Die große verschworene Gemeinde

Wir sind eine “kriminelle Vereinigung” nach § 129, sagt Ermittlungsrichter Beyer, sagt die BAW. Eine “staatsfeindliche Verbindung” (da stimmen wir voll und ganz zu!) definierte die wilhelminische Justiz diesen Paragraphen, die den § 129 im Jahre 1871 ins Leben rief und ihn vornehmlich gegen die Ar-beiterlnnenbewegung einsetzte.

Nach 1945 wurde er vor allem zur Verfolgung der KPD instrumentalisiert, der ca. 100.000 Ermittlungsverfahren einbrachte. Recht prominente Vorfahren haben wir damit also.

In den früheren Verfahren wurde der radi lediglich vorgeworfen, durch die Veröffentlichung von Texten diverse “terroristische Vereinigungen” zu unterstützen, jetzt werden wir rundum zur eigenständigen “kriminellen Vereinigung” erklärt. Das hat Konsequenzen, nicht nur für die 4 Genossen, denen vorgeworfen wird, Hersteller der Zeitung zu sein und die seit dem 13.6. im Knast sitzen. Sollte die BAW-Konstruktion durchkommen, kann jeder und jede, der oder die sich in irgendeiner Form für die Zeitung einsetzt, zum Mitglied der Vereinigung erklärt werden, besserenfalls zum Unterstützer bzw. zur Unterstützerin. Die Übergänge sind fließend. Wo die Unterstützung beginnt und wo die Mitgliedschaft aufhört, das bestimmt die BAW. Jede Gruppe, die uns einen Artikel zusendet, kann hopplahopp zur Unterstützerin werden. Der Inhalt des Artikels wird dann nicht mal mehr eine Rolle spielen. Außerdem, beinahe hätten wir es vergessen: Die radi hat sowieso “durchgehend strafbaren Inhalt”, wie die BAW meint. Somit wird potentiell jeder und jede, der/die sich dem Dunstfeld der radi nähert, kriminell bis terroristisch. Eine große verschworene Gemeinde - ein Pool von der AIZ, dem K.O.M.I.T.E.E. und der radi bis zu Leuten, die uns zum Beispiel einen Artikel über Kurdistan zukommen lassen. Aus dem die Verfolgungsbehörden je nach Belieben schöpfen können.

Die neueste Entwicklung sollte diese Einschätzung bestätigen: “Die Ausführungen von Ermittlungsrichter Beyer und dem Staatsanwalt der BAW , Hofmann, während der Haftprüfung und einige andere Kernsätze aus verschiedenen Beschlüssen, haben nochmal deutlich gemacht, in welche Richtung das Konstrukt gegen die radikal laufen soll.

Nach unserem jetzigen Erkenntnisstand versucht die BAW radikale Widerstandspresse und militante Aktionen auch organisatorisch zu vermengen. Für BAW und BGH sei die radikal keine Zeitung. Vielmehr sei die radikal als Untergrunddruckschrift das Werk einer kriminellen Vereinigung, durch die die Kommunikation zwischen sämtlichen bundesweit agierenden sog. “linksterroristischen Gruppierungen” erst hergestellt würde. Die radikal würde diese Strukturen aufrechterhalten und außerdem neue Mitglieder für diese Vereinigungen anwerben.

Die BAW versucht, direkte Verbindungen zwischen den angegriffenen Gruppen herzustellen. Beispiele dafür:

(aus einem Schreiben der “Arbeitsgruppe der bundesweiten Treffen zu dem laufenden Verfahren”, Oktober 1995 zum Haftprüfungstermin von Andreas aus Lübeck.)

Na das passt doch alles sauber zusammen. Wenn die Herren und Damen des Spiegel, Focus, Wochenpost und wie sie alle heißen, uns jetzt bitte etwas Aufmerksamkeit schenken wollen, wir würden die Sache gerne noch so richtig rund machen.

In einem Artikel der GdV-Reihe wurde darauf hingewiesen, daß die Beamten in den Justiz und Bullenapparaten fast bruchlos nach dem Faschismus weiteragiert haben. Auch auf die Verfolgung von KommunistInnen wurde hingewiesen. Erst danach wurde die juristische Fakultät in Hamburg abgefackelt, verantwortlich: die AIZ. Schon vor Jahren haben wir auf den geplanten Neubau von Weiterstadt hingewiesen - Jahre hat es gedauert, dis diese radi-Ausgabe den Weg zur RAF gefunden hatte, aber dann... wenige Monate später war der Knast in Schutt und Asche. So läuft das nämlich in der militanten (wichtig in ihren Artikeln muß das heißen: “terroristischen”) Szene, die einen Denken, die anderen Handeln.

Nun denn, Spaß beiseite. Wenn wir uns anschauen, daß die staatlichen VerfolgerInnen, durch einen Zufallsfund angeblich auf Radi-Macherlnnen gestoßen, eineinhalb Jahre ihre “heiße Spuren” verfolgen, viel Geld für Ermittlungen investieren, dann steht zu befürchten, daß es um mehr geht, als “nur um die Zeitung”. Die Richtung ist eindeutig. Für die BAW geht von der radi “Gefahr für Leib und Leben” aus, indem sie und quasi für jeden Anschlag, der von militanten Linken ausgeht, mitverantwortlich macht. (Soviel der Ehre, da werden wir ja richting rot, bei soviel Lob und Anerkennung, wenn uns die nur mal auch unter euch zu Teil würde) “Damit zeichnet die BAW letzlich das Bild einer großen ‘Vereinigung”, die arbeitsteilig mit austauschbaren Rollen und unterschiedlichen Schwerpunkten agiert. Die konkrete Durchführung von Anschlägen wird mit deren Dokumentation in einer Zeitung quasi gleichgesetzt”.
(Arbeitsgruppe...)

Wer zu dieser Vereinigung gehört, das bestimmt die BAW. Die letzten Monate sollten das bestätigen. Die BAW versucht, weitere Kreise ins radikal-Umfeld einzubeziehen. So wurde zum Beispiel der Besuchsantrag einer Nichtbeschuldigten abgelehnt, da sie nach ihrem Schriftwechsel mit einem Gefangenen und nach Erkenntnissen des LKA Schleswig-Holstein dem “radikal-Umfeld” zuzuordnen sei und deshalb die Befürchtung bestehe, daß sie Informationen zwischen den Gefangenen und der “Unterstützerszene” transportieren und damit zum Fortsbestand der “kriminellen Vereinigung” beitragen würde. Zwei Männer und eine Frau aus Kiel, die einen Aufruf zu einer Knastdemo plakatierten und dabei von den Bullen kontrolliert wurden, werden jetzt mit dem Vorwurf der Unterstützung der “kriminellen Vereinigung radikal” konfrontiert und erhielten Vorladungen zum LKA. Gegen Menschen, die bisher im Verfahren nicht benannt wurden, finden massive Observationen statt ...

Zum Stand der Verfahren