Razzia bei dem 'actieblad'’ Ravage

Ravage hieß bis Anfang 1996 NN, einigen vielleicht bekannt als aktuelle Postadresse der radikal.

Am Freitag dem 3. Mai hat das Bastionteam aus Arnhem, welches sich mit den letzten Anschlägen in Arnhem befaßt, das Büro des ‘actieblads’ Ravage durchsucht. Man sagte auf der Suche zu sein nach einem Brief, den die militante Aktionsgruppe ‘Earth Liberation Front’ dem Blatt zugesandt hat. In dem Brief wird die mögliche Verantwortung übernommen für den Bombenanschlag auf das Bürogebäude von BASF in Arnhem.

Eine Rekonstruktion

Die Nummer 209 des ‘actieblads’ Ravage ist am 2. Mai gedruckt worden. Mittags wird die Ausgabe durch eine feste Gruppe frankiert und zur Post gebracht. Zwei Mitarbeiter bleiben noch im Redaktionbüro und gehen die jüngste Ausgabe nochmal durch. Sie beschlossen eine Presseerklärung anzufertigen, um bekannt zu machen, daß die Redaktion am 25. April einen Brief empfing, unterzeichnet von der Earth Liberation Front (ELF). Übrigens erfolgte dies nach einigen Diskussionen, denn was war nun die eigentliche Relevanz von dem sieben Worte zählenden Text. “Arnhem. Der Verschmutzer bezahlt. Auch alte Rechnungen,” so lautete der Text und noch zugefügt, cryptisch: “17 okt. 4.5.V4.”

Wird hiermit die Verantwortung des Bombenanschlags auf das Bürogebäude von BASF in Arnhem übernommen? In der Ravage Nr.209 äußert die Redaktion Zweifel über die Authenzität des Schreibens. Dennoch - an dem besagten Abend wird die Presseerklärung verbreitet.

Die Medien

Schon bald wird deutlich, daß die ANP (Allgemeine Niederländische Presseagentur) die Presseerklärung sofort als ‘news’ bewertet. Innerhalb einer Stunde verbreitet die Presseagentur den Bericht auf niewstelex. Etwas später erwähnt NOS-Teletext (NOS-Niederländische Rundfunk Stiftung, vergleichbar mit dem öffentlichrechtlichen Fern- und Rundfunk) als erste die Erklärung der ELF. Noch etwas später folgen Radioberichte und am Ende des Abends nimmt praktisch jede Nachrichtensendung die Sache ernst, nämlich daß der Bombenanschlag auf das Bürogebäude auf BASF von der ELF war. Mittlerweile haben diverse Journalisten Kontakt mit der Ravage gesucht, um mehr über die Erklärung von der ELF zu erfahren.

Am folgenden Tag, Freitag 3. Mai, scheint das Medienintresse für die Erklärung überwältigend zu sein. Alle Zeitungen schreiben nun von der Meldung. Das Telefon schellt unaufhörlich. Die Mitarbeiter von Ravage gehen damit gelassen um. Damit haben sie nicht gerechnet. Aus verschiedenen Zeitungsberichten wird deutlich, daß das Bastionteam (ein zusammengestelltes Team, welches sich mit den Bombenanschlägen in Arnhem beschäftigt) die Erklärung für authentisch hält. Im Gegensatz zu der Erklärung von der Aktionsgruppe ‘ANGST’, die durch einen in Dänemark aufgegebenen Brief, die Verantwortung übernahmen für den Anschlag auf die Banque Paribas am 3. Januar. Der Brief war an die Volkskrant adressiert und auf Antrag der Justiz übergeben worden.

Es scheint so, daß die Berichterstattung in den Medien, das Bastionteam aus ihren Stühlen gerissen hat. Auch die vorsichtigen Schlüsse der Redaktion von Ravage, daß der Text in der Erklärung auf eine Bentasonlösung hindeutet, die BASF Ende der 80ziger Jahre in den Rhein fließen ließ, wurde von verschiedenen Medien übernommen und beginnt eine eigene Geschichte zu werden. BASF fühlt sich genötigt eine Presseerklärung zu verfassen, worin sie ihre Entäuschung äußern über die Erklärung von der ELF “zumal die BASF die letzten Jahre sehr viel an ihrer Umweltpolitik getan hat”.

Inzwischen machen die Mitarbeiter von Ravage weiter mit ihren alltäglichen Beschäftigungen. Zwei von ihnen fahren nach drei Uhr für ein Treffen nach Hilversum. Scherzend wird dem einzigen übergebliebenen Mitarbeiter Kraft gewünscht - das er erst gucken soll, wenn es schellt ...

Der Einfall

Zirka halb vier schellt es im Redaktionsbüro an der Amsterdammer Van Ostadestraat. Der verbleibende Mitarbeiter, der gerade gehen wollte, öffnet die Tür und steht Auge in Auge mit dem rechter commissaris Vegter von der Destriktsgericht aus Arnhem (vergleichbar mit dem Ermittlungs- oder Untersuchungsrichter). Hinter ihm dreizehn Zivis aus Arnhem und einem uniformierten Amsterdamer Polizisten. Die Erklärung von der ELF soll ausgehändigt werden. Aber der Brief ist nicht mehr da. Zumindest, nicht hier. Er wurde am Ankunftstag vernichtet. Ein normaler Umgang im Büro von Ravage. Presseerklärungen und Bekennerschreiben, wo Aktionen verantwortet werden, werden nach der Bearbeitung vernichtet. Die Redaktion weigert sich ein Hilfsmittel der Justiz zu sein - nach welcher Aktion auch immer. Hätten wir die Erklärung aufbewahrt und an die Justiz ausgehändigt, wäre unsere Arbeit als unabhängiges Medium unmöglich. Aktionsgruppen würden uns in diesem Falle mit ihren Presseerklärungen meiden. Wie soll man dann noch ‘actieblad’ bleiben? .

Der rechter commisaris bekommt also keine Unterstützung. Daraufhin wird ein Hausdurchsuchungsbefehl gezeigt und die Zivis gingen auf die Suche nach dem Schreiben von der ELF. Aber das Interesse von dem Team beschränkte sich nicht nur auf dieses Schreiben. Es wird gefragt nach den AbonenntInnenkarteien. Der Mitarbeiter von Ravage will jedoch nicht mitarbeiten und rief einen Rechtsanwalt, der nicht viel später kam.

Inzwischen beginnen die Kriminalbeamten sorgfältig das Redaktionsbüro zu durchsuchen. Deutlich war, das nicht allein nach dem Bekennerbrief gesucht wurde. Sechs Computer plus Disketten, eine elektrische Schreibmaschine mit Typenrädern, Schablonen, ein Antwortapparat verschwindet alles in die Busse aus Arnhem. Aber auch normale behördliche Angaben, wie Bankauszüge, Abobestellungen, Adressenlisten und Telefonlisten wurden beschlagnahmt. Rund sechs große Säcke voll. Dreizehn Zivis haben vier Stunden lang die Redaktionsräume durchsucht und praktisch jedes Papier in den Händen gehabt.

Beifall

Um ca. sechs Uhr melden verschiedene Medien die Durchsuchung. Schnell kommt eine große Gruppe von Sympathisanten der Ravage in die Van Ostadestraat. Als sie einen Kriminalbeamten mit blauen Säcken aus dem Büro kommen sehen, wird dieser bedrängt. “Bleib von unseren Medien weg!”, ruft einer von den Sympathisanten. Ein Sack wird erbeutet. Nun sind nur noch 5 Zivis und der rechter commissaris in dem Gebäude. Diese sehen keine Möglichkeit sich einen Weg durch die wachsende Menge Sympathisanten zu bahnen und warten innerhalb des Gebäudes ab. Die Zivis bewaffnen sich mit Eisenstangen.

Inzwischen wird die Polizei von Amsterdam herbeigerufen, um die Menge auseianderzutreiben. Nach zirka einer Stunde tritt die Polizei auf. Polizisten zu Pferd vertreiben die Menge vor der Tür, danach wird die Menge noch angegriffen von knüppelnden Polizisten. Diese schlagen hart zu.

Verschiedene Menschen haben Verwundungen. Drei Sympathisanten werden wegen öffentlicher Gewaltanwendung festgenommen. Am Abend wird noch eine Lärmaktion vor dem Polizeirevier gemacht, um den Arrestierten Mut zu machen. Im Laufe des Samstags kamen sie wieder raus.

Danke!

Redaktion und Mitarbeiter vom ‘actieblad’ Ravage danken den vielen Sympathisanten die zur Zeit der Durchsuchung ihre Unterstützung ausdrückten - und dafür kräftige Schläge bekamen.

Pressefreiheit verletzt bei Polizeidurchsuchung

Die Redaktion von der Zeitschrift Ravage protestiert scharf gegen die Weise, wie die Hausdurchsuchung am 3. Mai. stattgefunden hat. Dabei hat das sogenannte Bastionteam u.a. sechs Computer, sowie die vollständige AbonentInnenliste, die finanziellen Aufstellungen, Anträge für finanzielle Unterstützung, Telefonlisten, Archivmaterial, Disketten und eine Schreibmaschine mitgenommen. Hierdurch wird die Redaktion ernsthaft behindert ihre journalistische Aufgabe wahrzunehmen und das Recht auf Datenschutz und persönliche Freiheit auf grobe Weise verletzt.

Unter der Maske von ‘wir kommen das Bekennerschreiben der ELF holen’, hat das Bastionteam aus Arnhem bestehend aus vierzehn Kriminalbeamten die Gelegenheit genutzt, gründlich im Redaktionslokal an der Amsterdamer Van Ostadestraat zu wüten. Das Bekennerschreiben von der ELF, die die Redaktion nach dem Lesen bereits am 25. April vernichtete, ist nur der Anlaß für eine Untersuchung des Abobestands und den Pressekontakten dieser Zeitschrift. Die Beschlagnahme des Abobestands und die vielen behördlichen und finanziellen Angaben bedeuten einen schweren Eingriff in das Recht von Datenschutz und der Pressefreiheit. Die Redaktion der Zeitschrift fordert von der Justiz, daß das Material augenblicklich zurückgegeben wird. Weiter fordert Ravage, daß der Abobestand nicht kopiert wird und daß dies kontrolliert wird durch einen Rechtsanwalt.

Die Redaktion überlegt weiter eine Anzeige zu stellen bei der Amsterdamer Polizei wegen verschwindenlassen von wertvollem Archivmaterial. Ein Kriminalbeamter hat nämlich beim Verlassen des Redaktionsbüros einen Müllsack voll beschlagnahmten Dingen aus seinen Händen fallen lassen. Dies melden Augenzeugen von den Medien. Die Redaktion befürchtet, daß man dieses Material nie mehr zurück bekommt.

Die Art und Weise des Bastionteam, das unter der Leitung steht vom rechter commissaris R. C. Vegter aus Arnhem, zeigt viele Übereinstimmungen met dem von dem Rechercheteam das am 28. September 1994 Hausdurchsuchungen durchführte bei der Stiftung ‘Opstand’ (‘Stichting Opstand’ ist ein linkes Journalistenkollektiv und arbeitete für Radio, TV und Printmedien) in Amsterdam. Auch hier wurde eine enorme Anzahl von persönlichen und journalistischen Arbeitsmaterial beschlagnahmt.

Der Charakter der Durchsuchungen bei ‘Opstand’ und bei Ravage macht deutlich, daß die Justiz in ihren bisherigen Untersuchungen zu den RaRa-Anschlägen und bei den letzlichen Bombenanschläge in Arnhem nicht weitergekommen ist. Das eigentliche Ziel hinter beiden Durchsuchungen ist, das ‘Umfeld’ (ist im holländischen Original auch in deutsch, da sich erst in den letzten Jahren diese Untersuchungsform durchgesetzt hat. Das Umfeld beinhaltet nicht nach mutmaßlichen Tätern zu suchen, sondern verstärkte Aufmerksamkeit auch auf Gruppen und Einzelpersonen zu richten, die zu einem bestimmten kriminalisierbaren Thema arbeiten.) auszuleuchten von zwei aktiven gesellschaftskritischen Organisationen, die mit journalistischen Berichten in die Öffentlichkeit treten.

Bei der Stiftung ‘Opstand’ wurden die Hausdurchsuchungen durchgeführt, weil zwei Mitarbeiter von dieser Organisation anfänglich verdächtigt wurden, beteiligt gewesen zu sein bei RaRa-Anschlägen. Später scheint es, daß diese Verdächtigungen ein Deckmantel waren, für das Durchleuchten von aktiven Menschen die Hilfe anbieten an (illegale) Flüchtlinge.

Mit der Hausdurchsuchung bei Ravage, letzten Freitag, wurde das selbe Ziel beabsichtigt und erreicht, unter dem Vorwand, daß man die ELF-Erklärung suchte.

Es ist bitter feststellen zu müssen, daß das openbaar ministerie (vergleichbar mit der Bundesanwaltschaft in der BRD) mit zweierlei Maß mist, wenn es um die Verantwortlichkeit von Presseberichten geht. Im Falle der Volkskrant (sich selbst noch als linksverstehende Zeitung), das letztens einen Bekennerbrief von der unbekannten Gruppe ANGST empfing, wurde die Hauptredaktion von dieser Zeitung noch telefonisch gebeten den Brief abzugeben. Wie es dann auch geschah.

Die Redaktion von Ravage jedoch wird ohne Pardon konfrontiert mit einer Hausdurchsuchung mit großen Folgen. Selbst in dem Fall, daß man die ungewöhnliche Erklärung von ELF ihnen in die Hände gedrückt hätte, wäre doch eine Hausdurchsuchung erfolgt. Die Redaktion von Ravage hatte das sieben Worte zählende Schreiben, daß inhaltlich nach allen Seiten interpretiert werden kann, nach der Bearbeitung am Computer augenblicklich vernichtet. Die Redaktion ist der Meinung, daß der Brief an sie gerichtet war und wünscht nicht mitzuarbeiten an einem Ermittlungsverfahren. Ein unabhängiges journalistisches Medium muß seine journalistischen Quellen sorgfältig schützen, sonst ist mit der freien Meinungsäußerung in diesem Land Schluß.

Ein Überbringer von ‘news’ muß die Garantie haben, daß sein oder ihr gesprochenes oder geschriebenes Wort nur dem journalistischen Medium zur Verfügung gestellt wird. Die Medien müssen ihre journalistischen Prinzipien behalten und sich nicht als Verlängerung der Justiz begreifen. Oder zumindest es der Justiz so schwer wie möglich machen.

Wir sehen die Durchsuchung und die Beschlagnahme von unseren Sachen als eine regelrechte Provokation an und gehen dann auch heute, Tag der Befreiung, in die Offensive. (Der 5. Mai ist der offizielle Festtag der Befreiung von Okkupation und Faschismus 1945) Auf dem Befreiungsmarkt werden viele Kopien verteilt von dem Bekennerschreiben der ELF. Rate mal, wie kann das? Glaube es oder nicht. Wer ihn haben will, kann ihn kriegen. Herren vom Bastionteam, kommt doch!

Wir fordern:

Ravage, Van Ostadestraat 233n, 1073 TN Amsterdam.

Aktueller Stand:

Ein Großteil der beschlagnahmten Sachen sind wieder zurückgegeben worden. Es wird eine Klage eingereicht wegen dem Diebstahl eines Sackes voll mit beschlagnahmten Gegenständen. Dann noch eine Info, die vielleicht viele interessiert:

Bei der Durchsuchung der Büroräume ist KEINE Post der radikal beschlagnahmt worden. Keine Sorge, die Post kommt weiterhin an! Ihr könnt also weiterhin eure Artikel + Briefe + Kohle im doppelten Umschlag (innen: Z.K., außen die Adresse der Ravage) schicken.