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    Nils Kaiser, Berlin, 07.06.1997
    
   
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          Land Berlin ./. Angela Marquardt - vom ersten Prozeßtag
                                      
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   Der erste Verhandlungstag im Linkprozß gegen die Ex-PDS-Vize Angela
   Marquardt dürfte für Gericht und Staatsanwaltschaft nur eine einzige
   Blamage gewesen sein. Nicht nur, dß in der Anklage einfach mal ein
   Paragraph vertauscht wurde. (Volksverhetzung statt Aufruf zu
   Straftaten) Die beiden Staatsanwälte glänzten auch mit dem Vorschlag,
   bei ihnen in der Amtsstube - wo sie doch jetzt auch einen
   Internetanschluß hätten - einen Ortstermin zu machen.
   
   Gingen sie anfangs noch recht offensiv mit ihrem Unwissen über
   Netzwirklichkeit und technische Hintergründe um, versagte beim
   Verlesen des Beweisantrages der Verteidigung offenbar jeder
   Widerspruchsgeist. Die im Antrag aufgeführten Behauptungen wurden als
   Tatsachen zunächst angenommen. Der Antrag auch. Danach wird es am 30.
   Juni - vermutlich wieder um 10 Uhr und auch wieder im Raum 700
   (Mykonos- & Politbüro-Saal) - einen weiteren Verhandlungstag und ein
   paar Prozeßbeteiligte mehr geben. Geladen sind ein paar BKA-Beamte,
   die aussagen können, daß es ihnen gelungen war, mit drei oder weniger
   Mouse-Clicks via Altavista zu Online-Texten der "radikal" zu kommen,
   statt wie über Angelas Seiten mittels immerhin sieben informierten
   Einzelentscheidungen. Weiterhin wird Andy Müller Maguhn vom Chaos
   Computer Club einen Vortrag über die tatsächlichen technischen
   Begebenheiten beim Verfolgen von Hyperlinks halten. Wer hier
   Lernbedarf hat, sollte diese Vorlesung auf Staatskosten nicht
   versämen. ;-)
   
   In den Medien wurde die Konzeptlosigkeit von Gericht und Anklage
   entsprechend gewürdigt. Selbst Angela Marquardt weniger wohl gesonnene
   Berichte konnten nicht umhin, der Gegenseite eine gewisse Ahnungs-
   und/oder Konzeptlosigkeit zu bescheingen.
   
   Dies wird Gericht und Anklage beim nächsten Termin in vier Wochen als
   Hypothek sicher belasten. Aber sie haben ja noch Zeit, einen
   Crash-Kurs in Sachen Netzwirklichkeit zu besuchen. Nur wenn sie denn
   wissen, was ein Link wirklich ist, wird es vor Gericht wohl kaum noch
   so unterhaltsam sein, wie am Freitag. Freispruch/Einstellung wegen
   Unfug der Anklage ist eben schnell getan und bedarf kaum Statements.
   
                                            Nils Kaiser, Berlin Mail home
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