Deutsche Waffen nach Kurdistan

Deutsche Linke nach Chiapas?

(von uns gekürzte Fassung eines Veranstaltungspapiers aus Berlin)

Brief an eine Immigrantin

Eine in Berlin lebende Immigrantin hat einen Brief bekommen. Aus China, ...ähm, ich meine aus Indien, nein, aus Algerien, ...ähm, nein, das war es auch nicht, vielleicht aus Kurdistan, ...oder ich weiß es auch nicht... Jedenfalls aus irgendwoher kam dieser folgende Brief:

"Liebe Soli-Freunde, Solidarisiert Euch bitte nicht mehr mit uns. Wir verdienen das nicht, zerstören immer Eure Hoffnungen. Wir haben seit Jahren Eure Solidarität mit Rußland, China, Vietnam, Palästina, Südafrika, Kuba, Korea, Angola, Algerien und mit noch vielen weiteren Orten ins Leere laufen lassen, sind Eurem Vertrauen nicht gerecht geworden. Entweder wurden wir besiegt oder wir sind mit den gegen uns kämpfenden Mächten Kompromisse eingegangen.

Wir haben unseren Feind besiegt, die Ausbeuter, die Unterdrücker besiegt, aber später sind wir zu Ausbeutern geworden, wir haben unterdrückt, haben auf die zerstörte eine neue ausbeutende Gesellschaft aufgebaut.

Obwohl - wäre Eure uns in Bewunderung versetzende Solidarität nicht, gewiß hätten wir die gegen uns stehenden Mächte nicht besiegt. Und bisher haben wir uns aus diesem Teufelskreis nicht befreien können.

Und doch, wie hattet Ihr gehofft, wir würden eine neue, ganz neue Welt schaffen. Ihr habt uns oft besucht. Eure Solidarität dadurch bekundet. Geld, Bücher, ach... eine ganze Menge habt Ihr uns geschickt. Den Aufbau von Schulen, Krankenhäusern, usw. haben wir Euch zu verdanken. Ihr habt in euren Ländern sogar Veranstaltungen, Kundgebungen und besonders erwähnenswerte Soli-Feten für uns gemacht.

Als wir uns dann aber als erfolglos erwiesen, wart ihr berechtigterweise gekränkt und habt uns kritisiert. In der Hoffnung, es würden andere radikale Bewegungen entstehen, habt Ihr erneut begonnen zu warten. Trauer überkam Euch, daß Eure hoffnungsvollen Erwartungen sich in Enttäuschungen wandelten. Wir konnten nicht, wie Ihr es gewünscht hattet, uns durch radikale Bemühungen gegen staatliche Systeme und den Imperialismus im allgemeinen stellen. Und trotz alledem, wenn auch nicht mehr so stark wie früher, solidarisiert Ihr Euch mit uns, macht gelegentlich aufmerksam auf uns. Aber ich befürchte, wir werden wieder und immer Eure Hoffnungen zerstören.

Sowieso habt Ihr eine Unzahl zurecht geäußerter Kritiken uns gegenüber. Irgendwie können wir nicht werden, wie Ihr es gerne hättet, so wie Ihr.

Zum großen Teil sind wir ohnehin nationalistisch, patriarchal, zentralistisch, religiös geprägt, autoritär usw.. Und trotzdem seid Ihr so freundlich und solidarisiert Euch mit uns. Wir verdienen das gar nicht. Solidarisiert Euch nicht mit uns. Wir möchten Euch nicht hoffen lassen, um Euch daraufhin zu enttäuschen, so daß es Euch traurig macht. Es gibt keine Erlösung mehr, wir sind erfolglos, unfähig. Vergeudet nicht Eure kostbaren Aufmerksamkeiten. Wir haben Euer bewiesenes Interesse, Eure große Aufopferung für uns nicht verdient.

Ein wenig möchten wir uns jetzt für Euch aufopfern. Wir würden uns gerne um Euch Sorgen machen, für Euch hoffen, Euretwegen traurig sein.

Dabei, Ihr könnt ja eigentlich nichts falsch machen, uns enttäuschen. Nicht wie wir, würdet Ihr mit den gegen Euch stehenden Mächten keine Kompromisse eingehen. Ihr seid schließlich auch nicht nationalistisch, zentralistisch, autoritär patriarchal. Daran glauben wir ganz sicher. Ihr werdet bestimmt nicht so werden wie die, die Ihr bekämpft habt, denn da genau kritisiert Ihr uns.

Aus diesem Grunde möchten wir von Euch lernen, Euch als Beispiel nehmen. Wie man eine neue Welt gründet, das wollen wir wissen, Soli-Freunde. Zeigt uns den neuen Menschen. Zeigt uns das mit Eurem Kampf, mit Euren Mühen. Wie die Dinge funktionieren, würden wir sehr gerne aus dem von Euch gegen Eure Feinde geführten Kampf erlernen. Wir könnten aus Euch Mut schöpfen, um die Fehler, die wir bisher begangen haben, nicht zu wiederholen.

Bringt das System, in dem Ihr lebt, außer Rand und Band und zeigt uns in der Folge, wie man es zerstört. Dann werden wir uns mit Euch verständigen und nicht weiterhin üble Kompromisse mit den imperialistischen Mächten, den so Unsympathischen, eingehen. Die aus unseren Welten Kommenden, in Eurer Welt lebenden, werden Euch bei diesem Thema eine säulenhafte Stütze sein.

Mit großer Bewunderung verfolgen wir Eure Kämpfe gegen den Staat, die gesellschaftlichen Normen und die daraus entstehenden Folgen.

Wir wissen von der Furcht der Herrschenden vor Euch. Für sie seid Ihr eine ernstzunehmende Gefahr. Die Herrschenden aller Länder sehen Euch als die größte Gefahr für das System.

Ihr seid der Alptraum der hohen Herren dieser Welt. Ihr habt ein so hohes Kraftpotential, daß Ihr nicht alleine gegen Eure Staaten, sondern sogar mit uns gegen unsere kämpfen könnt. D.h. sozusagen, während Eurer intensiven Bemühungen nehmt Ihr Euch sogar Zeit für uns, helft uns.

Solidarisiert Euch wirklich nicht mit uns, wir verdienen das gar nicht!

Wir sehen, wie weit Eure Wurzeln in die Gesellschaft ragen, es ist den Herrschenden schier unmöglich, sie rauszureiten. Ihr seid in Eurem Volk wie die Fische im Wasser. Wir wissen von Euren einflußreichen Bemühungen, gegen die Armut in Euren Länder. Wie viele von unfreiwilliger Armut Betroffene haben Teil an Euren revolutionären Auseinandersetzungen. Wir wissen von Euren Mühen, uns die Tore der Festung Europas zu öffnen, zu sprengen. Ihr ruft es laut hinaus: 'Offene Grenzen für alle', so daß manchem fast das Trommelfell platzt. Der Mann, dessen Namen wir vergessen haben, hat einmal gesagt: 'Für uns selbst nichts, alles für alle... '"

Der Brief ist nicht vollständig lesbar. Die letzten Zeilen bleiben offen...

Kritik und Solidarität

Demonstration von ca. 100.000 Kurden in Bonn Die Tatsache, daß die Kurdistan-Solidarität so marginal ist, hängt auf den ersten Blick zumindest mit der in der deutschen Linken weitverbreiteten Kritik an der PKK zusammen. Wir wollen uns hier auf den Vorwurf des Nationalismus konzentrieren.

Erstmal ist es ein objektiver Widerspruch: Wir, die deutsche Linke sind antinationalistisch, die kurdische Linke ist nationalistisch. Wir sind aus gutem Grund GegnerInnen des deutschen Nationalismus. Etwas verkürzt gesagt, weil es die Ideologie der herrschenden Klasse ist, weil der soziale und politische Inhalt das Völkische ist, die Identifikation der deutschen Bevölkerung mit der Großmacht Deutschland. Es ist die Ideologie des deutschen Herrenmenschen, der Fremde und Schwache haßt. Es gibt daher zurecht in der deutschen Linken eine prinzipielle Skepsis, ab Nationalismus und soziale Emanzipation vereinbar sind.

Für die kurdischen Leute hat Nationalismus eine vollständig andere Bedeutung. Es bedeutet kulturelle und politische Selbstbestimmung gegen den äußeren Unterdrücker, die türkische Besatzungsarmee, den kemalistischen Nationalismus der Türkei. Weil sie KurdInnen sind, werden sie gedemütigt, geschlagen, ermordet. Die nationale Unterdrückung ist ein reales Gewaltverhältnis und keine Frage der Ideologie. So ist der nationale Befreiungskampf ersteinmal der völlig legitime Widerstand gegen die nationale Unterdrückung der KurdInnen.

Es ist falsch, etwas zu kritisieren, was man nicht untersucht hat. Man kann nicht die eigene Realität zum Maßstab und Kriterium nehmen. Wenn wir über die PKK reden, dann können wir sie nur bewerten vor dem Hintergrund ihrer Bedingungen der kurdischen Geschichte und Gesellschaft.

Bedingungen für den kurdischen Befreiungskampf

Die PKK wurde 1976 gegründet und nahm 1984 den bewaffneten Kampf auf, also zur Zeit der Blockkonfrontation, als die Bedingungen und Perspektiven für ein sozialistisches Kurdistan bessere waren. Letztlich auf Grund des Schutzes durch die Sowjetunion gab es damals einen ganz anderen Spielraum für linke Befreiungskämpfe in der Dritten Welt. Die Auflösung des Ostblocks hatte für die Befreiungsbewegungen verheerende Folgen. In der neuen Weltordnung gibt es keine Kraft mehr, die dem Imperialismus Grenzen setzt. Wir haben gesehen, wie der Imperialismus ab Anfang der 80er Jahre massiv versuchte, diesen Spielraum durch neue Methoden der Aufstandsbekämpfung zu beschneiden. Reagan proklamierte den "Kreuzzug gegen den Kommunismus", das revolutionäre Nicaragua wurde im Contra-Krieg erstickt. Es ist unter den heutigen Bedingungen noch viel weniger denkbar, daß eine sozialistische Revolution in einem einzelnen Land der Dritten Welt gegen die vereinte Kraft des Imperialismus bestehen kann. Zuerstmal militärisch, aber auch ökonomisch. Es gibt im Zeitalter von Globalisierung und Neoliberalismus keine kurzfristige Alternative zu IWF-Diktaten und Weltmarkt.

Viele nationale Befreiungsbewegungen haben sich ab 1989 zu legalen Parteien transformiert oder Friedensverträge abgeschlossen. Die, die den bewaffneten Kampf fortgesetzt haben, kämpfen in der Regel nicht mehr mit der Perspektive einer bewaffneten Revolution, sondern für das Erreichen einer Teillösung, eines Kompromisses durch Verhandlungen. Ein revolutionäres Kurdistan ist, wenn es alleine bleibt, zum Scheitern verurteilt. Der Imperialismus gestattet höchstens ein sozialdemokratisches Modell. Das sind die objektiven Bedingungen.

Die PKK hält an ihren sozialistischen Prinzipien fest, der unmittelbare Kampf hat aber ein begrenzteres Ziel: Die türkische Besatzungsmacht zu verdrängen, den Völkermord zu beenden, demokratische Rechte und bessere Lebensbedingungen für die Bevölkerung herzustellen. Die zunehmende nationalistische Orientierung der PKK ist nicht hauptsächlich eine Frage richtiger oder falscher Ideologie. Sie ist Reflex auf die internationalen Kräfteverhältnisse.

Den Kampf der PKK auf die Errichtung eines bürgerlichen Nationalstaates zu reduzieren ist falsch. Der Kampf der PKK richtet sich nicht nur gegen den Kolonialismus sondern ebenso gegen die Oligarchie der Aghas, den Feudalismus und sein soziales und ökonomische System. Die Aghas und die Dorfschützer sind für die PKK eine "Agentenklasse", Kompradoren, die genauso bekämpft werden wie die türkische Armee. Die PKK bekämpft auch die spezifische patriarchale Unterdrückung der Frauen in den vorgefundenen Strukturen wie Clans und bäuerlicher Dorfgesellschaft. Die massenhafte Beteiligung von Frauen am Befreiungskampf, die Bildung einer Frauenarmee ist auf jeden Fall ein radikaler Bruch mit einer Gesellschaft, in der Frauen zum Schweigen erzogen wurden.

In manchen Büchern und Artikeln wird gesagt, daß die PKK diese sozialen und klassenkämpferischen Komponenten zunehmend zugunsten des Nationalismus zurücknehme, und da ist wohl auch etwas dran. Es haben sich inzwischen mehr und mehr Intellektuelle, Mitglieder der Mittelschicht und Kapitalisten dem Befreiungskampf angeschlossen. Die Befreiungsbewegung ist im Gegensatz zu ihren Anfängen eine klassenmäßig sehr komplexe und heterogene Struktur. Die Frage, ob sich in einem freieren Kurdistan die Kräfte durchsetzen, die eine kapitalistisch-patriarchale Modernisierung wollen und wie in anderen befreiten Ländern die durch und für den Kampf mobilisierten Frauen und armen Bäuerinnen wieder zurückdrängen, ist eine offene Frage.

Das internationale Kräfteverhältnis und wir.

Die Funktion von Kritik

Die Entwicklung des kurdischen Befreiungskampfes, die Frage, welche Kräfte sich durchsetzen werden, ab der revolutionäre Prozeß wieder zurückgedreht wird, hängt auch von den internationalen Kräfteverhältnissen ab. Erst wenn die Kämpfe auch an anderen Orten wieder stärker werden und die Verhältnisse real in Frage gestellt werden, gibt es den Raum für etwas anderes als ein nationales Programm. Die PKK weiß das. In letzter Zeit hat sie zur Vereinigung der Kämpfe im Nahen Osten aufgerufen und der türkischen Linken ein Bündnis zum Sturz der Regierung vorgeschlagen.

Es ist klar, daß wir in der BRD, in dem Staat, der neben den USA und der Türkei für Kurdistan ganz wesentlich "das internationale Kräfteverhältnis" ausmacht, die potentielle Möglichkeit und auch Verantwortung haben, diesen politischen Raum zu erkämpfen, beispielsweise durch ein Zurückdrängen der Waffenexporte, der politischen Unterstützung der Türkei, des PKK-Verbots. Auch wenn es angesichts unserer Schwäche vielleicht etwas großspurig klingt, es stimmt trotzdem: Wenn wir eine revolutionäre Entwicklung wollen, ist es nicht zuerst unsere Aufgabe, die reformistischen und nationalistischen Tendenzen der PKK zu kritisieren, es ist unsere Aufgabe, hier wieder eine starke internationalistische linke Bewegung aufzubauen.

Sonst wird die Kritik an der PKK zur reinen Ideologiekritik und endet zwangsläufig im Klugscheißertum. Leuchtende Beispiele für eine solche Regression sind die Schreibtischaktivisten und PKK-Kritiker Justus Wertmüller oder Jürgen Elsässer. Der Kern, daß in ihrer Kritik jede Beziehung zur eigenen Aktivität und zum Befreiungskampf verloren gegangen ist, so sie denn jemals existiert hat, trifft aber nicht nur die Antinationalen, sondern all die Linken, die ihr Nichtverhältnis zum Krieg in Kurdistan mit der Häßlichkeit der PKK begründen.

Wir haben in Diskussionen die Erfahrung gemacht, daß es einen Mechanismus gibt: Wenn wir für die Solidarität eintreten, muß das offensichtlich automatisch heißen, daß wir fanatische PKK-Fans sind, genauso wie es umgekehrt gelten soll, daß man unsolidarisch ist, wenn einem die PKK nicht gefällt. Wir sagen aber weder, daß man die PKK nicht kritisieren darf, noch daß wir sie toll finden. Wir teilen im Kern die schon vielfach vorgebrachten Kritiken, wie zum Beispiel den Personenkult um Apo. Was wir aber nicht teilen, das ist die respektlose Art und Weise, mit der kritisiert wird. Was wir nicht teilen sind die Konsequenzen, die aus der Kritik gezogen werden. Was wir nicht teilen, ist die Motivation, aus der heraus kritisiert wird.

Wenn man etwas kritisiert, sollte man auch eine Vorstellung vom Gegenstand der Kritik haben. Es ist aber so, daß die Mehrheit der deutschen Linken, uns eingeschlossen, nur eine sehr wage Vorstellung von der kurdischen Gesellschaft hat. Wir denken, daß die KurdInnen am besten wissen, wie der Kampf in Kurdistan geführt werden muß. Sie brauchen nicht unsere Ratschläge. Und das gilt umgekehrt genauso. Die PKK, die EZLN oder andere können uns keine Ratschläge erteilen, solange sie keine Vorstellung von unseren Bedingungen in der kapitalistischen Metropole BRD haben. Wir haben nichts gegen Kritik und harte Diskussionen. Aber wir finden, daß wir uns alle mal wieder ins Bewußtsein rufen sollten, daß wir auf der gleichen Seite der Barrikade stehen und deshalb etwas respektvoller miteinander umgehen sollten, als es gerade gegenüber den kurdischen GenossInnen manchmal der Fall ist.

Die Frage nach den Kriterien

Zusammenfassend: Es ist eine Frage der Kriterien für internationalistische und linke Politik im allgemeine.

Es gibt das Kriterium, sich auf die zu beziehen, in deren Kampf man etwas entdeckt, das mit uns zu tun hat, das einem gefällt. Das hat etwas Richtiges, weil es klar darum geht, mit denen zusammenzukommen, die wie wir um Emanzipation kämpfen, wie unterschiedlich das auch aufgefaßt werden mag.

Es hat aber dann etwas Negatives, wenn es sich als Anspruch von der Metropolenlinken aus an Befreiungsbewegungen richtet. Es wird zum Beispiel zum Kriterium gemacht, ob eine Bewegung eine Utopie verkörpert. Wir finden das falsch. Es hat sogar etwas von ideologischem Kolonialismus, wie es schon vor vielen Jahren Franz Fanon beschrieben hat: Die europäischen Linken sind enttäuscht, wenn die Unterdrückten nicht so sind wie sie es sich wünschen: Zivilisiert, aufgeklärt, europäisch, so wie sie selbst eben.

Und es gibt das Kriterium, daß man sich auf die objektiven Bedingungen beziehen muß, wie es schon zu Anfang beschrieben wurde. Wenn sich ein Großteil der radikalen Linken hier - mit teilweise einleuchtenden Begründungen von der PKK abwendet, ändert das nichts an der imperialistischen Politik der BRD und der Lage der KurdInnen hier wie in Kurdistan. Es ändert auch nichts, zumindestens nicht zum Positiven, in der PKK. Der einzig reale Effekt ist, daß die Linke sich sowohl von der Beziehung zu dem einzigen hier vertretenen Befreiungskampf aus der Dritten Welt als auch von der Fähigkeit verabschiedet, in einen zentralen innen- und außenpolitischen Konflikt zu intervenieren.

Kriterien: Was hat Chiapas mit der PKK zu tun?

Was in den 80er Jahren die internationale Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in El Salvador und Nicaragua war, ist heute die Solidarität mit Chiapas, mit dem Kampf der EZLN.

Wir wollen damit keine Gleichheit herstellen in dem Sinne, daß das politisch alles dasselbe ist - damals und heute - daß die EZLN etwa Ähnlichkeiten mit der FMLN hat. Wir wollen auch keine politische, inhaltliche Auseinandersetzung um die EZLN führen. Es geht uns auch ganz ausdrücklich nicht darum, die EZLN, ihre Politik zu kritisieren - im Gegenteil, auch wir finden, daß von ihnen wichtige politische Impulse ausgehen.

Wir halten es allerdings für wichtig, sich die Solidarität mit dem Kampf der EZLN mal genauer anzusehen und da gibt es viel zu kritisieren, was allerdings wenig oder nichts mit der EZLN, aber viel mit der Art und Weise zu tun hat, wie hier von Linken internationle Solidarität betrieben wird und was dafür die Kriterien sind. Wir wollen das auch in Relation zum kurdischen Befreiungskampf setzen - ohne da eine Konkurrenz aufbauen zu wollen, sondern um die Unterschiede im Verhalten vieler Linker deutlich zu machen.

Wie die FMLN und die FSLN ist die EZLN eine lateinamerikanische, mittelamerikanische Bewegung - was, so glauben wir, nicht unwichtig ist - und wie von diesen in den 80ern viele Leute mobilisiert wurden, so ist es jetzt auch, daß sogar zu Zeiten eines absoluten Bewegungstiefs sich heute viele politisch und praktisch mit der EZLN auseinandersetzen - Kongresse, Treffen, viele Papiere und Diskussionen. Und sicher nicht unwichtig, heute wie in den 80ern entfallen viele eine rege Reisetätigkeit in diesem Zusammenhang.

Ganz anders sieht es bei der Solidarität mit dem Kampf der KurdInnen aus - da ist es schon sehr schwer, einige wenige Linke zu mobilisieren, wie z.B. für den Friedenszug "Musa Anter" vor wenigen Monaten nach Kurdistan: Das hätte mal passieren sollen, daß die internationalen Teilnehmerlnnen für den Vorhereitungskongress zum l.intergalaktischen Treffen vor 1 1/2 Jahren hier in Berlin nicht hätten einreisen dürfen! Die Bilder vom Einsatz deutscher Waffen in Kurdistan, die verbrannten und zerstörten Dörfer, die Menschenrechtsverletzungen scheinen eher bei liberalen Menschen und Organisationen Wirkung zu zeigen - wie z.B. Liei Medico.

Für dieses Nichtverhalten, haben viele eine schnelle und einfache Begründung: Der Kampf der Kurdlnnen, das ist die PKK und die ist stalinistisch, nationalistisch und noch viel mehr - sie ist sozusagen alt, von gestern, nicht auf der Höhe der Zeit, unsympathisch.

Ein kleiner Einschub: Auch vor 12 Jahren, damals als die PKK sicherlich noch viel sozialistischer, der Nationalismus und der Personenkult noch viel weniger ausgeprägt waren und die PKK sich objektiv vielleicht nicht allzusehr z.B. von der FMLN unterschied, schon damals war für viele Linke und mit ihnen für die TAZ klar, welche Befreiungsbewegungen "gut" - FMLN - und welche "böse" - PKK - waren - auch wenn diese "Guten" heute nicht mehr so "gut" sind. Gegen die PKK lief von Anfang an eine Medienkampagne, wo ihr alle schlechten Taten dieser Welt in die Schuhe geschoben wurden (Palme Mord). Die EZLN war in den Medien von Anfang an "gut", positiv besetzt - zu einem Zeitpunkt, wo es noch gar keine große politische Auseinandersetzung um ihre Politik gab.

Good guys, bad guys...

Überhaupt: das "Gut" und "Böse" scheint heute ein sehr wichtiger Punkt zu sein - meist wird hier nur nicht "gut" oder "böse" gesagt, sondern "alt" oder "neu" (neu ist gut), oder auch "Guerilla neuen Typs" - diese Begriffe sind hier in der Presse TAZ, ak und auch in der Interim und in vielen linken Auseinandersetzungen weit verbreitet: Die Unterscheidung dient dazu, sehr schnell festzustellen, wo Solidarität wichtig und richtig ist und wo nicht. Da hilft es nichts, daß der Genosse Marcos alle in den Kampf einbeziehen will, es hilft nichts, daß er sagt: Die Begriffe "gute Guerilla" und "böse Guerilla" - er bezieht sich hier auf das Auftreten der EPR in Mexiko - seien "ein Spiel der Rivalitäten", daß der mexikanische Staat zur Spaltung erfunden habe. Marcos sagt in dem Zusammenhang auch, daß alles was vorher der EZLN vorgeworfen wurde: Terroristen, keine soziale Basis, 70er Jahre Ideologie, universitäre Gruppe, daß das jetzt von den gleichen Leuten der EPR vorgeworfen wird und daß die, die bis vor kurzem stürmisch die Vernichtung der EZLN verlangten, jetzt deren soziale Basis und die Legitimität ihrer Forderungen im Gegensatz zur EPR hervorheben.

Dieses Spiel der Abgrenzung und Spaltung wird auch hier bis weit in die radikale Linke hinein betrieben. Auch wenn diese Abgrenzung und Ausgrenzung viel benutzt wird, es spielen offensichtlich viel mehr Sachen eine Rolle als ausschließlich politische.

Seit Dezember 96 z.B. ist die MRTA aus Peru eine "gute" Guerilla - aber dort gibt es ja auch die ganz "bösen", den sendero luminoso. Oder die MLN - Tupamaros, die sind auch "gut" - obwohl politisch beide Organisationen genausogut oder schlecht als stalinistische Kaderparteien alten Typs mit 70er Jahre Ideologie zu bezeichnen wären.

Wie da politisch vorgegangen wird - da wollen wir an Hand eines Artikels aus dem ak ein paar Beispiele nenne: Es ist ein Artikel einer Gruppe aus Hamburg über Mexiko, über die EZLN und die EPR. Bemerkenswert ist, daß in diesem Artikel die EPR - die in vielen Artikeln über Mexiko die "leise", "alte" Guerilla ist - vor dieser Wertung in Schutz genommen wird. Dabei wird jedoch häufig - wohlgemerkt es geht um Mexiko - die VKK als die eigentlich "böse" Bewegung benannt. Wie das geschieht ist ziemlich aufschlußreich:

Marcos hat einen Brief an die ehrlichen mexikanischen Unternehmer gerichtet - für die Gruppe ist das ein Bündniskonzept gegen die Einkreisung durch das Militär und ihre Kriegsführung niedriger Intensität. In diesem Zusammenhang erwähnen sie nebenbei die PKK, die sowas ähnliches in Kurdistan macht: Da sei es allerdings ein "völkisches Konzept", denn in Kurdistan ist ja auch kein Krieg niedriger Intensität.

Ein anderes Originalzitat: "Wichtig ist, daß die EZLN, anders als die PKK, soziale Widersprüche nicht mit Volkstümelei verschleiert, sondern auf der Ebene der praktischen Politik die Forderungen von Landproletariat und Kleinbauern aufgreift und unterstützt. Die EZLN stellt in den Dörfern auch die Macht der Kaziken in Frage." Die PKK stellt nicht die Macht der Aghas in Frage? Stellt sich nicht auf die Seite der Bauern?

Wir finden: So läßt sich die Auseinandersetzung nicht führen, da geht es nicht um politische Auseinandersetzung sondern um denunzieren. Eine der ersten Aktionen der PKK war gegen einen Agha.

Ein anderes Zitat aus dem Artikel:

"Das neoliberale Projekt verlangt die Auslöschung der nationalen Geschichte, es verlangt die Auslöschung kultureller Grenzen. Für das Finanzkapital existiert nichts, nicht einmal Vaterland oder Besitz. Das Finanzkapital besitzt ausschließlich Zahlen auf Bankkonten. Und in diesem Spiel wird das Konzept Nation ausgelöscht. Daher muß ein revolutionärer Prozeß ansetzen bei der Wiedererlangung des Konzepts der Nation und des Vaterlandes." Dieses Zitat ist nicht von Apo sondern von Marcos - deswegen ist es auch nur "patriotisch", bei Apo wäre es mindestens "völkisch", wenn nicht noch anderes Schlimmes. Offensichtlich kommt es nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch wer was sagt.

Diese Reihe läßt sich fortsetzen.

Ob eine Bewegung "sympathisch" ist - was bei internationaler Solidarität offensichtlich sehr wichtig ist - hat also nicht allein politisch-inhaltliche Gründe - oder um es klar zu sagen: Im Verhältnis zum kurdischen Befreiungskampf spielen auch andere, untergründige Dinge eine wichtige Rolle und bestimmen das Verhältnis mit. Diese Dinge werden aber nicht geäußert, sie werden parteilich-politisch verpackt, wie ja auch der Begriff "sympathisch" kein sehr politisch inhaltlicher Begriff ist.

Da gehen viele Bilder ein, die auch z.B. rassistische Komponenten haben können. Daß der Kampf der KurdInnen nicht in einem fernen, exotischen, positiv besetzten Land stattfindet, sondern auch hier in der BRD mit direkter Konfrontation auch mit den ganzen Scheißstrukturen und auch mit dem eigenen Alltag - das spielt bestimmt auch eine wichtige Rolle. In dieser Situation sind Projektionen "gut", "neu" - sehr schwierig zu machen. Die Situation macht eine direkte persönliche Beteiligung und Auseinandersetzung hier in der BRD erforderlich. Das fordern Marcos und die EZLN als richtige internationale Solidarität übrigens auch ein - aber das hat sich in der Debatte der 80er schon gezeigt, ist sehr schwer praktisch umzusetzen.

Ansätze und Perspektiven?

laughing kids Nachdem jetzt viel über Kritik, Mängel und Widersprüche geredet wurde, ist es uns wichtig auch das zu benennen, wo es unserer Meinung nach sehr positive Beispiele gab an solidarischen Aktionen zu Kurdistan. Und wir wollen auch ein paar Kriterien zu internationalistischer Solidarität hervorheben.

Sehr spektakuläre Aktionen waren einmal die Aktion der Roten Zora gegen die Lürssen Werft 1995, die gegen die Waffenlieferungen an die Türkei praktisch intervenierte und die zwei Aktionen des K.O.M.I.T.T.E.E.s. Die Rote Zora setzte sich sehr kritisch mit der PKK-Struktur und Politik auseinander. Trotzdem haben sie zu einer entschiedenen Aktion gefunden. Die Erklärung hat eine eigene Bestimmung, sich zu dem Krieg zu verhalten, ohne einen positiven Bezug zur bewaffneten Befreiungsbewegung, PKK und ARGK herzustellen. Diese Erklärung wurde relativ breit und kontrovers diskutiert.

Das Komitee setzte bei seinen Aktionen gegen die Bundeswehrkaserne in Bad Freienwalde und gegen den Grünauer Knast, wie sie sagen, ihren "vorläufigen Schwerpunkt auf den Befreiungskampf des kurdischen Volkes."

Die Aktionen trafen auf große Sympathie in der Szene und Solidarität mit denen, die wegen der Verfolgung nach dem mißglückten Anschlag auf den Grünauer Knast weg müssen. Die Parole: "Terroristen sind die, die die Knäste bauen" tauchte überall auf. Der inhaltliche Schwerpunkt der Gruppe zu Kurdistan ging allerdings weitgehend unter. "Wir empfanden das weitgehende Nichtverhalten der radikalen Linken hier (zum Krieg in Kurdistan) als Bankrotterklärung." Es ist bestimmt kein Zufall, daß genau dieses nicht aufgegriffen wurde, bei all den Initiativen zum Komitee und gegen Grünau.

Beide Gruppen stehen kritisch der PKK-Politik gegenüber. Und natürlich ist es so, daß eine/r sofort mit der PKK-Politik konfrontiert ist, wenn er/sie hier etwas zu Kurdistan tun will. Um so wichtiger ist es, internationalistische Initiativen aus der eigenen Lage zu bestimmen und aus dem Willen, die Verhältnisse hier zu verhindern. Also die eigene politische Orientierung als Maßstab zu nehmen, statt sich an der Politik der PKK abzuarbeiten. So kann dann eine Zusammenarbeit selbstbewußt und offener sein und die Widersprüche schlagen nicht so schnell in Enttäuschung um. Ein großer Anteil kurdischer und türkischer Menschen leben hier, viele davon sind organisiert. Wir sehen eine Chance darin, wenn es ein besseres Kennenlernen und eine Zusammenarbeit geben könnte.

Bestimmung aus den Verhältnissen hier heißt u.a. sich einer Gesellschaftsordnung zu widersetzen, die in Bessere und Schlechtere, denen mit mehr Rechten und keinen Rechten trennt. Und sich dem zu widersetzen heißt, sich auf die Seite derer zu stellen, die ausgegrenzt werden sollen. Widersetzen heißt diese Entwicklung aufzuhalten, was ja heute angesichts der Schwäche der Linken sehr unrealistisch klingt. Dennoch ist wichtig, hier einzugreifen, Positionen zu beziehen, damit es im gesellschaftlichen

Bewußtsein gegen dieses Mainstream-Denken einen lebendigen Gegenpol gibt.

Antirassismus hat viel mit internationaler Solidarität zu tun und hat die Bestimmung und Praxis davon seit spätestens Ende der 80er Jahre erweitert. Erweitert insofern, sich nicht nur auf die Kämpfe im Trikont zu beziehen, sondern enger mit den Bedingungen und für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hier zu verknüpfen.

Antiimperialistische Gruppen haben sich zwar radikal auf die Seite der im Trikont Kämpfenden gestellt (Beispiel RAF), aber die Verhältnisse, die Gesellschaft vernachlässigt. Ein Grund, warum diese Politik einen zu kurzen Atem hatte (was aber den Ausgangspunkt der Bestimmung nicht in Frage stellt).

Ein gutes Beispiel dafür, sich auf die Seite derer, die ausgegrenzt werden sollen, zu stellen, war eine versuchte Aktion von antirassistischen Gruppen, eine Autobahnblockade. Nachdem eine europaweite zentrale kurdische Demo mit dem Motto: "Für eine friedliche Lösung" mit gigantischem Bullenaufgebot, Straßensperren und rassistischen Vorkontrollen weitgehend verhindert wurde, blockierten die in Bussen festgehaltenen KurdInnen - anderer Protestformen beraubt - die Autobahn. Eine gewaltige Hetze in den Medien setzte ein und von den Grünen bis zur CSU wurde von Erpressung, Terrorismus, Angriff auf die BRD geredet und eine schnelle Abschiebung der "kriminellen Gewalttäter" gefordert.

In diesem Klima sollte eine Autobahnblockade in Steglitz stattfinden, die aber leider weitgehend verhindert wurde. Andere gute Initiativen waren die Plakataktionen nach der Ermordung von Halim Dener, oder die Demo gegen die Innenministerkonferenz.

Allerdings sind Initiativen, die von der radikalen Linken ausgehen, eher spärlich, und was aus anderen Kreisen kommt - ich nenne sie mal die bürgerlich-kritischen Kreise - ist weitaus stärker und präsenter. Sie scheinen sich weder durch die Mittel des bewaffneten Kampfes von der Solidarität zu Kurdistan abschrecken zu lassen und auch nicht durch Widersprüche zur PKK-Politik.

Medico International zum Beispiel macht seit Jahren kontinuierliche Arbeit zu Kurdistan. Sie unterstützen konkrete Projekte, initiieren Newroz-Delegationen mit, machen Kongresse und politische Initiativen, wie z.B. den Appell von Hannover, der während des einseitigen Waffenstillstandes der PKK geboren wurde. Das ist ein Appell an die BRD, für eine friedliche Lösung einzutreten, ihre Parteinahme zugunsten der Türkei aufzugeben, also Waffenlieferungen und Abschiebungen einzustellen. Für einen Friedensprozeß ist die Anerkennung der PKK als eine Verhandlungspartei gefordert, und eine Beendigung der Kriminalisierung und Verbote. ErstunterzeichnerInnen waren u.a. IPPNW, Juso-Vorsitzende, Pro Asyl, ProfessorInnen, Grüne und viele Hundert weitere.

Andere Beispiele sind die IPPNW (Ärzte gegen den Atomkrieg), die u.a. medizinische Projekte im Kriegsgebiet in Zusammenarbeit mit dem kurdischen Roten Halbmond unterstützt. Von einzelnen Grünen und PDS-lerInnen gibt es immer wieder parlamentarische Anträge und Anfragen. Sie melden Demos und Veranstaltungen an, trotzdem sich ständig wiederholenden Vorwurf, Terroristen zu unterstützen. Eine mutige Initiative war auch das Plakat gegen das PKK-Verbot, auf dem sich Leute persönlich haben ablichten lassen. Auch der Kurdistan-Rundbrief als Gegeninformationsquelle und dessen MacherInnen lassen sich trotz Verfahren gegen sie nicht einschüchtern. Und der Friedenszug "Musa Anter" von Europa nach Kurdistan versuchte, trotz seines Verbots mit anderen Möglichkeiten die eigenen Ziele durchzusetzen. Die Vorstellung, daß der Zug nicht durch die Türkei kommt, war allen klar. Daß die BRD für die Türkei soweit geht, den Zug in der BRD zu stoppen, konnte sich wohl kaum jemand vorstellen. Leider gab es auch hier kaum Reaktionen darauf.

Wir hoffen natürlich, daß auch von Linksradikalen dazu mehr in Bewegung kommt.

Wir haben jetzt viel öffentlich Gedanken verloren zur Kurdistan-Solidarität und Zusammenarbeit mit Kurdlnnen. Das alles bleibt Papier oder Worte und die konkrete Praxis, die einzelnen Initiativen werden entscheiden, ob es eine Zusammenarbeit mit den kurdischen Organisationen geben kann oder nicht und wie die dann aussieht. Das ist abstrakt nicht zu klären. Einzig haben wir den Willen, etc. was zu verändern.