Krieg in Hannover

Wir sind Leute, die an den Auseinandersetzungen auf dem Sprengelgelände Ende in Hannover im Januar 96 beteiligt waren und sich klar auf die Seite der bedrohten Kneipe “Schwule Sau” und der Mehrheit der Sprengel/Kofferfabrik-BewohnerInnen gestellt haben. Die Gegenseite, die sich selbst zum Großteil als “Punks” versteht, ist für uns nicht repräsentativ für die Punkbewegung an sich. Deshalb ist die heftige Kritik an diesen Leuten, die wir im folgenden als “Punker” in Anführungszeichen bezeichnen, kein Runtermachen der Punkbewegung insgesamt, obwohl wir leider wissen, daß es solche “Punker” bei weitem nicht nur in Hannover gibt. An die Darstellung der Ereignisse von Januar bis April (wovon einiges stark an die Erklärungen des Sprengel-Plenums angelehnt ist) schließt sich ein Analyse- Versuch und ein Ausblick auf die Chaostage 96 an.

Die Januar-Ereignisse

In der Nacht vom 17.1. tauchten zwei Sprengel-”Punker” in der auf dem Sprengelgelände gelegenen Kneipe “Schwule Sau” in der Nordstadt Hannovers auf und forderten eine Kiste Bier, erst umsonst, dann auf Pump. Als sie die nicht bekamen, zogen sie unter schwulenfeindlichen Sprüchen ab und tauchten später mit 5 anderen wieder auf, pöbelten, warfen einige Scheiben ein und versuchten die Tür aufzubrechen.

Rückblick

Der geschilderte Angriff war nicht der erste, der von dieser Clique , die z.T. und meist erst seit kurzer Zeit auf dem Sprengelgelände wohnte, ausging. Die “Schwule Sau”, ein unkommerziell und kollektiv betriebenes Veranstaltungszentrum, war wiederholt Ziel von Übergriffen. Ihre BetreiberInnen und NutzerInnen waren immer wieder den Pöbeleien ihrer “lieben Nachbarn” ausgesetzt. Für die damals in der Kofferfabrik lebenden Schwulen bedeutete das Zusammenleben mit jenen “Punkern” diskriminierenden Anmachen im eigenen Haus ausgeliefert zu sein.

Im Frühjahr 95 kam es zu 2 Einbrüchen, bei denen es klare Hinweise gab, daß sie aus dieser Gruppe von “Punkern” heraus verübt wurden. Kurz vor den Chaostagen 95 wurde ein weiterer Einbruch mit anschließender Brandstiftung verübt, die 2 Brandstifter wurden vom Gelände geworfen. Die meisten “Punker” distanzierten sich nur halbherzig, viele deckten den Brandanschlag sogar. Danach wurden 2 oder 3 Male einzelne Scheiben der Sau, die damals kurz vor ihrem Existenz - Ende stand, eingeworfen. Der Rückschluß, daß wiederum nicht Nazis, sondern “Punker” dafür die Verantwortung trugen, ergab sich aus einzelnen Beobachtungen, einer schwulenfeindlichen Stimmung dieser Szenerie und der räumlichen Lage. Die Sau liegt in direkter Nachbarschaft zum Wohnprojekt Kofferfabrik auf Sprengel, die “Punker” lebten in einem von 7 bewohnten Etagenflügeln, der mit ca. 30m Abstand frontal zur Sau verläuft. Auf dem dazwischen gelegenen Bauwagenplatz (einer von zweien auf Sprengel) wohnte der zweite Teil von ihnen.

Die schwulenfeindlichen Angriffe trafen immer die zum Bauwagenplatz und zur “Punkeretage” gelegene Seite der Sau. Die ursprünglich von den Sau-BetreiberInnen erhoffte und zunächst auch vorhandene Sicherheit durch die angrenzende Kofferfabrik hatte sich spätestens im Verlauf des Jahres 95 in sein krasses Gegenteil verkehrt.

Schon bevor die Sau Zielscheibe von Übergriffen wurde, mußten sich andere fortschrittliche Projekte mit dieser “Punker”szene rumschlagen. Lesben- und frauenfeindliche Sprüche, Absingen des Horst Wessel - Liedes, Sieg- Heil - Gegröle und Bedrohungen bis hin zu gezielten Angriffen waren nichts Außergewöhnliches.

Die Eskalation

Nach dem Angriff gegen die Sau am 17.1. wurde noch in derselben Nacht von BewohnerInnen der Kofferfabrik versucht den Bauwagen des einen Täters vom Gelände zu ziehen und ihn selbst rauszuschmeißen. Dieser Versuch scheiterte , weil er von 15 seiner Kumpels handfeste Unterstützung erhielt. Die Massenschlägerei zwischen den sich gegenüberstehenden Gruppen, blieb jedoch aus. Bei einem kleinem Gerangel am Rande verletzte einer der “Ober-Mackerpunker” eine Person, für diese selbst völlig überraschend, schwer.

Am darauffolgenden Tag fand in der Schwulen Sau ein offenes Plenum mit über 60 Leuten statt, von denen die Mehrheit MacherInnen und NutzerInnen der Sau, sowie BewohnerInnen der Kofferfabrik waren. Es ergab sich ziemlich schnell eine Übereinkunft darüber, daß nach der Aktion des Vorabends, nachdem was davor gelaufen ist und der Aussicht, daß die Übergriffe kein Ende nehmen würden, kein weiteres Mit-, bzw. Nebeneinander mit den Leuten, die dafür direkt verantwortlich sind, möglich wäre. Ohne den Rausschmiß der Verantwortlichen wäre das Ende des Schwulen- und Lesbenprojektes wahrscheinlich. Mit dem Rausschmiß wurde von Seiten der SprengelbewohnerInnen endlich Verantwortung übernommen, für das was auf ihrem Gelände passierte, konkret das Bestehen schwulenfeindlicher Strukturen.

Die zwei hauptverantwortlichen Typen wurden nach dem Plenum rausgeworfen. Aus unserer Sicht gelang es nur durch den konsequent durchgezogenen Rausschmiß eine Massenschlägerei in diesem Moment zu verhindern. Einer der beiden wurde bei Minustemperaturen in Unterhose auf die Straße gesetzt, was später von einigen “Punkern” zum Hauptargument gegen das Vorgehen von uns, den autonomen “Automaten”, gemacht wurde. Uns stellt sich eher die Frage, ob den Typen nicht mehr hätte zugefügt werden müssen als ein gefrorener Arsch.

Tags darauf, am 19.1., drangen herbeitelefonierte Hamburger “Punker” und ihre hannoverschen Kammeraden in die Kofferfabrik, genauer gesagt gingen sie einfach hinein und sammelten sich in der “Punkeretage”. Die Kofferfabrik- BewohnerInnen hatten weder für eine Türwache, noch für ausreichenden Schutz gesorgt, möglicherweise waren sie vom Zeitpunkt des Überfalls (mittags) überrascht. Die ca. 20 anwesenden BewohnerInnen flüchteten nach einem Angriff schließlich über ein Fenster ins Freie. In den darauffolgenden Stunden wurden Teile der Kofferfabrik vom ca. 30-40 köpfigen Mob von innen demoliert. Die meisten Schäden sind bis heute nicht behoben. BewohnerInnen und UnterstützerInnen sammelten sich auf der Straße und warfen Steine und Flaschen auf an den Fenstern stehende “Punker”. Bei Dunkelheit wurde dem Haus der Strom gekappt und Gas ins Haus geschossen. Zwischendurch kam es durch zwei “Ausfälle” zu Schlägereien auf der Straße, was zu mehreren Verletzten auf beiden Seiten führte. Die schwersten Verletzungen rührten allerdings daher, daß einzelne “Punker” in blindwütiger Brutalität versehentlich ihre eigenen Kumpels krankenhausreif schlugen.

Die bislang ungekannte Härte der Auseinandersetzung kam zwar nicht für alle, aber doch nicht (? d.S.) für viele völlig überraschend. Sie war aber logische Folge der vorangegangenen Tage. Seitens der zum Großteil mit Speed zugedröhnten “Punker” wurde die Auseinandersetzung mit rücksichtsloser Durchgeknalltheit geführt, was z.B. der Einsatz von Äxten belegt. Dies war der Grund, warum sich einige Leute nach der “Erstürmung” der Kofferfabrik durch “Punker” entschlossen, die Bullen anzurufen, um sie in Kenntnis der Situation zu versetzen. Konkret ging es darum, daß sich noch längere Zeit vier BewohnerInnen in einem unterm Dach gelegenen Etagenflügel eingeschlossen hatten. Wäre ihre Tür aufgebrochen worden, hätte für sie Lebensgefahr bestanden. Als sich die vier Leute abgeseilt hatten, wurde auf eine Strafanzeige, die (eine) juristische Voraussetzung für ein Einschreiten der Bullen gewesen wäre, bewußt verzichtet. Auf diesem Hintergrund finden wir die Bullenbenachrichtigung nachvollziehbar. Das es darüber hinaus keine Zusammenarbeit gab, ist für uns allerdings auch eine politische Notwendigkeit gewesen.

Durch den auf das Haus ausgeübten militanten Druck und die eigene Planlosigkeit gaben die “Punker” schließlich auf, verließen geschlossen das Gelände und gingen in ein nahegelegenes Mietshaus, ohne dabei von einer dort postierten Bullenansammlung behelligt zu werden. Später rückte eine Hundertschaft Bullen aufs Sprengelgelände vor und erzwang eine Begehung der Kofferfabrik durch eine Delegation von einigen Politikern und Bullen. Im Laufe der Nacht und in den darauffolgenden Tagen reisten ein paar Dutzend UnterstützerInnen der BewohnerInnen aus norddeutschen Städten, meist aus Antifa- Zusammenhängen, an und halfen bei Nachtwachen und der Beseitigung der gröbsten Schäden. Die hannoversche Presse berichtete großaufgemacht und verfälschend über die Auseinandersetzungen.

Nach dem 19.1. erhielten etwa 20 namentlich bekannte “Punker”, die sich an der Zerstörung des Hauses beteiligt oder sich eindeutig auf die Seite der Schwulenfeinde gestellt hatten, Geländeverbot. Dadurch gibt es den einen Bauwagenplatz und die Ehemalige “Punkeretage” heute in der Form nicht mehr. Das gesamte Gelände befindet sich in einem Neustrukturierungsprozeß, z.T. sind neue Leute eingezogen. Die Bereitschaft, sich offensiver zu verteidigen, ist gestiegen.

Durch die Anwesenheit von UnterstützerInnen in der Kofferfabrik und nicht zuletzt durch frostiges Wetter blieben Racheaktionen für den Rausschmiß zunächst aus. Andererseits erklärte das Sprengelgelände kein Interesse an einem Kleinkrieg und weiterer Eskalation zu haben. Diese Entscheidung war vielleicht politisch-taktisch richtig, immerhin wäre uns ein Rachebedürfnis nach den Angriffen gegen die Sau und der Teilzerstörung der Kofferfabrik aber ebenfalls verständlich gewesen. Außerdem bewegte sich ein Großteil der Rausgeschmissenen noch relativ normal in der Nordstadt, während zumindestens einige BewohnerInnen des Geländes kaum noch alleine einen Fuß auf die Straße setzten. Neben dieser ganz praktischen Notwendigkeit hätten wir auch eine Politische gesehen, den Aktionsradius von schwulenfeindlichen Schlägern, egal wie sie sich selbst nennen, einzuschränken. Dies geschah nicht.

Gründe mögen ein Ruhebedürfnis nach den Streßtagen, Angst vor weiteren Auseinandersetzungen und die Hoffnung, durch Deeskalation zumindestens einen “Waffenstillstand” zu erreichen, gewesen sein. Diese Rechnung ging nicht auf. Blieb es zunächst - vor allem bedingt durch mangelnde Zugriffsmöglichkeiten auf bestimmte BewohnerInnen - bei Sprüchen und Pöbeleien seitens der “Punker”, änderte sich die Situation am 21.3. schlagartig. Es brauchte nur einen genauso nichtigen wie erlogenen Anlaß, damit acht “Punker” nachmittags vor der Kofferfabrik erscheinen zu lassen, die mit Steinen aufs Haus warfen. Die Gegenwehr der wenigen zu dem Zeitpunkt anwesenden BewohnerInnen aus dem Haus heraus muß so wenig abschreckend gewesen sein, daß die gleiche Gruppe mit etwas Verstärkung eine halbe Stunde später wiederum erschien. Mehrere kaputte großformatige Scheiben, zwei demolierte Pkws sowie zerstörte Scheiben eines Bauwagens waren die Bilanz.

Militanz

Ein kleiner Teil der Politszene beschwerte sich , daß am 21.3. mit Zwillen auf die “Punker” geschossen worden wäre. Besser weil effektiver wäre sicherlich gewesen, die Angreifer (ohne Innen) durch einen “Ausfall” zu verjagen. Da dies mangels Masse und Entschlossenheit anscheinend nicht möglich war, finden wir eine Gegenwehr mittels Flaschen und auch Zwillen legitim. Den Anspruch, daß Rücksicht genommen wird, haben Leute, die ein fortschrittliches Projekt angreifen, verwirkt. Schließlich kamen sie nicht auf einen Tee vorbei.

as von unserer Seite bei solchen Auseinandersetzungen keine Toten gewollt sind, versteht sich. Es bleibt allerdings - das ist eine alte Debatte - ein “ Restrisiko” bei Stein- und Flaschenwürfen, beim Einsatz von Knüppeln und bei Zwillenschüssen (mehr als bei Flaschen) jemanden ungewollt tödlich zu verletzen. Dieses Problem wiegt sehr schwer, trotzdem steht die Notwendigkeit von Selbstverteidigung für uns höher. Wie uns die Situation beschrieben wurde, waren die Flaschenwürfe praktisch wirkungslos und garantierten keine Verteidigung. Lediglich der Einsatz von Zwillen sorgte für Distanz und Angst bei den Angreifern. Verletzt wurde letztlich niemand.

Insgesamt betrachtet wurde von unserer Seite bis heute stets eine notwendige Hemmschwelle in direkten Auseinandersetzungen aufrecht erhalten. D.h. in Situationen, in denen jemand aus der “Punkerfraktion” von unserer Seite aus hätte bewußt schwer verletzt oder getötet werden können, wurde aufgehört. Das läßt sich zumindest von einigen der Gegenseite nicht behaupten. Das einige Obermacker- “Punker” keine klare Grenze zur durchgeknallten Brutalität kennen, macht den Umgang mit ihnen schwerer und bei vielen von uns sehr angstbesetzt.

Es kommt noch dicker

Etwa eine Woche später, Ende März, werden nachts wiederum (zwei) Scheiben der Kofferfabrik eingeworfen. Die beiden Täter, einer von ihnen war bislang an allen Angriffen beteiligt, flüchteten. Das wenige Stunden vorher in einer Disco mehrere Sprengel-BewohnerInnen die Möglichkeit ausließen, den gleichen Obermacker zur Rechenschaft zu ziehen, muß dieser als Aufforderung zum erneuten Glasbruch gewertet haben. Tags darauf wird er endlich von mehreren Leuten verprügelt, kommt dabei aber noch glimpflich davon. Zusätzlich laufen Leute bei ihm in der Wohnung auf und hinterlassen dem nicht Anwesenden einige Drohungen. Die unmittelbar danach befürchtete Reaktion blieb aus. Dieses Beispiel zeigt: Ein erfolgter Dämpfer löst das gesamte Problem nicht, hat aber abschreckende Wirkung und sorgt für “Luft”. Angriffe auf die Kofferfabrik aber erfolgten ohne das diesen eine Aktion unserer Seite vorausging.

Am 18.4. erfolgt das nächste negativ-”highlight”: Zwei Sprengel-Bewohner werden einzeln, einer von ihnen in Gegenwart seines kleinen Sohnes, auf der Straße von schon bekannten “Punkern” angegangen und verletzt. Die Reaktion kommt diesmal prompt. Einem der Typen wird am selben Tag eine Flasche über den Kopf gezogen. SprengelbewohnerInnen und UnterstützerInnen sammeln sich nachts auf der Straße, um auf weitere mögliche Angriffe reagieren zu können bzw. um den rädelsführenden Oberarsch, der sich wieder an einem der beiden Angriffe beteiligt hatte, zur Rechenschaft zu ziehen. Etwa 15 “Punker”, darunter auch die hauptbeteiligten Obermacker, sammeln sich in Sichtweite und provozieren. Obwohl diese Gruppe ganz offensichtlich eine Einheit bildet und einige von ihnen an der Verwüstung der Kofferfabrik im Januar beteiligt waren, wird von unserer Seite auch in dieser Situation zwischen den ein bis zwei Oberärschen und dem Rest differenziert. Das gilt auch für den Moment, in dem mit ca. 40 Leuten auf die “Punker”- Gruppe zugelaufen wird. In dieser Situation wirft ein unerkannt gebliebener “Punker” einen Molotow-Cocktail in die laufende Menge,- verletzt wir eher zufällig niemand. Anscheinend war diese Eskalation geplant: Erstens trägt niemand einen Molli mal so zufällig in der Tasche, zweitens sollten die Provokationen sowie die Anwesenheit des Obermackers einen Angriff anscheinend heraufbeschwören. Besagter Typ flüchtete und entkam knapp mit leichten Blessuren. Einige zurückgebliebene Kameraden blieben von uns unbehelligt.

Die Bullen rückten danach ins Viertel ein und fuhren massiv Streife.

Dies ist der aktuelle Stand bei Verfassen des Artikels.

Leider ist ein Ende der Auseinandersetzungen nicht in Sicht. Die “Punker”- Treffpunkte liegen in unmittelbarer Nähe des Sprengelgeländes. “Begegnungen” sind unvermeidbar und von “Punker”- Seite hat sich der Kreis von Leuten, die sie “haben” wollen, erweitert. Die Drohungen und Provokationen gehen von ihrer Seite aus weiter.

Wie konnte es soweit überhaupt kommen?

Die geschrieben gab es schon seit Jahren z.T. große Probleme mit einer immer mehr abdriftenden “Punker”-Szene, die vorwiegend in der Nordstadt an verschiedenen Schauplätzen rumrockerte. Es handelt sich also beileibe nicht um ein reines Sprengel-Problem. Diejenigen, die wir bisher als “Punker” mit all ihren unangenehmen Eigenschaften beschrieben haben, sind mehr oder minder mit anderen Punks in Hannover verwoben, die sich größtenteils aus dem gesamten Konflikt raushielten und zumindestens die gröbsten “Punker”- Aktionen verurteilten. Andere Punks haben mit den Nordstadt-”Punkern” sowieso nichts zu tun. Wieviel Sympathien sie sonst haben wissen wir nicht. Der Haß auf “die Automaten (Autonome)” ist aber durchaus weiter verbreitet.

Andererseits gehen die “Punker”- Kontakte auch noch bis in die autonome Szene hinein. Das persönliche Kennen scheint eine Grenzziehzung zu absolutem Arschlochverhalten (z.B. gegenüber der Schwulen Sau) für etliche zu erschweren bzw. zu verunmöglichen. Es wird entschuldigt und verharmlost, weil eine Freundschaft oder Beziehung vorliegt, die schwerer wiegt als alle politischen und moralischen Kriterien (sofern sie denn vorhanden waren). Um es klar zu sagen: Eine Freundschaft ist für uns spätestens dann vorbei, wenn sich z.B. wiederholt an sexistischen Aktionen und Sprüchen beteiligt wird. Das Verharmlosen von Aktionen ist nichts anderes als deren Deckung, die eine Isolation der Täter in der Szene verunmöglicht. Das führt in eine Verdrehung von Tätern und Opfern: Opfer sind z.B. nicht mehr die angegriffenen Leute von der Sau, sondern die schwulenfeindlichen Steinewerfer, weil sie nach ihrem Rauswurf als “arme Obdachlose” gesehen werden.

Daß eine Sache “irgendwie Scheiße” ist, wird häufig nur dann gesehen, wenn es zu einem direkten handfesten Angriff kommt. Dann wird gesagt: “Das war Scheiße, aber ihr habt ja auch...”. Das zeugt zum einen wieder von einem schrägen Bild, wer eigentlich die Täter- Seite stellt, zum anderen wird mangelndes Bewußtsein über die existierenden Gewaltverhältnisse und -formen offensichtlich: Auch schwulenfeindliche Sprüche, Drohungen und die Kumpanei mit den Tätern sind Gewalt. Diese Formen werden zu häufig übergangen, ignoriert oder verharmlost. Dieses Verhalten trug im Lauf der Jahre dazu bei, daß sich die immer gleichen Arschlöcher ungestört und selbstverständlich im Viertel bewegten.

Der Politszene, die nach jahrelangen Erfahrungen größtenteils ein klares Anti- Verhältnis zu den “Punker”-Obermackern (diese wechselten im Lauf der Zeit) entwickelt hatte, fehlte es oft an Mut und Entschlossenheit, sich auch physisch durchzusetzen. Teilweise war aber auch die Fähigkeit, die eigene Position offen und klar zu vertreten, ziemlich unterentwickelt. Unter den SprengelbewohnerInnen lagen die Probleme ähnlich: Teils konnte sich physisch nicht durchgesetzt werden, teils wurde weggeschaut, verharmlost oder sogar gedeckt.

Wir sehen das Fehlen einer starken linken Bewegung als notwendiges Korrektiv und ergänzenden Faktor für die Punkszene als eine Ursache für das Abdriften solcher “Punkercliquen”. D.h. linke Ideen und Standpunkte sind heute viel weniger in der Punkszene verbreitet als zu Anfang der achtziger Jahre. Übriggeblieben sind linke Rituale und leere Parolen wie “gegen Staat, Bullen und Nazis”. Tatsächlich ist die Punkbewegung genauso vom Rechtstrend der Gesellschaft erfaßt wie andere gesellschaftliche Gruppen. Am schlimmsten macht sich dabei der Männlichkeitswahn bei vielen “Punkern” bemerkbar: Da wäre zum einen ein verlogener Ehrenkodex (“Mann gegen Mann”), eine unverhohlene Frauen- und Schwulenfeindlichkeit und die stumpfe Männerkumpanei. Die Auseinandersetzungen in Hannover wurden auf “Punker”- Seite zu fast hundert Prozent von Männern geführt. Es stachen immer Männer als Chefs und Oberhetzer hervor.

Ein linkes Korrektiv für die Punkbewegung hieße für uns also auch, faschistoiden und sexistischen Verhaltensweisen offensiv entgegenzutreten. Das sagen wir im Wissen um die Unzulänglichkeiten und sexistischen Muster in unseren eigenen Strukturen.

Die Politszene hat bei vielen “Punkern” vor allem deswegen an “Achtung” verloren, weil sie oft zu keinem direkten Verhalten in der Lage war und sich aus prekären Situationen mit Scheinargumenten herauswand.

Wir sprechen hier nicht von einer Linken als ideologischem Überbau und PC-Polizei für bzw. gegen die Punk-Szene. Uns geht es auch ganz praktisch darum, daß die Parole “schaut nicht weg, greift ein” immer und überall gilt. D.h. es ist egal von welcher Seite z.B. sexistische Anmache oder Sieg Heil - Gegröle kommt. Wichtig ist die Tatsache an sich und das wir dagegen vorgehen. Gefärbte Haare gelten jedenfalls nicht als Entschuldigung für irgendwas.

Auf diesem Hintergrund wollen wir uns der Sprengel - Einschätzung anschließen, daß es sich bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht um einen “internen Konflikt” handelte, sondern “um den schon seit langer Zeit währenden Zustand der Belästigung, Behinderung, Bedrohung und Zerstörung von kultureller und politischer Arbeit fortschrittlicher Gruppen und Menschen in diesem Stadtteil und in dieser Stadt.

Und nun ?

Der Konflikt erscheint uns z.Z. zu festgefahren und eskaliert zu sein, um eine kurzfristige Lösung anzubieten.

Klar ist zunächst folgendes, und das gilt überall: Linke selbstverwaltete Strukturen müssen verbindlicher und verantwortungsbewußter werden. D.h. ohne feste Strukturen entsteht kein Freiraum im Sinne von Platz für Kreativität, politische Arbeit und fortschrittliche Lebensformen, sondern ein “Leerraum”, der schließlich des öfteren von den falschen Leuten gefüllt wird. Dieses Problem kennt jedes selbstverwaltete Zentrum. Wenn dann nicht mehr auf konkretes Scheißverhalten reagiert und selbiges abgestellt wird, kann es zum Kippen des Projektes kommen. Auch das ist bekannt. D.h. wir sollten wieder mehr die Fähigkeit entwickeln, offensiv unsere Standpunkte, dem Zeitgeist entgegen, zu vertreten. Es ist weder spießig noch kleinkariert Leuten eine Ansage zu machen, was laufen kann und was nicht. Damit meinen wir nicht für jedes unabhängige Jugendzentrum einen Verbotskatalog zu erstellen. Wir wollen, daß die Egal-Haltung, das “sich nicht kümmern und Weggucken” und die falsche Toleranz von unserer Seite ein Ende hat. Selbstverwalten heißt nicht alles dem Zufall oder anderen zu überlassen. Letztendlich geht es um die Frage, ob wir als (autonome) Linke noch in einem besetzten Haus oder Zentrum leben können oder resigniert die Brocken hinschmeißen, weil es nur noch nervt und keinen Spaß mehr bringt.

Im Fall von Sprengel ging und geht es darum, linke Strukturen (auch) militant zu verteidigen, diesmal gegen “Punker”. Uns ist bewußt, daß die Probleme in anderen Städten eher so aussehen, daß Stadtverwaltungen, Bullen oder Nazis existenzgefährdend sind. Auch in Hannover gibt es andere Dinge zu tun, als sich mit “Punkern” rumzuschlagen, auch deshalb gilt es eine Lösung des Konfliktes zu suchen.

Die “Punker”- Obermacker in der Nordstadt müssen durch Einschüchterung mindestens zu einem Ende ihrer Aktivitäten gezwungen werden. Von unserem Anspruch her müßten sie das Viertel verlassen, was aber eine Frage des Kräfteverhältnisses und der Geschlossenheit ist. Das muß realistisch eingeschätzt werden. Zum anderen sehen wir die Notwendigkeit von Gesprächen mit Leuten aus der “Punkerszene”, die sich rausgehalten oder sich zumindestens nicht mit Aktionen hervorgetan haben. Gerade für die BewohnerInnen des Sprengelgeländes ist die Wiedererlangung eines normalen Alltags notwendig. Das freie Bewegen auf Nordstädter Straßen darf allerdings nicht durch faule Kompromisse erkauft werden.

Chaostage 96

Im Hinblick auf die Chaostage besteht für Sprengel die realistische Gefahr von ihren hannoverschen Kumpels derartig aufgehetzt werden, daß sie der Parole “Sprengel plattmachen” folgen würden. Aus zwei Städten in Baden-Württemberg bzw. NRW drangen schon ähnliche Meldungen an unser Ohr. Unter anderem deshalb sind wir ziemlich ausführlich bei der Schilderung der Ereignisse gewesen, da “Punker” aus Hannover die absurdesten Lügengeschichten über die Vorfälle verbreiten. Dieser Hetze gilt es entgegenzutreten. Außerdem wird es nötig sein, daß das Sprengelgelände inklusive Schwule Sau vorsichtshalber Unterstützung aus anderen Städten bekommt. Selbstverständlich muß aber abgewartet werden, was das Sprengel selbst dazu sagt. Wie gesagt, die Gefahr besteht, die Frage ist u.a. wie gut oder schlecht die anreisenden ChaostagebesucherInnen über die hannoverschen Konflikte informiert sind.

Während der Chaostage 95 mußten die Bullen ihr Vorhaben, die Kofferfabrik zu stürmen, nur aufgrund personeller Engpässe aufgeben. Die von zumeist “Punkern” bewohnten Häuser in der Heisenstraße, die während der Chaostage militant verteidigt wurden, wurden zwei Monate später geräumt und abgerissen. Für Hannover waren die Chaostage insgesamt nicht allzu spaßig wie für viele (Punks) von auswärts.

Die zur Zeit wacklige Existenz des Sprengels wird im Zuge der Chaostage 96 auch von Stadt und Bullen massiv in Frage gestellt werden können.

Wir wollen Leute nicht davon abhalten, zu den Chaostagen zu fahren, laden aber - ebensowenig wie das Sprengel in diesem, wie auch in den letzten Jahren - nicht dazu ein. Die Expo-Stadt Hannover hat die Chaostage sicherlich verdient (Imageverlust). Für das Sprengelgelände stellen die Chaostage jedoch eher eine Gefahr dar, da eine Wiederholung des Szenarios des Vorjahres, als die von den Bullen in die Nordstadt getriebenen Punks sich auf dem Gelände verbarrikadierten, schnell eine Räumung bedeuten kann.

Der Preis nach der Räumung der Heisenstraße im letzten Jahr, dieses Mal das Sprengelgelände zu verlieren, ist für ein paar Tage Spaß und Straßenkampf, zumal es nicht unser Kampf war, zu hoch. Die Beteiligung an den chaotischen Ereignissen auf ihrem Gelände bestand hauptsächlich darin, den verfolgten Punks Schutz und den Verletzten eine notdürftige medizinsche Versorgung zu bieten.

Auch wenn wir uns im August 95 über flüchtende Bullen, einen geplünderten Penny-Markt und andere schöne Szenen freuten, hatte der Charakter des Ganzen für uns zu viele Schattenseiten. Besoffene Horden von Schlägern, Hooligans und anderen Mackern, denen es in erster Linie um das Ausleben ihrer Gewaltphantasien und erst in zweiter Linie um die Frage gegen wen oder was sich ihre Aktionen richtet, geht, lösen in uns weder Begeisterungsstürme aus, noch das Bedürfnis, an ihrer Seite gegen irgendetwas zu kämpfen. Uns war letztendlich unklar, ob es zumindestens entfernt noch “irgendwie” um einen Kampf für eine freie Gesellschaft ging (so im Hinterkopf) oder eher darum, mal so richtig die “Sau rauszulassen”, ohne Rücksicht auf Verluste.

Uns geht es um Widerstand, und zwar gezielt und vermittelbar. Widerstand unter größtmöglichem Ausschluß von faschistoiden oder sexistischen Verhaltensweisen und mit dem Bewußtsein, gegen wen und was sich Militanz richten oder nicht richten muß.

Auch wenn wir die Initiative einiger AktivistInnen, die Chaostage unter das Motto “Jugend rebelliert gegen die Polizeigesetze” zu stellen, begrüßenswert finden: Es gibt bessere Gelegenheiten für gezielten Widerstand als ausgerechnet die Chaostage

Verschärfung des niedersächsischen Bullengesetzes

Die Chaostage 95 wurden als Aufhänger benutzt, um mediengerecht Gesetzesverschärfungen zu fordern, die z.Z. in Paragraphen gegossen werden. Die Verschärfungen des Bullengesetzes für Niedersachsen sollen demnächst in folgenden Punkten bestehen, und damit zitieren wir aus einem Artikel des Ermittlungsausschusses Hannover, erschienen in der RAZZ Nr77: “Demnach soll es künftig möglich sein, daß Kontrollstellen durch die Bullen selbst eingerichtet und nach eigenem Ermessen angewandt werden. Bisher mußte dies noch das Verwaltungsgericht anordnen oder zumindestens absegnen. (...)

Bisher konnten in Niedersachsen Platzverbote nur zur Abwehr einer Gefahr und auch nur vorübergehend und räumlich beschränkt auf einen Straßenzug, Platz etc. angewandt werden. Nach der Änderung (...) soll künftig für ganze Personengruppen, bei denen gerade mal ein Anfangsverdacht für die Vorbereitung einer Straftat vorliegen muß, ein generelles Aufenthaltsverbot für ein ganzes Gemeindegebiet oder einen Gebietsteil ausgesprochen werden können. Das bedeutet im Klartext nichts anderes, als das zukünftig niemand, der sich auf dem Weg zu einer Demo, Party etc. befindet, sicher sein kann, dort auch anzukommen. (...) Danach soll künftig jede Person, der in irgendeiner Form zugetraut werden kann, Straftaten zu begehen (z.B. indem sie schon einmal für die Bullen “auffällig geworden ist und deshalb im Computer abgespeichert wurde), im Gegensatz zu bisher max. 48 Stunden, nun für 4 Tage in vorbeugendes Unterbindungsgewahrsam genommen werden können. (...)

“Die großmäulige Ankündigung der Bullen, die Chaostage 96 fest im Griff zu haben, auch “dank” der neuen Gesetze, ist erstmal ein Wunschgedanke, der 1995 genauso geäußert wurde. Die Frage, ob es trotz einer von Bullen zugeschissenen Stadt Chaostage in großem Rahmen geben wird, wird erst im August beantwortet werden.