfach.

Ich weiß nicht viel über Lüneburg, stelle mir aber vor, daß Ihr dort wenig Möglichkeiten habt, wahrscheinlich auch wenig personelle Unterstützung. Laßt ihr euch nicht ein bißchen zu sehr von den juristischen Entscheidungen bestimmen, wenn ihr beschließt, dort Politik und Öffentlichkeitsarbeit zu machen? Ihr könntet ja auch sagen, wir leben in Göttingen und machen dort Politik, andere leben in Berlin und machen das eben dort. Mit Lüneburg verbindet uns nichts, außer einem Prozeß, den wir nicht bestimmt haben.

Viktoria: Das Büro richten wir dort ein, weil wir dort den Prozeß führen; nicht weil wir gerne in Lüneburg Politik machen wollen. Lüneburg ist eine Kleinstadt, da tut sich nicht viel. Es gibt eine Fachhochschule dort und wir haben Kontakt zu zwei Unigruppen, die an Soli-Arbeit interessiert sind. Mehr aber bisher nicht.

So wie Ihr das aber gerade darstellt - und so scheint es objektiv auch zu sein - ist Lüneburg weder Eure Entscheidung, noch habt ihr Lust, dort Politik zu machen, wie Viktoria gerade sagte. Ihr macht das gezwungenermaßen, weil ihr sowieso drei Tage die Woche dort seid. Eigentlich protestiert ihr aber dagegen, daß euch dieser Weg drei mal die Woche aufgezwungen wird, und ihr habt wahrlich gute Gründe dafür. Habt Ihr nicht mal überlegt, den Prozeß zu boykottieren?

Viktor: Unser bisheriger Stand ist, daß wir 17 zumindest einheitlich vorgehen wollen - und wir haben schon verschiedene Ideen diskutiert. Wie ich schon sagte, ist der Prozeß faktisch nur schwer durchführbar; trotzdem haben wir bisher nicht beschlossen, ihn zu boykottieren. Die Frage steht zur Zeit so nicht an. Die Bedingungen, die der Prozeß für uns alle mit sich bringt, sind sehr hoch geschraubt; und als uns klar wurde, daß wir in der Zeit nichts anderes mehr machen können, als uns von diesem Prozeß bestimmen zu lassen, haben wir beschlossen, erstmal unsere ganze Kraft in die Arbeit vor dem Prozeß zu stecken und juristischen und politischen Druck aufzubauen, daß das Verfahren eingestellt wird.

Wenn Du sagst, ihr 17 wollt einheitlich vorgehen - das klingt so einfach, ist es aber sicher nicht. Erzählt doch mal genauer, wie ihr das macht!

Viktor: Es ist Arbeit... . Wir stecken uns ein Ziel, wir wollen einen Kompromiß zwischen den verschiedenen Positionen der Leute finden - wir sind ja nicht einheitlich als Person, wir haben ja nicht alle die gleichen Gedanken. Die Perspektive der Leute ist sehr unterschiedlich und dementsprechend auch ihre Motivation, Politik zu machen; aber alle haben eigentlich die gleichen Konsequenzen zu tragen, wenn sie den Prozeß führen. Auf der Basis haben wir uns verschiedene Etappenziele gestellt, auch mit dem Bewußtsein, daß es vielleicht irgendwann nicht mehr geht - was heißt, daß einige Leute dann vielleicht rausgehen. Konsens war erstmal daß es am besten ist, wenn es nicht zu dem Prozeß kommt und daß das poltisch auf jeden Fall ein Sieg ist - und darauf arbeiten wir hin. Klar sind das lange zähe Prozesse unter 17 Angeklagten - und auch mit den 34 AnwältInnen, was noch dazu kommt. Da macht sich’s bisher niemand einfach.

Bürgerlicher Gerichtssaal - der richtige Ort für revolutionäre Politik?

Inwiefern seht Ihr den Gerichtssaal als Euer Forum an? Wollt Ihr den Prozeß politisch führen - und damit den Gerichtssaal natürlich auf eine Art als angemessenen Ort zur politischen Auseinandersetzung anerkennen?

Viktoria: Der Prozeß soll politisch geführt werden, der angemessene Ort, um Politik zu machen, bleibt aber außerhalb des Gerichts. Praktische Politik läßt sich nicht durch einen politischen Prozeß ersetzen.

Viktor: Wie gesagt, unser erster Schritt, um den Prozeß politisch zu beenden, wäre eine Einstellung. Die Geschichte der 129/129a macht deutlich, daß es sich um Gummiparagraphen handelt, deren Auslegung völlig beliebig ist. Oft wurden sie als Ermittlungsparagraphen benutzt, um sich eine Grundlage für Ermittlungen, Observationen etc. zu verschaffen. Auch über die Offenlegung der Paragraphen und ihrer Geschichte wollen wir politischen Druck erzeugen. Wenn wir Erfolg haben, dann nur über diesen politischen Druck. Und das muß schon vor dem Prozeß passieren.

Das ist aber eher eine juristische als eine politische Ebene.

Viktor: Das ist beides. Auf der juristischen Ebene stellen wir alle Anträge, die möglich sind. Von vollständiger Akteneinsicht, die uns von höchsten Gerichten verweigert wurde bis zur zeitlichen Verschiebung, da die Angeklagten aus Berlin laut Verkehrsanbindung überhaupt nicht um 9:30 Uhr in Lüneburg sein können.

Die politische Ebene ist aber im Vorfeld wesentlich wichtiger. Wir denken, wenn der Prozeß erstmal eröffnet ist und länger läuft, ein halbes Jahr beispielsweise, dann schwinden die Chancen, ihn politisch zu kippen, weil du die Öffentlichkeit, die sehr schnellebig und sensationsorientiert ist, gar nicht so lange halten kannst. Deshalb ist es uns sehr wichtig, daß die politische Ebene schon vorher eine Wucht entwickelt.

Trotzdem stellt sich mir die Frage, ob der bürgerliche Gerichtssaal der richtige Ort ist, um revolutionäre Politik zu machen. Sicher ist es richtig, die Öffentlichkeit zumindest zu Prozeßbeginn zu nutzen - andererseits hat man diese vielleicht auch mit anderen Aktionen außerhalb des Gerichtssaals. Ein Boykott beispielsweise ist auch spektakulär. Ich will jetzt aber gar nicht unbedingt auf den Boykott raus, finde aber, daß man sich, entscheidet man sich für einen politischen Prozeß, mit solchen Fragen auseinandersetzen muß. Das ist eine Frage, die das radi-Verfahren vielleicht auch betrifft.

Viktor und Viktoria: Nein, das ist nicht der Ort, um revolutionäre Politik zu machen!

Aber ihr wollt doch hingehen und den Prozeß politisch führen.

Viktor: Das Problem wird nicht dadurch gelöst, daß man da nicht hingeht, weil sie einen ja trotzdem aburteilen. Das heißt also, dir wird natürlich für einen gewissen Zeitraum aufgezwungen, ein bestimmtes Mittel der politischen Auseinandersetzung zu nutzen. Du wirst gezwungen, dich mit den Juristereien auseinanderzusetzen. Da führt doch kein Weg dran vorbei. Zu sagen, da geh ich nicht hin, drückt aus unsrer Sicht wenig aus.

Ich würde schon sagen, daß auch damit eine gewisse Öffentlichkeit geschaffen wird, nicht hinzugehen und zu thematisieren, wo unser Ort ist, Politik zu machen und so weiter. Man muß auf jeden Fall viel Energie reinstecken, wenn man einen politischen Prozeß führt mit der Erwartung, daß es einen Sinn hat, unsere Politik dort einzubringen. Klar, werdet ihr da erstmal hinzitiert und es ist natürlich keine Lösung, sich dazu gar nicht zu äußern. Aber es ist doch eine Frage, ob man sich so viel davon verspricht, daß sich die Energie lohnt.

Viktoria: Es ist eine Frage, wie man das nutzt, was man sowieso machen muß. Es ist so, daß die Leute dorthin gehen müssen und dann nutzt man natürlich auch die Möglichkeiten, die man dort kriegen kann, also daß man sich zu bestimmten Sachen dann auch äußert. Wenn es zum Beispiel darum geht, wie sieht so eine Demonstration aus, wie war die gesellschaftliche Situaion vor Ort, wie war das mit den Naziüberfällen und so. Wenn solche Sachen aufgerollt werden, dann hat das natürlich auch eine öffentliche Wirkung.

Viktor: Du mußt dich ja als Person mit der juristischen Lage befassen, oder du sagst von vornherein: Mir ist klar, die verurteilen mich in jedem Falle, und ich scheiß drauf. Dann gibst du ne tolle politische Erklärung ab und bringst überhaupt nichts voran. Es ist ja nicht so, daß die Antifa (M) weiter keine Politik mehr macht. Darüberhinaus ist es eben in unserem Verfahren juristisch nicht so eindeutig, wie vielleicht bei Prozessen in den siebziger Jahren gegen den bewaffnetem Widerstand, die RAF speziell, wo die Verurteilung von vornerein so feststand - das ist eine andere Sache. Bei uns geht es darum, daß hier mit juristischen Mitteln die Demonstrationskultur verändert werden soll. Es ist eben nicht raus, ob die Antifa (M) einfach so eine kriminelle Vereinigung ist - und da muß man auch juristisch versuchen dagegenzuhalten. Deshalb mußt du dich damit beschäftigen.

Aber du beschränkst dich gerade schon wieder auf eine juristische Ebene.

Viktor und Viktoria: Das ist beides!

Viktor: Es ist ein Politikum. Repression fängt ja schon vor den Gerichtssälen an. Sie wird nur im Gerichtssaal mit juristischen Mitteln fortgeführt, aber es gibt schon eine Einschränkung in den Möglichkeiten überhaupt, außerparlamentarisch Widerstand zu leisten. Jetzt sind die niedersächsischen Polizeigesetze verabschiedet worden, das heißt, daß Leute vier Tage lang verhaftet werden können bei Demonstrationen; in der Diskussion ist, daß KurdInnen bei Landfriedensbruch sofort abgeschoben werden können - also diese ganzen Gesetze greifen auf verschiedenen Ebenen innenpolitisch und außenpoltisch ineinander. Das hat natürlich politische Auswirkungen und deshalb kann ich nicht einfach an nem juristischen Punkt kampflos aufgeben und sagen: das interessiert uns alles nicht.

Von Einstellungsforderungen zu Einstellungsangeboten und deren politischen Preis

Glaubt ihr wirklich, daß ihr Chancen auf eine Einstellung habt? Oft sind solche Einstellungen, wenn sich das Gericht überhaupt darauf einläßt, ja mit einem hohen politischen Preis verbunden, ein Schuldeingeständnis meistens, bis hin zu Distanzierungen und Abschwörungen. Welchen politischen Preis würdet ihr dafür bezahlen?

Viktoria: Ziel der GStA ist es ja, die Gruppe zu zerschlagen. Wenn es für sie eine Alternative zum Prozeß gäbe, würden sie diese nutzen. Es gibt inzwischen ein sog. Einstellungsangebot von Gericht und Staatsanwaltschaft. Bedingungen für die Einstellung wäre aber eine Geldstrafe von 2000 bis 3000 Mark, der Verzicht auf die bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Gegenstände und, der wesentliche Punkt, ein Schuldbekenntnis, Straftaten begangen zu haben und eine Distanzierung vom Schwarzen Block. Dieses sog. Angebot ist von uns abgelehnt worden.

Die Staatsanwaltschaft will natürlich die gigantischen Ermittlungen der letzten Jahre rechtfertigen. Deswegen besteht sie bisher auf einer politischen Distanzierung der Angeklagten. Würden wir nun die Auflösung der Autonomen Antifa (M) erklären, wäre der Prozeß überflüssig, d.h. sie könnten bedenkenlos einstellen. Dies ist aber nicht der Fall, daher ist es schwer zu sagen, ob sie ihn ohne Bedingungen einstellen werden. Die bedingungslose Einstellung ist eine wichtige Forderung unsererseits.

Politische und Juristische Thematisierungen im Prozeß

Ihr wollt über die Thematisierung des Prozesses und der Bedingungen, die er mit sich bringt, eine größere liberale Öffentlichkeit erreichen und auf eine Einstellung hinarbeiten. Falls die Verfahren vorher nicht eingestellt werden: Was wollt ihr während des Prozesses thematisieren?

Viktor: Wie gesagt wollen wir einige Sachen offenlegen, weil innerhalb dieses Verfahrens eine Menge Sprengstoff liegt. Sprengstoff zum Beispiel an der Frage der Deeskalationsstrategie, wie kriegt man soziale Bewegungen in Griff. In dem Zusammenhang laufen auch Verfahren gegen Polizisten vor Ort, weil die Gesetze eben unterschiedlich ausgelegt wurden. Die Deeskalation wird auch im Zusammenhang mit den Chaostagen eine Rolle spielen - alles Einzelheiten, die wir versuchen wollen zu thematisieren. Wenn wir das schaffen, die ans Licht der Öffentlichkeit zu ziehen, gerät die niedersächsische Landesregierung ziemlich unter Druck, vor allem der Innenminister Glogowski und der Staatssekretär Schapper.

Thema wäre auch die Entwicklung der faschistischen Szene v.a. im Raum Südniedersachsen, die Polizeiskandale, das gesellschaftliche Klima und die Notwendigkeit antifaschistischen Handelns, was alles unmittelbar mit der Entwicklung der Autonomen Antifa (M) zusammenhängt.

Dann, was die Öffentlichkeit - und besonders die bürgerliche - schon jetzt erregt, sind diese 13 929 abgehörten Telefonate innerhalb weniger Monate, und der Aufwand, der betrieben wird für diesen Prozeß: was Heidi Alm-Merk natürlich verschwiegen hat ist, daß der Prozeß allein pro Tag wahrscheinlich 100 000 Mark kosten wird. Auch daran überlegen wir, wenn es um die Frage der Einstellung geht: welches Interesse hat die jetzige Landesregierung, den Prozeß bis zum Ende und in aller Ausführlichkeit durchzuziehen. Da gibt es sicher auch unterschiedliche Interessen zwischen der SPD-Regierung auf der einen und der reaktionären GStA auf der anderen Seite.

Zurückgefragt: Welches Interesse hat die Landesregierung, die Verfahren vorher einzustellen? Und falls sie das wollte: welche Einflußmöglichkeiten hat sie?

Viktor: Unterschiedlich. Zum Beispiel hat sich Heidi Alm-Merk in dieser Reithallengeschichte zu Wort gemeldet - gerade jetzt, wo nach dem BGH-Urteil die Marschrichtung eigentlich klar war. Wenn sie sich jetzt zu Wort meldet, werden da politische Interessen dahinter stehen. Immerhin ist sie weisungsbefugt über die beiden leitenden Staatsanwälte.

Viktoria: Die Landesregierung selbst will natürlich keine Negativ-Schlagzeilen. Das ganze Verfahren ist inzwischen schon so aufgebauscht, daß Ministerpäsident Schröder in Bonn gefragt wurde, ob er denn die Lage in seinem Land nicht im Griff habe, weil es da möglich ist, daß militante Autonome mit Schwarzem Block demonstrieren. Die Landesregierung will ein “sauberes” Abservieren, was aber mit dem Prozeß nicht so einfach ist.

Einschätzung - die relative Gefährlichkeit der Antifa (M) und der radi - präventive Konterrevolution und Integrationsstrategie.

Die Frage der Chancen auf eine Einstellung hängt ja auch immer mit einer Einschätzung der Hintergründe der Verfahren zusammen. Was ist Eure Einschätzung, wieso gerade die Antifa (M) kriminalisiert wird? Was macht die (M) für den Staat und seine Repressionsorgane so gefährlich? Kann man das überhaupt auf so Kategorien wie Gefährlichkeit für den Staat zurückführen? Oder was ist das besondere an Euch? Dieselben Fragen gelten natürlich auch für uns.

Viktoria: Ja, was macht uns so gefährlich...Ich denke, wir sind nicht gefährlicher als andere Gruppen, die sich und ihre Inhalte breiter vermitteln. Natürlich trifft es uns nicht zufällig, sondern weil wir Erfolge hatten; Erfolge zwar in Maßen, aber immerhin soweit, daß wir über Antifaschismus relativ weite Kreise in der Region erreichen konnten; genauso wie bundesweit über den Organisierungsansatz.

Viktor: Abgesehen davon ist es schwierig einzuschätzen, ob der Staat erst dann einschreitet, wenn eine Gruppe gefährlich ist.

In den siebziger und achtziger Jahren hatten Teile des bewaffneten Kampfes das Vorgehen des Staates mit “präventiver Konterrevolution” umschrieben. Da denke ich, ist das Verfahren gegen Euch ein gutes Beispiel. Die Frage, was gefährlich an der radi ist, ist falsch gestellt. Daß es darum nicht geht, hat Innenminister Kanther noch am abend der Durchsuchungen am 13. Juni im Fernsehen klar gemacht, als er sagte, es ginge nur um einen präventiven Schlag zur Einschüchterung der linksradikalen Szene.

Die Frage ist, ob man Kanther immer glaubt, was er so sagt...

Viktor: Das würde ich ihm glauben. Mit dem Begriff “präventive Konterrevolution” ist gemeint, daß jede Bewegung im Keim erstickt wird und zwar präventiv. Daß also von vornherein Daten gesammelt werden - das kann man an uns sicherlich gut sehen.

Es wurde ja im Mai 1991 die Koordinierungsgruppe Terrorismus (KGT) gegründet, die aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz, der Generalbundesanwaltschaft, den Innenministern und Senatoren der jeweiligen Bundesländer besteht. Die koordinieren sich auch auf politischer Ebene, es geht also nicht nur um technische Fragen. Dort werden bestimmte Strategien festgelegt, wie denn nun mit sozialen Bewegungen oder bestimmten Gruppen umzugehen ist. Ich denke, daß die sich dort auch überlegen, differenzierter mit dem Widerstand umzugehen. Nicht wie in den Siebzigern zum Teil mit dem Holzhammer vor den Kopf, sondern daß sie auch Integrationsstrategien einbeziehen, die ein sehr markantes Merkmal der parlamentarischen Demokratie ist.

Deeskalation, Integration und der Schwarze Block

Kann man die sogenannte Deeskalationsstrategie, die die örtliche Göttinger Polizei bei Demonstrationen der (M) anwandte und im Rahmen derer auch der Schwarze Block geduldet wurde, als Ergebnis deren Überlegungen zum differenzierteren Umgang mit Widerstand sehen bzw als Teil einer versuchten Integrationsstrategie?

Viktoria: Teilweise. Wobei ich die Deeskalationslinie nicht als Strategie bezeichnen würde, weil ich nicht sagen würde, daß die Leute im Polizeiapparat, die dafür verantwortlich waren, von vorne herein einen Plan im Kopf hatten. Es gibt Stellungnahmen des Innenministeriums, aus denen hervorgeht, daß auch die örtliche Polizei sehr wohl politisch vorgeht, das aber nicht so strategisch angelegt ist, sondern sich aus dem gesellschaftlich-dynamischen Kräfteverhältnis ergibt. Um dieses Kräfteverhältnis zu verstehen, muß man etwas über die Geschichte von sozialen Bewegungen und den Reaktionen der Polizei in Göttingen wissen. In den Achtzigern gab es permanent Übergriffe der Polizei in verschiedenen Bereichen. Es gab verschiedene Skandale, Überwachungsskandale, Skandale bei der Zivilpolizei und endete im Grunde mit dem politischen Mord an Conny Weßmann 1989, und der Tolerierung der Nazis, und als Folge davon der Mord von FAP-Faschisten an Alexander Selchow 1990. In dieser Situation hat eben die Autonome Antifa (M) die Initiative ergriffen und versucht, durch Demonstrationen mit Schwarzem Block in die Schwäche der Polizei reinzuhauen, d.h. sich politischen Raum zu erkämpfen. Das hat funktioniert, die Polizei ist gezwungen worden, sich zurückzuhalten. Das war möglich, weil sich auf verschiedenen Ebenen Protest regte, auf der parlamentarischen sowie auf der bürgerlichen, und wir Druck machen konnten. Dadurch waren sie gezwungen, Überlegungen, die sie vielleicht 1991 mit der KGT getätigt hatten, als eine Möglichkeit anzuwenden.

Viktor: Es war vielleicht eine Art Pilotprojekt: wie funktioniert denn diese Deeskalation. Das Endziel dürfte klar sein: die politische Vernichtung des Widerstandes. So hat die örtliche Polizei das versucht umzusetzen. Ich denke, die örtliche Polizei geht da nicht so politisch vor, obwohl sie in Abstimmung mit dem Innenministerium handelt. Trotzdem ist die Idee relativ einfach nachzuvollziehen: sie haben in Göttingen die Mittelstandsvereinigung, die die Geschäftswelt darstellt, also der ökonomische Machtfaktor in der Region. Die machen Druck und sorgen sich bei Demonstrationen um ihre Schaufenster. Wichtig ist auch zu erwähnen, daß sich diese Deeskalation nur auf Demonstrationen bezieht; es gibt weiterhin Kleinverfahren, weiterhin die Tolerierung der Rechten usw. daran ändert sich gar nichts. Aber im Demonstrationsklima war eine gewisse liberalere Linie zu erkennen, was es der Autonomen Antifa (M) möglich machte, sich mehr Raum zu erkämpfen.

Also kann man aber nicht behaupten, daß der Schwarze Block von der Antifa (M) durchgesetzt worden wäre. Seine Duldung wurde von der Deeskalationsstrategie der Bullen bestimmt. Der Schwarze Block war praktisch einkalkuliert und es hat aus deren Sicht ja auch prima geklappt: Wir lassen die ihren Schwarzen Block machen, dafür versprechen die uns, daß es keine Krawalle gibt - und die gab es auch nicht. Antifa zufrieden, Mittelstand zufrieden, Ruhe in Göttingen - was wollen wir mehr?

Viktor: Nein, sie waren gezwungen, den Schwarzen Block zu dulden. In der Öffentlichkeit ist die Polizei in Mißkredit gefallen. In diesem Klima hat die Autonome Antifa (M) die Chance ergriffen, sehr offensive Formen von Politik durchzusetzen. Die Initiative ging von uns aus, wir haben sie gezwungen, sich zurückzuhalten. Es waren objektiv günstige gesellschaftliche Bedingungen vorhanden; aber wenn keine Politik da ist, die diese nutzt, machen sie gerade so weiter, das ist der Punkt.

Viktoria: Ich möchte da noch ein bißchen konkreter darauf eingehen. Die Auseinandersetzungen auf allen Demonstrationen, Mahnwachen etc. und etliche Polizeiskandale hatten großen Einfluß auf das gesellschaftliche Klima. Das Kräfteverhältnis hat sich dann in der Situation geändert, als wir Silvester 1991/92 die Demo zum Todestag von Alexander Selchow gemacht haben. Der Unterschied zu allen Aktionen vorher war, daß wir ein Konzeptpapier geschrieben haben, worin die Demo erklärt wird, also welches Ziel die Demo hat, wie sie ablaufen soll, daß ein Schwarzer Block mitlaufen soll, wie die Route ist, welche Redebeiträge gehalten werden usw. Der wesentliche Punkt dabei war, daß da auch drin stand: wenn wir diese Demo so gestalten können, wie wir das wollen, dann wird auch nichts weiter passieren; wir sind von uns aus an keiner sinnlosen Eskalation interessiert, sondern wollen politische Inhalte vermitteln. Und so hat das funktioniert. Wir haben dann eine unangemeldete Demo mit Schwarzem Block durchgeführt.

Das ist das Konzept: daß man eben nicht mal kurz auf die Straße geht, sondern zeigt, daß man zuverlässig ist und auch das macht, was man vorher sagt.

Da macht ihr es der Polizei aber einfach...

Viktoria: Es stimmt, daß wir auch für die Polizei einschätzbarer geworden sind durch die konzeptionelle Demogestaltung, auf der anderen Seite steht aber, daß es so möglich war, breite Bündnisse zu mobilisieren und die öffentliche Wirkung auszunutzen, d.h. unsere Inhalte in die gesellschaftliche Diskussion zu tragen.

Von reaktionären Staatsanwälten und verschiedenen Interessen - Widersprüche im Apparat

Aber eigentlich hatte ich euch unterbrochen bei der Darstellung der Entwicklung seit der Deeskalationsstrategie...

Viktor: Ich wollte eigentlich darauf eingehen, daß die örtliche Polizei an die Sache weniger politisch sondern vielmehr technokratisch rangeht. Das hat ihnen auch jetzt die Verfahren eingebracht, die sich nicht auf Dienstaufsichtbeschwerden beschränken, sondern bis zum Vorwurf der Strafvereitelung im Amt gehen. Die hatten die Gesetze nämlich so liberal ausgelegt, daß sie sogar Observationsbeamten des LKA Platzverweise erteilt hatten, um eine befürchtete Eskalation zu vermeiden. Das kam 1992/93 nach einer Aktion raus. Es gibt da also einen kleinen Widerspruch in dem Polizeiapparat. Die örtliche Polizei vertrat eher die Interessen der örtlichen Geschäfte und das Ansehen Göttingens, und jetzt kommt ja auch die Expo 2000 auf uns zu; dann muß eben Ruhe bleiben - auf ihre Art. Dann gibt es auf der anderen Seite die SPD-Regierung, die sich in ihren Formen von der CDU abgrenzen will. Bis Anfang der achtziger war ja die rechtsreaktionäre Albrecht-Regierung (CDU) dran, dieser Regierung hat die jetzige Schröder-Regierung auch die beiden Staatsanwälte Pfleiderer und Endler zu verdanken, die nun wirklich reaktionär bis ins Mark sind. Nicht nur so rechte Wadenbeißer, sie verstehen sich selber als politisch, was unter anderem daran zu sehen ist, daß in der vorläufigen Anklageschrift ein Papier von Pfleiderer war, das sich ideologisch mit dem Begriff des Antifaschismus auseinandersetzt. Die sind da sozusagen als rechte Elemente im SPD-Apparat übriggeblieben. Damit muß die SPD-Regierung jetzt fertig werden. Und die SPD-Regierung hat zusammen mit der örtlichen Polizei auf Deeskalation gesetzt. Und jetzt sagt die GStA: das war aber gar nicht zulässig, sondern die Antifaschistinnen und Antifaschisten haben Landfriedensbruch begangen und Nötigung und Körperverletzung, sind also eine “kriminelle Vereinigung”. Das war also alles Gesetzesbruch, aber indirekt war es durch die Interessen der SPD-Regierung abgesichert.

Gefährlichkeit und Unkontrollierbarkeit - die Angst vor der “Privatarmee” der Antifa (M) - Was hat der Schwarze Block mit der radi gemeinsam

Um auf meine anfängliche Frage zurückzukommen: Kann man zusammenfassen: die Gefährlichkeit der Autonomen Antifa (M) ist relativ?

Viktoria: Wie gesagt, die Frage der Gefährlichkeit stellt sich so nicht. Wir standen sicherlich nicht vor einer großen gesellschaftlichen Veränderung. Das, was uns gelungen ist, ist über Anti-Nazi-Inhalte hinaus andere Inhalte zu vermitteln, z.B. eine relativ starke Opposition gegen das Vorgehen der Polizei, also eine sehr genaue Beobachtung der Polizei. Das ergab sich aus der Politik und aus den objektiven Bedingungen.

Ich kann Dir die Frage nicht beantworten, ob wir gefährlich sind. Wir sind einfach wesentlich präsenter als andere Gruppen und haben es geschafft, über autonome Kreise hinaus zu wirken und das, ohne den eigenen radikalen Standpunkt aufzugeben.

Es geht uns auch nicht darum zu definieren, wie gefährlich wir sind. Das macht bereits der Staat.

Wir sehen das mit der Gefährlichkeit anders: Wir sind für die eine unkontrollierbare Struktur - insofern, daß wir konspirativ arbeiten und im Idealfall die überhaupt nichts davon mitkriegen und das einfach nicht kontrollieren können - genauso wie ihr zum Teil unkontrollierbar für sie seid, insofern daß ihr zwar öffentlich arbeitet, aber zum Beispiel so ein Schwarzer Block, für den ihr ja nunmal auch steht, für die auch kaum einschätzbar ist. Derart unkontrollierbare Strukturen stellen potentiell eine Gefahr für sie dar, auch wenn die im Moment nicht wirklich akut ist. Aber es ist für sie nicht einschätzbar, ob nicht irgendwann eine Gefahr davon ausgeht, falls diese Strukturen mal mehr Sprengkraft haben. Und dann wissen sie nicht, wer oder was wie dahintersteckt und haben womöglich überhaupt keinen Einfluß darauf. Diese potentielle Gefahr macht unsere und eure Gefährlichkeit aus. Insofern ist die Frage nach der Einschätzung der Verfahren durchaus mit der Frage unserer Gefährlichkeit verbunden.

Viktoria: Den Schwerpunkt würde ich woanders legen: ob diese organisierten Gruppen und Strukturen konkrete Politik machen oder eben nicht. Also wenn wir jetzt eine Antifa wären, die zwar konspirativ organisiert wäre, aber ein Diskussionszirkel, der keinen praktischen Ausdruck hat, denke ich, würden sie so ein Verfahren nicht machen.

Natürlich gehört irgendein praktischer Ausdruck dazu. Trotzdem denken wir, daß der Schwarze Block beispielsweise eine Gefahr für sie darstellt, auch wenn er momentan sagen wir mal “friedlich” ist und von ihm keine Randale ausgehen. Aber für sie stellt sich das so dar: den Schwarzen Block gibts, weil die Antifa (M) sagt, den soll es geben. Und der greift nicht an, weil die Antifa (M) sagt, er soll das nicht tun. Der hört also auf euch...

Viktor und Viktoria (lachen): Unsere Privatarmee!

Viktoria: Die Staatsanwaltschaft hat das so formuliert: daß wir eine Privatarmee unterhalten.

Das ist es ja. Für die stellt sich das so dar. Sie können nicht wissen, zu was ihr und eure “Privatarmee” in der Lage seid. Klar verhält sich der Schwarze Block momentan friedlich und es war für die Bullen sicher von Vorteil, ihn zu akzeptieren und dafür zu wissen, daß es eine friedliche Demo gibt. Aber sie können das ja auf Dauer nicht einschätzen. Vielleicht habt ihr da irgendwann keinen Bock mehr drauf und sagt zu eurer “Privatarmee”: heute greifen wir an. Nur bisher habt ihr immer gesagt, wir sind friedlich - und der Schwarze Block hört auf euch, so stellt sich das für die dar. Davon geht natürlich eine Gefahr aus, die nicht zu unterschätzen ist. Denn nicht sie sind die, die hier was beeinflussen können, sondern ihr.

Viktor: Aber die Idee am Schwarzen Block war immer eher, daß er ein bestimmtes Bild vermittelt hat; es war bei den Bündnisdemonstrationen weniger das Ding des Schwarzen Blockes, daß er militant ist, sondern Militanz dokumentiert, also ein antagonistisches Verhältnis zum System symbolisiert und darum geht es letztlich. Und ich denke, darum geht es ihnen auch bei uns, daß wir eine Politik entwickelt haben, die einen radikalen Ausdruck gefunden hat. Ich möchte dir an diesem Punkt widersprechen: es geht nicht um Gefährlichkeit, an diesem Punkt stehen wir nicht. Wenn du den größten Bulleneinsatz gesehen hast, der gerade im Wendland stattfand, dann kann man von einer Gefährlichkeit, die die Machtfrage des Systems stellt, überhaupt nicht sprechen. Ich finde diese Kategorie total falsch. Es verzerrt den Blick dafür, um was es in diesem Apparat überhaupt geht: um eine präventive Ausrichtung. Natürlich kann nur aus organisierten Strukturen irgenwann mal was entstehen, was mehr Zugkraft hat und was vielleicht irgendwann mal an die Machtfrage käme. Darauf kommt es an, wenn man an einer Einschätzung darüber redet und nicht darum, sich zu überschätzen.

Es liegt mir fern, Eure oder unsre Stärke oder die der Linken überschätzen zu wollen. Es geht mir auch überhaupt nicht um die Machtfrage. Es geht mir lediglich um eure Position zum Thema Gefährlichkeit. Es gibt Strukturen, die für sie überhaupt nicht kontrollierbar sind...

Viktoria: Ich finde es ein bißchen müßig, da länger drüber zu diskutieren. Das kann doch nicht die Frage an uns sein. Müssen wir jetzt definieren, ob wir gefährlich sind oder nicht?

Nein, die Frage ist, was spielt dieser Punkt für eine Rolle in der Einschätzung, warum sie euch und uns damit angehen.

Viktoria: Der Schwerpunkt ist natürlich da, wo sich was tut. Wenn die wahrnehmen, da gibt es organisierte Strukturen, hier gibt es eine Zeitung, die schon seit Jahren besteht und da gibt es eine Antifa-Gruppe, die kontinuierlich Politik macht, und die in ihren Augen die Grenzen überschreitet, indem sie Demonstrationen mit einem Schwarzem Block macht. Und wenn sich was entwickelt, dann aus solchen Zusammenhängen heraus. Ob man das nun als Gefährlichkeit definiert ist für uns doch völlig egal.

Ja, aber das ist doch genau das, was ich meine, was etwas mit Gefährlichkeit zu tun hat. Strukturen, aus denen potentiell etwas entstehen könnte, das sie nicht kontrollieren können.

Viktor: Das hat was mit Wirksamkeit zu tun aber weniger mit Unkontrollierbarkeit; vielleicht bei den konspirativen Strukturen der radi. Viele Leute haben ja behauptet, daß unsere Politik eben gerade kalkulierbar ist, und ihr sagt jetzt, wir sind gefährlich, weil wir nicht kontrollierbar sind. Das stimmt aber nicht. Viele Leute kritisieren unser Konzept, daß wir eben kalkulierbar waren, weil wir alles vorher angekündigt haben, Konzeptpolitik gemacht haben. Das war ja immer so ein Steckenpferd der autonomen Bewegung mit der Unkontrollierbarkeit. Wir haben gesagt, das ist Quatsch, man ist in diesem Staat nicht unkontrollierbar. Der Grad der Kontrolle und der Erfassung ist extrem hoch. Das kann man am radikal-Verfahren sehen, oder am Observationsaufwand gegen uns. Es geht also wirklich nicht um Unkontrollierbarkeit. Das was allenfalls unkontrollierbar ist, ist die Entwicklung der Politik der Gruppe. Seit fünf Jahren wird die Gruppe überwacht und sie wissen, wer sie macht. Was sie aber nicht verhindern können ist die politische Dynamik, die wir entwickeln, weil wir immer präsent sind. Und das geht nur - und das gilt auch für konspirative Strukturen - organisiert und kontinuierlich. Klar ist das berechenbar, solange ihr immer ankündigt, was ihr und “Euer” Schwarzer Block zu tun gedenkt. Aber nicht berechnbar ist, ob ihr nicht irgendwann beschließt, erstens nichts mehr anzukündigen und zweitens nicht mehr friedlich zu sein. Den schwarzen Block gibt es dann trotzdem noch und Eure “Befehlsgewalt” aus deren Sicht auch.

Martialisch, patriarchale und inhaltsleere Hülle oder systemantagonistisches Symbol - Ein kleiner Exkurs zur autonomen Kritik am Schwarzen Block

Bei der Diskussion um die Rolle des Schwarzen Blocks kam bei uns auch die Kritik wieder auf, die es von linksradikaler, autonomer Seite schon lange am Schwarzen Block gibt. Weil wir meinen, daß ihr diese immer noch nicht ausreichend beantwortet habt, will ich hier nochmal nachhaken, und über Sinn und Unsinn, Inhalt und Auftreten des Schwarzen Blockes zu diskutieren. Es gibt ja wiegesagt schon lange die Kritik am Schwarzen Block, daß er militärisch ist und patriarchal, was mit Uniformierung zu tun hat und so weiter. Deshalb stellt sich uns die Frage, wieso ihr so an diesem Auftreten festhaltet und dieser äußere Ausdruck eine derartige Rolle für euch spielt.

Viktoria: “Verstoß gegen das Uniformierungsgesetz”, das ist die Argumentation der Staatsanwaltschaft.

Viktor: Ich muß hier mal super-hardcoremäßig antworten: wenn ich eine Revolution mache, geht das nicht ohne Militär. Diese Kritik nichts mit dem Schwarzen Block zu tun hat, weil militärisch etwas anderes ist. Ich finde die Wahrnehmung der bundesdeutschen Linken leicht verschoben. Militärisch bedeutet: hierarchisch strukturiert, es gibt Befehle und Gehorsam, die die absolute Prioriät haben. Das hat mit Schwarzem Block überhaupt nichts zu tun.

Das habe ich damit auch nicht gemeint. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen militärisch und militantem Auftreten. Trotzdem bleibt die Frage nach den Inhalten, die hinter diesem sagen wir martialischen Auftreten stecken.

Viktor: Wir haben nie was anderes behauptet, als daß das Medienpolitik ist. Aber: wir werden reduziert auf den Schwarzen Block und Anti-Nazi-Arbeit. Ich kann sagen, daß mir das nicht paßt, aber das bringt mich nicht weiter. Es ist immerhin der einzige Punkt, der im öffentlichen Raum eine Verbindung zwischen uns und der Gesellschaft herstellt. Es hätte niemand interessiert, hätten wir da eine bunte Demo gegen irgendwelche Nazis gemacht. Die Diskussion hat sich an unserer Provokation entfacht, daß wir sagen und zeigen, daß wir militante Antifas sind. Mit dem Schwarzen Block haben wir darüberhinaus am Gewaltmonopol des Staates gekratzt, denn er hat 1989 das Vermummungsverbot erlassen. Das ist nur symbolisch, aber mehr wollten wir auch nicht. Der Schwarze Block ist ein Ergebnis einer langen Strategiediskussion entlang der Frage: wie schafft man es, den sogenannten radikalen Impuls, das heißt also systemüberwindende Positionen, an die Öffentlichkeit zu bringen. Das geht nicht nur im Wort sondern vorallem im Bild. Weil die Medien immer dazwischen geschaltet sind. Wenn wir eine Demonstration gemacht haben, konnten die uns eben nicht mehr verschweigen und schreiben, das waren 150 buntgekleidete Jugendliche.

Damit reduziert ihr euch bzw uns, also die Autonome und Antifa-Bewegung in der Öffentlichkeit auf Militanz. Dieser Verantwortung, daß ihr in der Öffentlichkeit als die Vertreter der Autonomen da steht, müßt ihr euch bewußt sein.

Viktoria: Es ist die Frage, ob man dann damit arbeitet, und das sollte man tun. Manche Leute werfen uns vor, wir würden im Bündnis unsere radiaklen Position aufgeben. An dieser Frage aber, wo ganz klar ist, daß wir Bündnispolitik machen, ohne unsere eigene Position aufzugeben, gibt es auch wieder Kritik.

Klar kann man so vom Bild her vermitteln: wir sind militant und präsent. Aber damit werden doch nicht automatisch unsere Inhalte vermittelt. Sich nur über ein Bild vermitteln zu wollen, ist doch sehr fragwürdig.

Viktor: Wodurch sonst?

Viktoria: Wenn, dann nur dadurch.

Viktor: Diese Frage müssen sich alle stellen. Es ist ja nicht so, daß wir den Schwarzen Block nur favorisieren, aber es ist nunmal so, daß die ganzen Jahre vorher die Basisinitiativen vereinnahmt wurden von bürgerlichen Kräften. Da bekommen deine Rede und Inhalte wirklich nur die 2000 Leute auf der Demo mit. Aber wenn ich gesellschaftlich wirken will, muß ich darüber hinaus kommen. Ich muß mit dieser Reduzierung leben. Wenn es eine alternative Form zum Schwarzen Block gibt, eine die weniger “militärisch” ist, weniger abschreckend nach außen und weniger mackriges Verhalten provoziert, die die radikale Linke in der Öffentlichkeit darstellt, bin ich sofort dabei.

Die Rolle der Organisierung für die Einschätzung der Verfahren - Gemeinsamkeiten mit dem radi-Verfahren

Zurück zur Frage der Einschätzung. Ihr habt vorher gesagt, ein wichtiger Hintergrund der Verfahren ist ein Angriff auf organisierte Strukturen. Seht ihr einen Zusammenhang zur Organisierungsdebatte um die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), die ja maßgeblich von der Antifa (M) initiiert wurde?

Viktoria: Ja, auf jeden Fall. Obwohl in den Akten und der Anklageschrift nur teilweise speziell auf die AA/BO eingegangen wird. Die Autonome Antifa (M) war maßgeblich beteiligt an der Gründung der AA/BO und ist eine Vertreterin von Organisierung. Was aber sicherlich schwerer wiegt für die niedersächsischen Verfolgungsbehörden, ist die örtliche Verankerung der Gruppe.

Viktor: Die Frage ist, wer hat Interesse, auf bundesweite linksradikale Organisierungsansätze ein Auge zu werfen. Da kann man als Spiegel die Verfassungsschutzberichte heranziehen, die zeigen, daß der Verfassungsschutz seit Gründung der AA/BO auf diese scharf ist und u.a. der Autonomen Antifa (M) da eine “führende” Rolle zuschustert. In den Verfassungsschutzberichten ist die AA/BO seit ihrem Bestehen Thema. Die Verfassungsschützer haben immerwieder als Ausdruck von steigender “linksextremistischer Gewalt” die AA/BO und darin immer wieder die Autonome Antifa (M) angeführt.

Ich frage deswegen nach Organisierung, weil dieses Thema bei der Diskussion um die Einschätzung der Verfahren vom 13. Juni auch eine wichtige Rolle spielt. Seht ihr einen Zusammenhang zwischen Eurem und diesen Verfahren? Stellt ihr euch in diesen Zusammenhang?

Viktoria: Ja, vorallendingen beim radikal-Verfahren ist der Zusammenhang oder sind die Gemeinsamkeiten ganz offensichtlich: es sind beides Verfahren nach 129, beides auch eine eher neuere Anwendung des 129 - bisher haben sie solche Kriminalisierungen meistens über 129a versucht -, mit Hilfe eines Organisationsdeliktes sollen organisierte Strukturen, wie die radikal als Zeitung und wir als Antifa, kriminalisiert werden. Sie setzen neue Maßstäbe nach dem Motto: Egal was du in der Zeitung oder der Gruppe gemacht hast, die Zugehörigkeit reicht, um dich dann zu verurteilen.

Der große Lauschangriff, die FDP und die Wiedervereinigung - Innenpolitische Entwicklungen - Neue Qualität von Repression oder ein gesellschaftlicher Rechtsruck

Bundesweit laufen in letzter Zeit viele Verfahren gegen Antifa-Gruppen und die Verfahren vom 13.6. etc... Seht ihr eine neue Qualität von Repression?

Viktor: Es wäre falsch gesagt, daß die Kriminalisierung der Autonomen Antifa (M) oder der radikal die neue Qualität ist. Die neue Qualität hat sich eigentlich mit der Annexion der DDR durch die BRD ergeben, damit beginnt aus meiner Sicht die neue Qualität. Einerseits außenpolitisch abzusehen an der Forcierung des Konflikts in Ex-Jugoslawien und andererseits durch die Veränderungen im innenpolitischen Bereich seit 1991. Ich will nur ein paar Stichworte nennen: es gab 91/92 die Verabschiedung der Kronzeugenregelung, die zum einen darauf abzielte, die RAF-AussteigerInnen aus der DDR abzurteilen, bzw. Leute, die schon jetzt inhaftiert sind, lebenslänglich hinter Gitter zu sperren. Zum anderen dient sie vor allem der umfassenden Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in der BRD. Dann natürlich das PKK-Verbot 1993; 1995 wurden die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes erweitert, d.h. der Datenfluß zwischen einer Institution, die eigentlich außenpolitisch wirkt, zur Innenpolitik ist fließend geworden, 1995 wurde die Kronzeugenregelung verlängert, dann traten verschiedene neue Polizeigesetze in Kraft in Sachsen, in Thüringen, in Niedersachsen wird das seit den Chaostagen verstärkt diskutiert, in Baden-Württemberg im Zusammenhang mit Newroz. Spätestens seit Kanther hat die Marschrichtung doch sehr angezogen.

Die ersten Ermittlungen gegen die Autonome Antifa (M) wegen des Weiterstadt-Plakates sind von Generalbundesanwalt von Stahl eingeleitet worden. Inzwischen ist er als strammer Nationalist bekannt, der die FDP im Sinne von Jörg Haider in Österreich umgestalten will. Die Auseinandersetzungen in der FDP dokumentieren, was gerade gesellschaftlich abgeht: die Polarisierung innerhalb der Partei, auf der einen Seite von Stahl, der law-and-order durchsetzen will und auf der anderen Seite die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die aus ihrem liberalen Verständnis heraus wegen des Großen Lauschangriffs im Dezember 1995 den Hut genommen hat. Es ist jedenfalls bemerkenswert, was auf dem Sektor der “Inneren Sicherheit” in den letzten fünf Jahren passiert ist.

Viktoria: Im Zusammenhang mit dem Großen Lauschangriff kann man noch mal auf das Verfahren gegen die radikal zurückkommen. Ich denke bei der Abhöraktion in Baar Wanderath ist diese Entwicklung, die Viktor da gerade aufgezeigt hat, ganz deutlich geworden. Das Haus wurde zunächst angeblich wegen der RAF abgehört. Die gewonnenen Informationen werden jetzt aber gegen angebliche radikal-MacherInnen verwendet. Das war zu dem Zeitpunkt nicht legal, gewonnene Informationen “repressiv”, also einfach gegen andere zu verwenden. Sie haben es trotzdem gemacht und erst im Nachhinein hat dann der BGH im September letzten Jahres den Eingriff legitimiert. D.h. erst haben sie die Fakten geschaffen, haben die ganzen Daten gesammelt und verwendet, und hinterher erst ist es dann formal abgesegnet worden. Hier wird deutlich, daß die politische Diskussion über den Großen Lauschangriff angesichts der durch Staatsschutzbehörden und Justiz bereits geschaffenen Tatsachen so zur Farce geworden ist.

Viktor: Das war übrigens der selbe Strafsenat des BGH, nämlich der dritte, der entschieden hat, daß auch gegen uns eröffnet wird.

Von Gemeinsamkeiten zu den 13.6.-Verfahren und Zusammenarbeit, die nicht immer harmonisch ist.

Na prima, noch eine Gemeinsamkeit zwischen euch und uns - zumindest was die Verfahren betrifft! Jetzt wo ihr so viele Gemeinsamkeiten und Parallelen aufgezählt habt stellt sich ja die Frage: habt ihr vor, mit den Betroffenen und Soli-Strukturen der Verfahren vom 13. Juni zusammenzuarbeiten?

Viktoria: Ja, wir tun das auch schon. Wir haben mehrere Kontakte zu den ehemals Inhaftierten; in Hamburg haben Teile aus dem 13.6.- Komitee zusammen mit anderen ein Solikomitee namens “129 M” gegründet. Wir haben schon im letzten Jahr mit der Soligruppe aus Hamburg zusammen eine Veranstaltung zu den Verfahren vom 13.6. gemacht und wollen, wenn wir im Juni Antifa-Wochen machen, gemeinsam eine Veranstaltung mit den ehemals Inhaftierten zu dem Thema machen.

Ihr könnt euch also vorstellen, die Verfahren auch öffentlich gemeinsam zu thematisieren.

Viktor: Das ist natürlich eine tolle Wunschvorstellung, wenn sich aus den Soli-Aktivitäten, die es gibt, ein gemeinsamer Nenner z.B. “Weg mit dem 129/129a” ergeben würde oder ähnliches.

Das klingt ja alles verdammt harmonisch...

Viktoria: Naja... Man muß da unterscheiden: von den ehemaligen Inhaftierten gibt es den Willen, auch mehr zusammenzuarbeiten, man darf das aber eben nicht verwechseln mit Teilen des Soli-Spektrums. Da gibt’s leider ein etwas trauriges Kapitel: die Demo im Dezember in Hamburg, die ja, abgesehen von den kurdischen Demonstrationen, sicherlich die größte linksradikale Demo im letzten Jahr war. Wir haben die Initiative begrüßt und eine Zusammenarbeit angestrebt, leider gab es sehr unschöne Szenen im Vorfeld. Vor einiger Zeit hatten wir uns mit einem Vergewaltigungsvorwurf gegen ein ehemaliges Gruppenmitglied auseinanderzusetzen und das wurde uns auf dem letzten Vorbereitungstreffen vorgeworfen mit dem Ergebnis, daß wir keine Rede auf der Demo halten durften. Ein Teil dieser Vorbereitungsgruppe hatte nicht das Bemühen, das differenziert zu klären oder sich trotzdem solidarisch zu verhalten, ein anderer Teil wollte uns reden lassen - man muß da schon differenzieren, die Soli-Strukturen und Initiativen sind sehr heterogen. Es ist nicht immer harmonisch, weil sich ja schon im Laufe unserer bisherigen Politik eine Menge Widersprüche zu den Ansätzen der Szene entwickelt haben.

Viktor: Trotz allem finden wir es grundsätzlich richtig und gut, mit den Soligruppen zum 13. Juni zusammen zu arbeiten.

Der Vergewaltigungsvorwurf, Auseinandersetzung und die Konsequenzen

Fällt dieser Vergewaltigungsvorwurf auch unter “Widersprüche zwischen euch und der Szene”? Wie seid ihr mit dem Vorwurf umgegangen?

Viktoria: Erstmal muß man sagen, daß die Leute aus diesem Vorbereitungskreis, die so vehement dagegen waren, daß wir reden dürfen, über den genauen Fall nichts wußten. Da gibt es eine Erklärung dazu, wie unsere Position und unser konkreter Umgang damit war. Die haben vom Vergewlatigungsvorwurf gehört und daß der Typ noch in der Gruppe ist, fertig aus. Also kann die Antifa (M) keine Rede halten.

Du sagst, der Typ war trotz Vorwurf noch in der Gruppe. Was hattet ihr euch dazu überlegt?

Viktoria: Bevor es diesen Vorwurf überhaupt gab, hatten wir schon eine Vorgehensweise für so einen Fall entwickelt. Nach dieser Vorgehensweise bleibt der Typ erstmal in der Gruppe und es bildet sich ein Frauen- und ein Männergremium. Das Frauengremium versucht mit der betroffenen Frau Kontakt aufzunehmen, um eine grobe Erläuterung des Falls zu bekommen, also kein Detailwissen, wenn sie das nicht will. Es geht nur darum, für uns einzuschätzen, was war. Außerdem wollen wir wissen, was die Frau fordert, z.B. ob der Typ aus allen politischen Zusammenhängen rausfliegen soll, oder sich auch aus ihrem persönlichen Umfeld entfernen, sobald sie in der Nähe ist. Diese Forderungen wollen wir auf jeden Fall unterstützen. Dann entscheiden die Frauen der Gruppe, ob der Typ drin bleibt oder nicht. Das ist nach dem jetzigen Vorwurf genau so gelaufen, nur daß sich die betroffene Frau auch gegenüber den Frauen der Gruppe nicht äußern wollte. Über Dritte, Vierte, Fünfte wurde dann gesagt, der Typ ist ein Vergewaltiger, es gibt aber keine Erläuterung. Auf der anderen Seite hatten wir die Darstellung des Typen, die natürlich nur eine Seite darstellen kann - das war uns von Anfang an klar. Und so wie er das dargestellt hat, war es keine Vergewaltigung.

Nach Eurer Definition...

Viktoria: Ja, nach unserer Definition und unseren Informationen war das keine Vergewaltigung. Es war auf jeden Fall heftiges sexistisches Verhalten. Das heißt, der Typ bleibt erstmal drin, daran sind dann aber verschiedene Bedingungen geknüpft: er hat sich überall dort zu entfernen, wo die Frau ist, aus ihrem persönlichen Umfeld sowieso, aber auch aus allen öffentichen Räumen. Außerdem soll er sich weiterentwickeln und sich nicht nach dieser Entscheidung zurücklehnt und sagen, jetzt ist alles gegessen. Nach weiterer interner Diskussion stellten wir unsere Vorgehensweise in Frage und verbesserten unser ursprüngliches Konzept. Wenn wir unserem Anspruch gerecht werden wollen, müssen wir erstmal der Frau glauben; das heißt, wenn der Vorwurf steht, muß der Typ erstmal aus der Gruppe raus. Denn unser Ansatz ist, daß wir nicht mit Vergewaltigern zusammen arbeiten. Trotz seines Ausschlusses muß die Klärung fortgeführt werden.

Nach welchen Kriterien wollt ihr jetzt entscheiden, ob er wieder in die Gruppe kommen kann?

Viktoria: Nach unserer Definition und nach seinem Verhalten.

Aber ihr habt ja als Quelle für Informationen lediglich seine subjektiven Äußerungen.

Viktor: Klar, das macht alles komplizierter, weil es keine grobe Erläuterung gibt. Trotzdem wollen wir uns von so einem Druck von außen nicht bestimmen lassen.

Klar ist, daß eure ganze Definition nichts nützt, solange ihr euch auf den Typ stützt, bei dem man nichtmal davon ausgehen kann, daß er die Wahrheit sagt. Ich denke, das ist der Punkt, an dem ihr hängen bleibt - wie andere Gruppen, aus denen ich solche Diskussionen auch kenne. Das ist nicht aufzulösen.

Viktoria: Eine Möglichkeit ist, eine Definition zu entwickeln, und die betroffene Frau zu fragen, ob der Fall auch unter diese Definition fällt.

Habt ihr das so gemacht?

Viktoria: Mit der Frau persönlich haben wir wiegesagt nicht gesprochen. Was wir über mehrere Ecken von ihren VermittlerInnen gehört haben, soll der Fall auch unter unsere Definition von Vergewaltigung fallen.

Also nehmt ihr den Typen jetzt auch nicht wieder auf.

Viktoria: Nein, das würden wir nicht, wobei in dem konkreten Fall er auch nicht wieder aufgenommen werden will.

Auswirkungen des Verfahrens auf die Gruppe, auf andere Gruppen und die Situation vor Ort

Hat das Verfahren Auswirkungen auf die Gruppe?

Viktoria: Ja. Die ganze Antirepressionarbeit braucht viel Zeit und Energie, die natürlich dann bei anderen Aktionen fehlen, obwohl wir immer versucht haben, alles andere weiter laufen zu lassen. So haben wir 1995 zum 8. März eine größere Aktion gemacht und zum 8. Mai eine größere Kampagne mit Demo und Veranstaltungen - aber trotz allem ist es so, daß die meiste Energie in die Antirepressionsarbeit geht. Das sind die direkten Auswirkungen. Dann, wenn der Prozeß ansteht, wird das wahrscheinlich noch mal ein wenig krasser sein. Insgesamt ist das Ziel der Generalstaatsanwaltschaft, die Gruppe nicht nur zu lähmen, sondern sie zu zerschlagen. Der Ausgang des Prozesses ist für uns, aber nicht nur für uns, natürlich von großer Bedeutung: wenn die Gruppe als “kriminelle Vereinigung” verurteilt wird, werden wir auf keinen Fall so weiter machen können. Welche Wege wir dann gehen ist noch nicht ganz klar, das muß man mal sehen.

Wenn die Anklage so durchkommt, kann das ja auch Auswirkungen auf andere Gruppen haben.

Viktoria: Wenn das so durchkommt, haben sie einen Präzedenzfall geschaffen, das heißt sie haben dann Erfolg gehabt mit der Kriminalisierung einer Gruppe mit diesem Organisationsparagraphen. Das bedeutet für andere Gruppen, daß sie, wenn sie ein ähnliches Konzept haben oder sich organisiert haben und damit gewisse Erfolge erzielen, dann mit Verweis auf dieses Urteil abgeurteilt werden können. Wenn die Anklage so durchkommt, hat das also bundesweit für die gesamte außerparlamentarische Linke Bedeutung.

Viktoria: Ich möchte zu den politischen Auswirkungen noch sagen, daß sich gerade in letzter Zeit sehr deutlich gezeigt hat, daß sich das Verfahren auf die Politik der Gruppe auswirkt. So hatten wir für den 2. Oktober 1995 eine Demonstration und eine Agit-Prop-Aktion angekündigt gegen Faschismus und Klassenjustiz. Da ist im Prinzip so verfahren worden, wie die Jahre zuvor auch: wir haben zu verschiedenen Bündnistreffen eingeladen, an denen auch mehrere andere Gruppen beteiligt waren, und das Konzept wurde über die Presse veröffentlicht. Zuvor gab es aber eben im August den BGH-Beschluß, der einen Verdacht auf eine “kriminelle Vereinigung” bestätigte. Diese Direktive wirkte sich direkt auf die Behörden in Göttingen aus, die dann eine Verbotsverfügung erließen. Es war nicht mehr möglich, das Konzept genauso zu fahren, wie es die Jahre zuvor möglich war.

Viktor: Propagandistisch war es ein interessantes politisches Geschehen. Die Chaos-Tage, die im Sommer in Hannover gelaufen waren, wurden dazu benutzt, gegen unsere geplante Aktion am 2. Oktober zu hetzen. Obwohl alle in Göttingen wußten, daß ein Zusammenhang zwischen uns und den Chaos-Tagen völlig aus der Luft gegriffen war; alle politischen Kräfte und sogar die Polizei wußten, daß die Autonome Antifa (M) keine Chaos-Tage geplant hatte. Die Stimmungsmache ist so gelaufen, wie kürzlich auch bei geplanten kurdischen Newroz-Feiern: es wird etwas erfunden, was angeblich stattfinden soll, wird durch die Medien verbreitet und aufgebauscht, und hinterher wird behauptet, es sei etwas verhindert worden, was tatsächlich aber nie existiert hat. Es war also auch ein Beispiel, wie sie die Medien dazu nutzen, um politische Bewegungen, wie sie gerade wollen, fertig zu machen.

Bürgerliche Medien und die Lüge - Möglichkeiten und Grenzen autonomer Medienarbeit

Das zeigt auch die Grenzen von autonomer Medienarbeit. Wenn die nicht wollen, kommen wir nicht zu Wort. Da können wir noch so viele Presserklärungen und Ansprechpartner für die Presse haben, noch so schöne Bildmotive mit Schwarzem Block anbieten...

Viktor: Ganz eindeutig. Und das meinte ich mit den verschobenen Kräfteverhältnissen. Das Jahr vorher wäre so ein propagandistischer Angriff wahrscheinlich mit Bravour pariert worden. Aber jetzt ist der Druck zu stark, so daß man da unter geht. Die Konsequenz kann aber nicht sein, auf diese Art von Medienarbeit zu verzichten. Nachwievor sind gerade autonome Gruppen, wenn sie an Relevanz gewinnen wollen, darauf angewiesen.

Wenn Du sagst, daß ihr so einen “propagandistischen Angriff” vor einem Jahr noch mit Bravour pariert hättet und die Medien noch vor einem Jahr keine derartigen Lügen über euch verbreitet hätten, wegen eines verschobenen Kräfteverhältnisses, muß ich sagen, sehen wir das anders. Wir denken, daß das eine falsche Analyse der Funktion der herrschenden Medien ist. Wenn die vor einem Jahr Bock gehabt hätten, Euch auf die Art zu denunzieren und zu hetzen, hätten die das natürlich auch schon vor einem Jahr tun können.

Viktor: Warum hatten sie keinen Bock?

Vielleicht war ihnen die “Notwendigkeit” nicht so klar, vielleicht erschient ihr ihnen nicht so “gefährlich” - um darauf zu bestehen - wie jetzt. Aber klar ist doch, wenn sie euch einmachen wollen und wenn das angesagt ist, dann machen sie das. Kräfteverhältnis hin oder her. Ohne die Medien bringt ihr nichts rüber, zumindest nicht an eine große Zahl von Menschen, es sei denn, wir hätten eigene Medien, die wirklich viele erreichen. Ihr habt zu lange und zu arg darauf gebaut, die Bevölkerung über die herrschenden Medien zu erreichen. Jetzt stecken sie ihre Grenzen und zeigen euch: soweit wir wollen und nicht weiter. Und ihr könnt nichts dagegen tun, weil die Mehrheit euch nur über die Medien mitkriegt. Und wenn die behaupten, die Antifa (M) macht Chaostage, dann ist das in den Köpfen der meisten Realität. Und was für ein Interesse sollten die herrschenden Medien haben, eure und unsre Inhalte unverfälscht rüberzubringen? In der Konsequenz stellen diese schließlich auch die bürgerlichen Medien selbst in Frage.

Viktor: Im Göttinger Raum haben sie das aber nicht so leicht, oder hatten sie. Weil es opportun war, sich an antifaschistischen Aktionen zu beteiligen, weil die Nazis überall präsent waren, weil es die Pogrome gab, da war es opportun, mit den Antifas gegen die Nazis vorzugehen.

Viktoria: Gerade weil ein Großteil der Bevölkerung uns nur über die Medien mitbekommt, sagen wir doch, Medienarbeit ist ein wesentlicher Teil.

Vielleicht war es oppertun, gegen Nazis zu protestieren. Aber das ging doch nie in größerem Maße über rechtsstaatliche Aktionen raus. Was groß in den Medien kam, waren Lichterketten, brave deutsche BürgerInnen, die besorgt waren, über das Ansehen Deutschlands im Ausland. Aber das ging doch darüber nie raus. Wieso sollten sie eure antiimperialistischen Positionen vermitteln? Das ist doch überhaupt nicht ihr Interesse und auch nicht ihre Funktion. Und es ist ihnen doch leicht gefallen zu sagen, links- wie rechtsradikal ist scheiße, die wollen unser schönes Deutschland kaputtmachen. Es war angesagt zu berichten, daß Lichterketten richtig gut und Nazis richtig böse sind. Aber nur weil wir auch gegen Nazis sind, werden doch noch lange nicht unsere Inhalte verbreitet.

Viktor: Man muß sich natürlich bemühen, das reinzubringen.

Aber egal, wie du dich bemühst, steht es allein in ihrer Macht, das rüberzubringen, was sie wollen und was in ihrem Interesse steht.

Viktor: Natürlich haben sie die Macht, es so zu interpretieren, wie sie wollen...

Sie haben auch die Macht, zu verschweigen, was sie wollen.

Viktor: Es war aber in der Zeit nicht angesagt und deswegen bestand die Möglichkeit, daß wir das mitbestimmen. Und diese Möglichkeit besteht jetzt nicht mehr. Es war vor dem objektiven Hintergrund, daß die Nazis andauernd Friedhöfe geschändet haben, AusländerInnen und Obdachlose angegriffen und ermordet haben - vor diesem Hintergrund war es schwieriger gegen die Linken so platt vorzugehen, wie sie es immer gemacht haben. Du behauptest, die hatten vor einem Jahr einfach keinen Bock es so oder so zu machen. Aber für diesen Bock oder diese Motivation gibt es Gründe: aus dem gesellschaftlichen Kräfteverhältnis in der Gesamt-BRD im Zusammenhang mit den Nazis und der Situation vor Ort ist zu erklären, daß sie das nicht gemacht haben. Weil es nicht opportun war und auch bis heute nicht so einfach ist, die Antifa ohne weiteres zu isolieren. Es ist zwar am 2. Oktober weit verbreitet worden, wir wollten Chaostage machen, aber alle beteiligten politischen Kräfte - auch die Polizei - wußten, es geht nicht um Chaostage.

Obwohl alle politisch beteiligten Kräfte wußten, daß das gelogen ist, und obwohl noch bis vor einem Jahr die Göttinger Öffentlichkeit über die Medien wußte, daß ihr garnicht so seid, kommt das jetzt so an. Ohne Mühe bringen die Medien rüber, die Antifa (M) will Chaostage, ohne Mühe lügen die einfach, und diese Lüge wird für die Öffentlichkeit Realität. Was nützt es euch da, wenn die Bullen wissen, daß das nicht stimmt. Wenn alle Beteiligten wissen, daß das gelogen ist - genau das bestätigt doch eure Machtlosigkeit gegenüber den Medien, wenn sie trotzdem solche Lügen rüberbringen können und nicht sie sondern ihr unglaubwürdig da steht.

Viktoria: Die Frage ist doch, wie geht man an diese Medien ran. Man kann sagen, die könnnen ja sowieso machen wie sie Bock haben und deswegen verzichten wir darauf, oder sagt man, die können darüber berichten und dann muß man eben alles dafür tun, daß sie das auch machen. Man geht selber den Schritt, man geht auf die zu und sagt, das und das ist geplant und das sind unsere Positionen. Und das haben wir auch gemacht.

Viktor: Genauso wie der Polizeiapparat ist auch der Medienapparat kein monolithischer Block. Keine Frage funktionieren die Medien nach einem ökonomischen Prinzip und danach wird entscheiden, was geschrieben wird. Aber warum soll ich von vornherein nicht in kleine Widersprüche reingehen. Es gibt JournalistInnen, die den Anspruch haben, jetzt doch mal aufzuklären und die Wahrheit zu schreiben. Da muß man an die rantreten, sonst haben die immer nur Polizeiberichte.

Ich spreche doch auch gar nicht dagegen, das nicht zu versuchen. Klar kann das im Einzelfall Erfolg haben. Aber die Analyse, daß wir da irgendwas mitzureden hätten, ist falsch.

Viktoria: Dann bist du aber wieder an dem Punkt, an dem wir schon vorhin waren: warum habe sie unsere Politik nicht schon vor einem Jahr verschwiegen. Haben sie aber nicht.

Viktor: Daß sie das vor einem Jahr nicht so gemacht haben, lag am gesellschaftlichen Kräfteverhältnis, nicht daran, daß sie grade mal Bock hatten und jetzt wieder nicht.

Aber dieses gesellschaftliche Kräfteverhältnis wird wiederum maßgeblich über die Medien bestimmt und geschaffen...

Viktor: Dialektik.

Ja, darauf können wir uns einigen. Ansonsten habe ich das Gefühl, drehen wir uns an diesem Punkt gerade im Kreis.

Einige Meter mehr Soli-Arbeit - der Versuch, sich von Antirepressionsarbeit nicht lähmen zu lassen

Du hast vorher gemeint, daß die Antirepressionsarbeit die Gruppenpolitik stark beeinflußt, daß Sachen auf der Strecke bleiben, obwohl ihr euch vorgenommen habt, alles weiter laufen zu lassen. Das ist ja auch immer ein Ziel von Kriminalisierungen: funktionierende Strukturen zu lähmen. In der Soli-Bewegung zum 13.6. gibt es beispielsweise Überlegungen dahingehend, sich eben nicht von klassischer Antirepressionsarbeit lähmen zu lassen, sondern die angegriffenen Projekte jetzt erst recht zu thematisieren und wieder in die ôffentlichkeit zu bringen, so daß diese damit auch ein ganzes Stück bekannter wurden. Habt ihr euch mal Gedanken in diese Richtung gemacht?

Viktoria: Wir haben mal gesagt, die Fortführung der Politik ist die beste Antirepressionsarbeit. Dazu stehen wir auch immer noch, nur können wir die Auswirkungen der Verfahren, wie vorhin beschrieben, nicht einfach negieren. Bekannter geworden ist die Antifa (M) durch die Verfahren auf jeden Fall. Ich glaube noch nie haben sich so viel Leute mit den Broschüren auseinandergesetzt, die wir so geschrieben haben, wie jetzt. Obwohl wir unsere Politik in der Antirepressionsarbeit immer sehr stark thematisiert haben, wollen wir inhaltlich von der Soli-Arbeit aber eben gerade nicht fordern, daß sie auf jeden Fall unsere Politik verteidigen muß, nur darum geht es auch nicht. Die inhaltliche Ausrichtung variiert aber natürlich auch je nach Ansprechpartner. Wenn wir an bürgerliche Leute herantreten, geht es eher darum zu sagen, daß das Demonstrationsrecht verschärft wird, 17 Leute angeklagt sind, 13.929 Telefongespräche abgehört wurden, daß also in die Privatsphäre eingegriffen wird. Und bei radikaleren Leuten geht es natürlich auch um die Thematisierung unserer Politik, die da kriminalisiert werden soll. Grundidee ist im Prinzip, jede Solidaritätsarbeit, die die Leute aufbringen können, ist begrüßenswert, egal wie sie sie nun ausrichten, ob sie moralisch empört sind, ob sie die Politik verteidigen oder ob sie gegen den Rechtsruck vorgehen, das bleibt ihnen selbst überlassen.

Das ist wahrscheinlich auch euer Vorteil zur Soliarbeit zum 13. Juni: daß es euch als Gruppe schon lange gibt, genauso wie euer Bündnis. Die Soli-Gruppen zum 13. Juni mußten erst gegründet werden.

Viktoria: Klar, wir sind der Soliarbeit zum 13. Juni einige Meter voraus: seit wir als Gruppe existieren, gibt es die Ermittlungen, seitdem leben wir damit und seitdem ist das Teil unserer Politik. Auch im Bündnis war das immer Thema und das bedeutet, daß dieses Komitee 129 nicht von null auf hundert entstehen mußte. Die beste Antirepressionsarbeit war - bis zu dem BGH-Urteil - die Fortführung der Politik, realexistierende Politik auch im Bündnis, die sich nicht nur auf Repression bezog, wo Repression aber ein Teil von war. Nur so ist auch zu erklären, daß in der Region die Aufklärung relativ groß ist. Dieser Fall wäre sonst ja derart komplex, daß er juristisch und politisch kaum noch vermittelbar wäre. Da liegt ein klarer Vorteil: wir können sofort reagieren, können sofort zu einer bundesweiten Demo aufrufen, sind ansprechbar etc. Das ist natürlich eine Sache, die auch allein von der Struktur, die die radikal beispielsweise hat, gar nicht möglich ist. Ihr seid verdeckt organisiert, habt keine Lobby in dem Sinne, keine linksliberale, und müßt das alles erst anleiern. Das ist natürlich auch die klassische Soli-Falle sag ich mal: daß man auf die Leute angewiesen ist, viel mehr als wir, die zum Teil große Kritik an der Politik haben, auf die man aber auch nicht verzichten kann. Da sind wir ganz klar im Vorteil. Es war schon bei der Bündnisarbeit klar, daß da Kritik existiert, aber es wurde ein Verhältnis gefunden, und v.a. sind die großen Demonstrationen mit Schwarzem Block vom Bündnis getragen worden. Wir müssen gegenüber den bürgerlichen Gruppen und Organisationen in der Region nicht erst jetzt anfangen, den Schwarzen Block zu erklären und unsere Aktionen zu rechtfertigen. Diese Diskussionen sind zuvor immer in den Bündnisverhandlungen geführt worden.

Der Verlust des radikalen Ansatzes - Reformismus und Revolution oder: wie kommen wir über rechtsstaatliche Forderungen hinaus

Ihr habt im Laufe dieses Gesprächs ziemlich viel erzählt über Widersprüche im Apparat. Das ist zwar nicht unbedingt eine juristische Ebene, aber ein ziemlich starkes Sich-Einlassen auf herrschende Politik. Zu linksradikalen Inhalten habt ihr eher wenig gesagt, und die Forderungen, die ihr bisher mit eurem Bündnis formuliert habt, bewegen sich nicht über eine rechtsstaatlichen Ebene hinaus. Macht ihr euch keine Sorgen, daß ihr euren radikalen Ansatz darin verliert?

Viktoria: So wie du die Frage stellst, würde das ja heißen, ihr lehnt das ab, sich überhaupt mit diesen ganzen Widersprüchen im Apparat zu beschäftigen, weil das sowieso nicht unser Ding ist.

Nein, es geht nicht darum, das völlig abzulehnen. Wir finden diese Arbeit richtig und notwendig, haben aber den Eindruck, ihr bleibt dabei stehen. Das ist interessant und gut, sich damit zu beschäftigen und das zu analysieren und bringt wahrscheinlich auch was für euren Prozeß, nur ist die Frage, was man noch darüber hinaus erreichen und vermitteln will.

Viktor: Das liegt nur begrenzt in unserem Einfluß. Wir suchen uns doch nicht aus, daß von unserer Politik nur Anti-Nazi-Inhalte rüberkommen, das ist erstmal der Filter der Medien bundesweit. In den Publikationen hier sagen wir, daß sich der Imperialismus verschiedener Säulen bedient - Rassismus, Sexismus. Mehr kann man dazu nicht sagen. Das ist eine Analyse, die schon einhundert Jahre alt ist. Und ansonsten war es immer die Politik der Antifa, genau in diese Widersprüche reinzugehen, also eben nicht wie die Anti-Nationalen eine Position zu beziehen “Wir sind der Rest” und zu sagen, uns interessiert die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht. Genau das wollen wir eben nicht, sondern wir haben immer versucht, aus den siebzigern und achtzigern zum Teil zu lernen: dieser Apparat ist kein monolithischer Block, es gibt tausend kleine Widersprüche. Aber wenn ich das feststelle, kann ich das nicht nur feststellen, sondern muß da auch reingehen und versuchen, etwas zu entwickeln. Solche kleinen Widersprüche im Polizeiapparat haben wir uns zu nutzen gemacht, und wir kommen inzwischen zu dem Schluß, daß es uns mehr gebracht hat, sich innerhalb dieser Deeskalationsstrategie zu bewegen, als eine repressive Situation wie in den achtzigern, wo die Kriminalisierung der Leute sehr stark war und die Bewegung einfach nicht in Gang gekommen ist. Wenn in den bürgerlichen Medien berichtet wird, die Antifa (M) kritisiert hier und da die Polizei - natürlich bleibt man an dem Punkt in der Öffentlichkeit stecken. Aber darauf haben wir nur sehr bedingt Einfluß.

Mir ging es aber nicht nur um Sachen, die über Euch in den bürgerlichen Zeitungen zu lesen sind, sondern auch um das, was ihr hier gesagt habt. Auch in diesem Interview habt ihr euch sehr stark auf die Widersprüche im Apparat bezogen und Forderungen formuliert, die auf einer rechtsstaatlichen Ebene bleiben. In der radi 147 hatten wir schon mal ein Gespräch mit Vertreterinnen Eurer Gruppe, als es um Organisierung ging. Damals habt ihr gesagt, wir machen Antifa, weil man über die Betroffenheit über faschistische Anschläge, die damals noch viel stärker war, mit diesem Thema Leute erreichen kann, um ihnen dann unseren radikaleren Ansatz näher zu bringen. Also auch zu sagen, was hier abgeht, liegt in diesem Apparat begründet, da kann man nichts reformieren; über diese Schiene den bürgerlichen Kräften unsere radikalere Kritik zu vermitteln. Euer jetziger Ansatz ist wahrscheinlich ein ähnlicher und auf der ersten Stufe auch sehr erfolgreich: ihr erreicht bürgerlicher Kräfte, seid in der Region verankert und habt ein breites Bündnis, das euch in eurer Prozeßarbeit unterstützt und mit dem zusammen ihr Forderungen entwickelt. Aber der zweite Schritt, diesen bürgerlichen Kräften und der Öffentlichkeit unsere und euer radikale Kritik näher zu bringen bzw. diese über die gemeinsame Arbeit zu entwickeln, finden wir, hat nicht funktioniert, bzw läuft einfach nicht. Ihr bleibt momentan bei Forderungen wie “Weg mit dem 129/129 a” stehen, die sich auf einer rechtsstaatlichen Ebene bewegen und nicht darüber hinaus gehen. Ein linksradikaler, gesellschaftskritischer Standpunkt kommt darin doch überhaupt nicht mehr vor.

Viktor: Doch! Ihr müßt euch vor Augen halten, daß genau das eingesetzt wird. Es ist so, daß sich das linksliberale Spektrum in Göttingen nach dem Tod von Conny 1989 organisiert hat. Es gab also nicht nur Einzelpersonen, sondern das hat sich institutionalisiert über diese “BürgerInnen gegen rechts”. Und diese Leute haben sich am Anfang auf der parlamentarischen Ebene mit dem Innenminister rumgeärgert und so weiter. Die sind mittlerweile an einem ganz anderen Punkt. Sie arbeiten eben nicht nur mit uns bei Anti-Nazi-Sachen zusammen, sondern sie haben auch dieses Soli-Komitee gegründet, das im Vergleich zu bürgerlichen Kräften sehr grundsätzliche Kritiken hat. Sie fordern auch die Abschaffung des 129/129a, die sehen auch, daß dieser Apparat nicht mehr reformierbar ist und so weiter. Das sind Positionen, die für eine bürgerliche Gruppierung sehr weitgehend sind, und das ist darauf zurückzuführen, daß es in Göttingen mittlerweile vom gesamten autonomen Spektrum diese Berührung mit den Linksliberalen und eine dauerhafte Aufklärung gibt. Eine Aktivität von einem linksliberalen Spektrum ist eben immer auch davon abhängig, was von radikaleren Kräften an Informationen vermittelt wird. Ich finde überhaupt nicht, daß das untergeht sondern ich habe den Eindruck, daß wir da sehr sehr weit sind.

Genau diese Forderung “Weg mit 129/129a” meine ich aber. Damit fordert man eine kleine Verbesserung/Reformierung in einem ganz kleinen Teil von diesem Apparat, dem Strafgesetzbuch. Damit wird nicht nur das Strafgesetzbuch als solches anerkannt, sondern auch die herrschende Justiz und damit natürlich das System. Nur eine kleine Sache soll verändert werden, der Rest ist schon ok. Wenn das kein Reformismus ist...

Viktor: Die Frage ist, stelle ich immer nur revolutionäre Forderungen oder stelle ich auch tagespolitische Forderungen. Warum soll man nicht beides machen.

Klar soll man beides machen. Natürlich helfen uns revolutionäre Forderungen momentan nicht spürbar weiter. Klar, kann man eure Lage direkt damit nicht verbessern. Aber wenn du meinst, man soll beides machen, fragen wir uns eben, wo bleibt in Eurer Prozeßarbeit und in der Politik der Antifa (M) mit dem Schwerpunkt Prozeß neben der tagespolitischen die revolutionäre Forderung?

Viktor: Ich möchte mal ein Beispiel machen: Eine reformistische Forderung, die wir nicht unterschreiben würden, wäre: wir wollen einen fairen Prozeß haben. Das ist eine Forderung von bürgerlichen Kräften. Es gibt sicherlich auch Leute, die das so sehen; die zwar sagen, naja der 129 ist eben übertrieben, aber da ist ja schon was dran, die haben doch Landfriedensbruch begangen, das mit der Vermummung paßt uns auch irgendwie nicht - das wäre eine Sache. Aber das fordert dieses bürgerliche Komitee überhaupt nicht, sondern die fordern: Abschaffung des 129. Das ist nicht einfach eine reformistische Forderung, sondern dahinter steht ja - und das ist auch weitgehendst vermittelt - daß das ein Ermittlungsparagraph ist, der vorallendingen gegen Linke angewandt wird; das heißt, es geht hier viel weiter: welche Motivation steckt da dahinter, diese Forderung aufzustellen. Und das ist damit gemeint, damit wird eindeutig Position bezogen und gesagt, es gibt hier eine Gesinnungsjustiz - oder wie wir es nennen, eine Klassenjustiz. Das wird so von dem Spektrum auch gesehen. Ich will mal provokant sagen, was hilft es mir, wenn ich mich nicht vermittle, und zwar in kleinen Schritten, sondern immer nur sage: weg mit dem Scheißsystem. Das bringt mich keinen Schritt weiter und das ist in dem Spektrum gar nicht unsere Aufgabe. Das kommt natürlich immer darauf an, wo ich auftrete. Wenn wir vor linksradikalen Leuten auftreten, fordern wir natürlich noch viel weitergehende Sachen. Die sind aber allenfalls in den Broschüren Thema.

Dieser Zwiespalt ist bei uns in der Diskussion auch aufgetaucht. Einerseits ist es richtig, besser gleich “weg mit der Klassenjustiz” zu sagen, andererseits wäre es natürlich realistischer, erstmal “weg mit 129/129a” zu fordern, weil wir mit abgehobenen Forderungen um die Klassenjustiz so konkret nicht weiter kommen. Und wenn es darum geht, zu verhindern, daß linksradikale Projekte kurzerhand zu kriminellen Vereinigungen erklärt werden, und wenn klar ist, daß das für uns und euch noch verdammt viel Streß mit sich bringen kann, muß alles getan werden, um konkret das zu verhindern. Das ist der Zwiespalt, in dem wir stecken, wenn es um Antirepressionsarbeit geht.

Viktor: Ja genau. Wenn ich Soli- und Bündnisarbeit mache, muß ich einen Anknüpfungspunkt haben, worunter sich die Leute was vorstellen können. Du triffst auf Leute, natürlich nicht nur unter den Bürgerlichen sondern auch in der heutigen Linken, die keine konkrete Vorstellung davon haben, was dieser Staat ist, wie er aufgeteilt ist, welche Funktion oder Ziele das Kapital hat, welche Funktion der Staat und welche die Polizei und so weiter. Das sind ja nicht alles MarxistenInnen, die da rumlaufen. Denen kann ich keine Forderung vor den Kopf knallen, die nur Leuten einsichtig scheint, die von vornerein klar haben, das ist eine kapitalistisch organisierte parlamentarische Demokratie. An dem Punkt stehen die Leute gar nicht, ich muß mich ja vermitteln; warum soll ich das nicht in Teilstücken machen.

Klar, wenn das dann auch wirklich weiter geht, ist das auch was anderes.

Viktor: Wir haben nie gesagt, daß das nicht weiter geht.

Viktoria: Diese Forderung, die Du gerade genannt hast “weg mit der Klassenjustiz”, die gab es auch schon von bürgerlichen Leuten, ohne daß wir denen das aufgedrückt haben das zu fordern.

Viktor: Das ist ja nicht so, daß wir denen das alles vorschreiben, das machen die alles selbst. Zum Teil sind die Leute nach vier Jahren radikaler aufgetreten, als sogenannte autonome Gruppen in Göttingen. Die haben Reden gehalten, die waren von der Analyse her fast marxistisch angelegt. Trotzdem sind sie von ihrem Sein her BürgerInnen und sie werden natürlich nicht militante Politik machen, das ist uns total klar.

Und jetzt?

Was habt ihr denn konkret in nächster Zeit vor?

Viktoria: Im Juni wird es Antifa-Wochen geben mit verschiedenen Veranstaltungen, z.B. einer mit Anwälten und Anwältinnen und eine zum Thema radikal-Verfahren; eine Ausstellung mit kriminalisierten KuK-Plakaten, evtl. ein Konzert. Für den 10. August, also kurz vor Prozeßbeginn, planen wir dann eine bundesweite Demo.

Viktor: Die Soli-Arbeit vor dem Prozeß soll in dieser Demo kulminieren; in dem Zusammenhang haben wir auch eine Resolution vorbereitet, die dann möglichst viele Leute und “Promis” unterschreiben sollen. Die Demo soll eine große und breite Demo werden und wir hoffen, damit noch mal starken politischen Druck aufbauen zu können. Wenn es gelingt, daß die Demo eine Woche vor dem Prozeß noch mal eine richtige Wucht hat, sind wir einen Schritt weiter.

Ein gutes Schlußwort...


Da wir der Überzeugung sind, daß ihr liebe Leserinnen und Leser, nachdem ihr über diese 13 Seiten lang so brav ruhig gesessen seid und euch das eine oder andere Soli-Arbeitsproblem theoretisch durch den Kopf gehen lassen habt, jetzt endlich aktiv werden wollt, stellen wir euch hier kurz ein paar Möglichkeiten vor, wie ihr das tun könnt. Für weitere Nachfragen erreicht ihr die Antifa (M) genau hier:
c/o Buchladen Rote Straße
Rote Str. 10
37073 Göttingen
Tel und Fax: 0551/549081
e-mail: aam@paxo.nadir.org
http://www.nadir.org/Gruppen/aam/