Lösungen für Nordirland?

Friedensabkommen oder neuer Kampfabschnitt

Nach einer Intensivierung des bewaffneten Kampfes erklärte die IRA im Juli vergangenen Jahres eine erneute Aussetzung i an militärischen Operationen. Dieser Schritt erfolgte ganz in Gegensatz zu der Beschreibung durch die Medien aus eine Position der Stärke. Die Vorgeschichte diesen erneuten Waffenstillstands' beginnt mit dem Labour Wahlsieg vom Mai des Jahres. denn die konservative Regierung unter John Major hatte in den Jahren zuvor ein ums andere Mal deutlich gemacht, daß sie an konkreten Veränderungen in Nordirland' zum einen kein Interesse hat zum anderen allerdings politisch auch gar nicht in der Lage war, irgendwelche Schritte zu einer Lösung in Nordirland zu unternehmen. Major war im Parlament in eine Lage geraten, in der die Regierung bei jeder Entscheidung auf die Stimmen der nordirischen UnionistInnen angepriesen irrer und sich parteipolitisch nichts weiter erlauben konnte als eine Haltung. die den Status Quo in Nordirland zementieren würde.

Erklärtes Ziel der republikanischen Bewegung vor den Wahlen in Britannien war, Nordirland zu einem wesentlichen Thema des Wahlkampfes zu machen. Mit andauernden Eingriffen der IRA in die gesamte Infrastruktur Englands, die z.T. für Tage den gesamten Verkehr lahmlegten, ist das dann auch eindrucksvoll erreicht worden. Auf der. anderen Seite trug die Politik Sinn Feins Früchte. Bei verschiedenen Wahlen in Nordirland entwickelte sich die Partei zu drittstärksten Partei und lieferte damit den Beweis. daß die Menschen in Nordirland auf die Politik der republikanischen Bewegung setzen und ihre Strategie zu Lösung des Konfliktes unterstützen - ganz im Gegensatz zur andauernden Propaganda der anderen Seite. die stetig weiter behauptete SF und IRA seien isoliert.

Die ersten Äußerungen der neuen Regierung allerdings waren ernüchternd. Labour und allen voran Blair vertraten Positionen, die sich von denen der Vorgängerregierung kaum unterschieden. Auch Tony Blair hielt am unionistischen Vetorecht fest und unterstrich es ein ums andere Mal. Natürlich müsse mit SF und IRA geredet werden, allerdings..... auf meiner Tagesordnung steht kein vereintes Irland und ich wundere mich über die, die das in absehbarer Zeit für realistisch halten..... Diejenigen, die ein vereintes Irland wünschen, können gerne dafür argumentieren, nicht zuletzt in Verhandlungen.... Aber niemand in diesem Raum, nicht einmal die Jüngsten, wird Nordlirland als etwas anderes erleben als Teil des vereinigten Königreiches. So ist die Realität, denn das Mehrheitsprinzip ist allgemein anerkannt, so Blair bei seinem ersten Auftritt in Belfast zwei Wochen nach der Wahl. Selbst die Bedingungen für Sinn Fein und die IRA blieben die gleichen. Die IRA sollte einen bedingungslosen Waffenstillstand erklären und beginnen ihre Waffen abzugeben. Auch an diesen entscheidenden Punkten unterschied sich 'Nerv Labour' nicht von der Major Regierung. Aber einen kleinen Schritt in eine neue Richtung gab es doch. Die britische Regierung kündigte offizielle Gespräche mit SF an, ohne daß ein Waffenstillstand der IRA als Vorbedingung gefordert wurde. Diese Gespräche wurden allerdings von republikanischer Seite aus ergebnislos abgebrochen, weil tatsächlich nichts neues passierte. Kurz vor dem dritten Treffen zwischen SF und britischer Regierung setzte die IRA mit der Erschießung zweier RUCler und einer spürbaren Ausbreitung von Operationen ein deutliches Zeichen. Wenn die britische Regierung tatsächlich auf einen neuen Waffenstillstand der IRA hoffte, so mußte eine sichtbare Verhinderung in Blairs Politik stattfinden. Aber vorerst sollte nach außen nichts dergleichen passieren. Im Gegenteil - bei dem ersten Höhepunkt der unionistischen Marschsaison, dem OrilllgC Order Marsch durch ein nationalistisches Viertel in Portadown prügelten RUC und britische Armee den Marschieren den Weg frei, nachdem das britische Nordirlandministerium grünes Licht gegeben hatte. Diese Entscheidung und die Ereignisse in Portadown deuteten auf eine massivere Eskalation hin und die republikanische Bewegung mobilisierte, um die noch folgenden Märsche mit allen Mitteln zu verhindern. Konfrontiert mit dieser Mobilisierung setzten Nordirlandministerium und RUC den Orange-Order soweit unter Druck. daß dieser die übrigen Märsche absagte oder auf Routen durchführte, die keine nationalistischen Viertel berührten. Auch wenn sich der militante Orange-Order als besonnene Organisation abfeiern ließ. war offensichtlich, daß eben der republikanische Druck Erfolg hatte. Die britische Regierung konnte es sich auf keinen Fall leisten, durch ihr Verhalten während der Marschsaison für eine Eskalation verantwortlich zu sein. wollte sie doch im

Gegensatz zu Major-Regierung als Friedensstifterin betrachtet werden. Und eine Eskalation durch die Märsche, das zeigte die Erfahrung vom Vorjahr, hätte jede Aussicht auf eine Lösung in Nordirland auf Jahre verhindert.

Zu diesem Zeitpunkt veränderte sich das britische Haltung auch im Hinblick auf republikanische Forderungen im Zusammenhang mit Verhandlungen. Die IRA hatte eine erneute Aussetzung von Operationen von konkreten Schritten der Briten abhängig gemacht, die Verhandlungen erst sinnvoll erschienen ließen. Es sollte ein Zeitplan für Gespräche veröffentlicht werden und keine Vorbedingung, wie die der Waffenabgabe durch die IRA, aufrecht erhalten werden. Und nach und nach bewegte sich Blair gemeinsam mit der Nordirlandministerin Mowlam genau in diese Richtung. Schließlich erklärte die IRA folgerichtig im Juli tatsächlich einen neuen 'Waffenstillstand'. Im Gegensatz zu 1994 sollte die neue Aussetzung von Operationen auf vier Monate begrenzt bleiben, um der britischen Regierung nicht wieder die Möglichkeit zu geben auf Zeit zu spielen wie 1996. Damit waren von zwei Seiten. von britischer wie republikanischer, alle Bedingungen erfüllt und Sinn Fein konnte ab September an den sog. Allparteiengesprächen in Belfast teilnehmen. In ihrem Bemühen sich nun in ihrer Nordirlandpolitik von den Tories zu unterscheiden, war von britischer Seite aus sang und klanglos die Forderung fallengelassen worden, daß die IRA ihre Waffen abzugeben habe, bevor SF an Allparteiengesprächen teilnehmen dürfe.

Verhandlungen oder wie?

Ob nun aber auch tatsächlich Verhandlungen beginnen konnten lag nicht zuletzt in der Verantwortung der unionistischen und loyalistischen Organisationen. Schon vor Beginn der Verhandlungsrunden erklärten Paisleys Democratic Ulster Party und die kleine UK Unionist Party ihren Ausstieg aus den Gesprächen. Die offizielle Begründung war der Wegfall der Vorbedingung nach der Waffenabgabe der bewaffneten Organisationen. Das, so Paisley, war die Kapitulation der britischen Regierung vor der IRA. Er wolle nicht mit einer Waffe am Kopf verhandeln. Die Frage der Waffen allerdings war und blieb für die unionistischen Hardliner nichts weiter als ein Vorwand nicht mit der republikanischen Bewegung verhandeln zu müssen. Gerade der DUP geht es schließlich darum den Status Quo auf keinen Fall in irgendeiner Weise anzutasten. Auch die sogenannte gemäßigte Ulster Unionist Party, die größte unionistische Partei in Nordirland, führte einen gigantischen Eiertanz um die Gespräche auf. Die Opposition innerhalb der Partei gegen die Haltung ihres Vorsitzenden Trimble zwar relativ stark und ein ums andere Mal mußte Trimble seine Partei und andere Organisationen wie den Orange Order beruhigen, daß eine Teilnahme an den Gesprächen nur unter der Prämisse stattfinden wird. die Union Nordirlands und Britanniens nicht zu schwächen. Während aller Verhandlungsrunden bis in den April diesen Jahres hat es die Verhandlungsdelegation der UUP geschafft kein einziges direktes Wort mit SF VertreterInnen zu sprechen und hat lange Zeit eigentlich nichts weiter versucht die Gespräche von innen zu unterlaufen und jede Veränderung zu verhindern.

Die Haltung der loyalistischen Parteien, die politischen Organisationen der Paramilitärs, einzig zu dem Zweck gegründet, um in den Verhandlungen vertreten zu sein, zeigten. sich durchaus aufgeschlossener. Das nun keine Waffen mehr abgegeben werden mußten, lag selbstverständlich auch in ihrem eigenen Interesse. Den UVF und UDA/UFF wären von dieser Vorbedingung genauso betroffen gewesen wie die IRA. Und sie waren im Gegensatz zu den unionistischen Parteien bereit tatsächlich Gespräche mit der republikanischen Bewegung zu führen. Zum einen haben sie natürlich ganz praktische Interessen. Auch die loyalistischen Paramilitärs sind z.B. an der Freilassung ihrer Gefangenen interessiert. Angesichts ihrer verschwindend kleinen Stimmenanteile bei den letzten Wahlen in Nordirland, sind sie allerdings auch gezwungen, sich auf konkrete politische Schritte einzulassen, wollen sie nicht wieder in die Situation kommen nur auf militärischem Feld eine Rolle zu spielen. Sie sind an einer Lösung interessiert. Eine Lösung allerdings. die sich im Endeffekt in nichts von den Vorstellungen der unionistischen Parteien unterscheidet. UDP und PUP gingen genau so wie die UUP oder auch Paisleys DUP mit den Positionen an die Gespräche heran, daß nichts und niemand ihr Vetorecht einzuschränken habe. Nach dem Wegfall der Vorbedingungen der Waffenabgabe entstand eine offene Vorbedingung durch alle unionistischen und loyalistischen Parteien: kein Verhandlungsergebnis durfte ihre Machtstellung antasten noch die Union schwächen. Nur die Mittel wie eben mit dieser Position und den Verhandlungen Politik gemacht wurde unterschieden sich erheblich; nicht zuletzt auch weil alle genannten Parteien um ihr jeweiliges Ansehen bemüht waren.

Im Herbst zeichnete sich ab. daß der immer noch sogenannte Friedensprozeß in eine gefährliche Sackgasse geraten war. Innerhalb der republikanischen Bewegung wurden Stimmen laut, die forderten die Gespräche zu beenden und vor dem Hintergrund immer noch anhaltender sektiererischer Angriffe durch loyalistische Paramilitärs und eine sich verstärkende Repression durch RUC und britische Armee den Waffenstillstand zumindest soweit aufzuheben, daß der Schutz nationalistischer Viertel gewährleistet werden könne. Mehrere führende SF-Mitglieder und Mitglieder des Armeerates der IRA legten ihre Funktionen aus Protest gegen die Politik SFs nieder. Zu offensichtlich war die völlige Bedeutungs- und Ergebnislosigkeit der Gespräche, während sich die 'Sicherheits'kräfte offensichtlich auf eine militärische Lösung einstellten. Die britische Armee und die RUC waren durch die Einstellung von IRA-Operationen wieder in die Lage übersetzt worden ohne größere Gefährdungen offen repressiv aufzutreten und ihre Einrichtungen erheblich auszubauen. Die Anzahl von Übergriffen. Verhaftungen und Spitzelanwerbungen stieg an und sektiererische Morde gab es ebenfalls nach wie vor. Wieder wurde innerhalb SFs und der IRA die Befürchtung geäußert, daß sich hinter der Labour Politik auch nichts anderes verbirgt, als der Versuch, die Bewegung durch die Einbindung in einen Verhandlungsprozeß langfristig zu isolieren und zu schwören, ohne daß konkrete Veränderungen in der politischen und gesellschaftlichen Situation erreicht werden können.

Auch wenn die 'Dissidenten' innerhalb der Bewegung zusagten, weder Organisationen wie der INLA oder dem Continuity Army Council (CAC). Organisationen die keinen 'Waffenstillstand' erklärt haben, beizutreten noch eine eigene neue bewaffnete Gruppe zu gründen. zeigt diese Auseinandersetzung, wie umstritten die eingeschlagene Richtung ist.

Auch die verblieben IRA-Führung wurde skeptisch, In einer Erklärung nach dem Austritt unterstreicht sie zwar. daß die IRA intakt ist und weiterhin die Politik SFs mitträgt. allerdings betonte der Armeerat gegenüber den Freiwilligen. daß die Aussetzung von Operationen weiterhin begrenzt sei. Gleichzeitig wurde auch bekannt, daß die IRA wieder Übungen und Bestrafungsaktionen aufgenommen hat und neue Mitglieder aufnimmt. Alles war im Zuge der Gespräche ausgesetzt worden. Und in der Neujahrserklärung der IRA-Führung stand deutlich und ultimativ zu lesen:... Wir sind uns darüber im Klaren, daß die IRA die einzige militärische Organisation ist, die Operationen ausgesetzt hat. Nach einem Jahr, in dem es Dutzende Morde loyalistischer Paramilitärs gegeben bot, sehen wir Anzeichen dafür, daß sich die britische Regierung den Wünschen der militärischen Führung beugt, die versucht, Republikanerinnen zu spalten und zu besiegen, anstatt eine Lösung des Konfiktes zu suchen.

Anstatt vertragsbildende Maßnahmen durchzuführen, haben sie die Remilitarisierungspolitik der Vorgängerregierung weitergeführt. Die Durchführung eines Programms des Ausbaus und Befestigens einer Militär- und RUC Einrichtungen steht der Weigerung gegenüber, während der Zeit zweier aufeinanderfolgender IRA-Aussetzungserklährungen auch nur einen einzigen Gefangenen freizulassen. Es stellt sich die Frage, ob sich eine neue Labour-Regierung den politischen Herausforderugen der gegenwärtigen Situation stellen oder dazu neigt, alles wieder der militärischen Führung zu überlassen, es 'Sicherheitsproblem' zu nennen und zu hoffen,

daß es nicht die britische Innenpolitik berührt.

Mit dem Blockieren jedes Schrittes hin zu einem sinnvollen Verhandlungsprozeß signalisiert die unionistische Führung nur den Willen, den Konflikt fortzusetzen....

Wir erinnern die britische Regierung an ihre zentrale Verantwortung...Scheitern ist keine Möglichkeit. Es liegt in ihrer Verantwortung, die Situation nach vorne zu bewegen.

Erschießung im Knast

Diese Erklärung der IRA-Führung erschien zu einem Zeitpunkt, an dem eine Lösung, sollte es denn in Verhandlungen überhaupt eine geben, so gut wie unmöglich erschien.

Zurück ins Jahr 1996: Als die Situation im Sommer 1996 während der Märsche des Orange Order eskaliert, spaltet sich von der Ulster Volunteer Force ihre Mid-Ulster Brigade ab, begeht Morde an KatholikInnen und nennt sich nach kurzer Zeit Loyalist Voluntcer Force. Unter der Führung von Billy 'King Rat' Wright führt sie in der Folge eine ganze Reihe sektieririscher Morde und Anschläge in Südirland durch. Die Führung der UFV, darauf bedacht ihren Waffenstillstand einzuhalten stellt Billy Wright ein Ultimatum, Nordirland innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, anderenfalls würde er getötet. Wright blieb allerdings am Leben, wurde letztes Jahr verhaftet und zu 8 Jahren verurteilt. Im Knast sammelte er eine Reihe von UVF-Gefangenen um sich, die ihren Beitritt zur LVF erklärten und verlangten, getrennt von den anderen loyalistischen Gefangenen untergebracht zu werden. Draußen blieb die LVF weiterhin aktiv und setzte die Ablehnung der Gespräche wie von Paisley formuliert in Morden um.

Als im Herbst vergangenen Jahres die republikanische Bewegung die Gefahr des Scheiterns der Gespräche konstatierte und konkrete Schritte der britischen Regierung verlangte, wie die Freilassung von Gefangenen, veränderte sich endgültig auch die Stimmung der loyalistischen Paramilitärs. In ihren Augen hatte sich die britische Regierung nicht deutlich genug auf ihre Seite gestellt und ihre Positionen übertreten. Das Bestreben der britischen Regierung niemanden weh zu tun und vor allen Dingen mit allen Mitteln die Gespräche am Laufen zu halten. hatte definitiv in eine Sackgasse geführt. In der Politik aller unionistischen und loyalistischen Gruppen entwickelte sich die LVF zum Druckmittel und intern galt das Todesurteil für Billy Wright schon lange nicht mehr. Noch kurz nach seinem Tod am 27.12. besuchte ihn ein Mitglied der UVF-Führung und bot ihm an Wieder in seine ehemalige Organisation aufgenommen zu werden. Wright lehnte dieses Angebot zuvor ab, knüpfte aber im Knast enge Kontakte zu UDA-Führung in Belfast. Die LVF war also keine isolierte Splittergruppe. Ihre Morde im Süden paßten den anderen Gruppen durchaus ins Konzept, konnten doch Republikanerlnnen und beide Regierungen unter Druck gesetzt werden, ohne daß die eigenen Organisationen auftauchen mußten. In dieser Phase erklärten die Gefangenen der loyalistischen UDA und UFF, daß sie angesichts der Politik der britischen und irischen Regierungen den Waffenstillstand ihrer Gruppen nicht länger unterstützen. Ohne die Zustimmung der Gefangenen allerdings konnten die loyalistischen Parteien nicht länger an den Gesprächen teilnehmen.

Genau in diesem Moment erschoß die INLA im Knast Billy Wright als 'Antwort auf seine zahlreichen Morde an NationalistInnen und KatholikInnen.' Der Tod Billy Wrights wurde auf nationalistischer /republikanischer Seite von niemandem bedauert, auch wenn eine bewaffnete Operation von dieser Bedeutung SF nicht gerade gut paßte. Wright selber brüstete sich damit, für über dreißig Morde an Katholiklnnen verantwortlich zu sein. Auch wenn die INLA in der letzten Jahren nur noch durch Verbalradikalismus und mörderische interne Auseinandersetzungen von sich reden machte wurde diese Aktion angesichts der Bedeutung Billy Wrights begrüßt. Nur der Zeitpunkt. in Mitten einer Ausweitung loyalistischer Gewalt und der Drohung der Paramilitärs ihren Waffenstillstand zu beenden. schien denkbar schlecht gewählt. Für die LVF war es nun denkbar leicht ihre nun folgenden Morde und Anschläge die sie erheblich ausbreiteten, als Reaktion auf republikanische Gewalt darzustellen obwohl sie politisch eine vollkommen andere Bedeutung und Zielrichtung hatten. Als sich in der ersten Januarwoche die Situation immer mehr zuspitzte, entschied sich die britische Regierung wie so oft in der Vergangenheit dem Druck der LoyalistInnen nachzugeben und inszenierte ein medienwirksames Novum. Die Nordirlandministerin Mowlam besuchte die loyalistischen Gefangenen in Long-Kesh und legte ihnen, noch bevor es irgendeine Partei zu Gesicht bekommen hatte, ein bis dahin geheimes Regierungsdokument über die britisch / irischen Planungen einer Verhandlungslösung vor. Noch am gleichen Abend entschieden die Gefangenen der UDA/UFF den loyalistischen Parteien zu empfehlen weiter an den Gesprächen teilzunehmen und den Waffenstillstand aufrechtzuerhalten. Zwei Wochen später allerdings gibt die UDA/UFF zu, an verschiedenen Morden in den letzten Wochen beteiligt gegewesen zu sein. Sie seien eine notwendige militärische Antwort auf republilanische Gewalt gegewesen. Die UDP, politische Organisation der UDA, wird damit zwei Wochen lang von den Gesprächen ausgeschlossen. Von der LVF, die weiterhin Morde beging, rückten die anderen Parteien nach außen nun wieder ab. Sie hatte ihre Rolle gespielt.

Eine Lösung????

Das Papier, das Motivlam den Gefangenen vorgelegt hatte, wurde kurz darauf von den Regierungen in London und Dublin veröffentlicht. Es enthielt grob die vorgesehene Verwaltungsstruktur Nordirlands und bildete im Folgenden die Diskussionsgrundlage während der Gespräche.

Geplant war nun:

  1. ein Regionalparlament für Nordirland, das weitgehend autonom handeln soll.

  2. ein sogenannter Inselrat, in dem sich zweimal jährlich die Regierungen Englands, Schottlands, Wales und Nordirlands treffen sollen

    und

  3. soll für verschiedene Bereiche eine Kooperation zwischen Nord- und Südirland eingerichtet werden.

Das ganze Papier war sehr vage gehalten und kaum mit Inhalt versehen. Einzig die Strukturen waren mehr oder weniger vorgegeben. Strukturen allerdings, die von unionistischer Seite schon vor Monaten vorgeschlagen worden waren. So war es denn auch nicht weiter erforderlich, daß die Gefangenen plötzlich davon überzeugt waren, weiterzuverhandeln, war ihnen doch von der britischen Regierung versichert worden, daß ihre Fordeningen nun als Regierungsdokument auf den Verhandlungstisch kommen würden.

In ersten Reaktionen lehnten sowohl SF wie auch die IRA die Vorschläge genau aus diesen Gründen ab. Der republikanischen Bewegung war es in erster Linie immer darum gegangen eine interne nordirische Lösung zu verhindern, die ein Regionalparlament eindeutig bedeutet. Trotzdem blieb SF bei den Verhandlungen und bemühte sich nach kurzer Zeit die Vorgaben soweit wie möglich in republikanischen Sinne zu füllen und die unionistischen Forderungen möglichst abzublocken. Am Karfreitag ließen alle an den Verhandlungen beteiligten Parteien schließlich verlauten, es sei vollbracht. Alle hätten sich auf ein gemeinsames Abkommen geeinigt, über das jetzt am 22. Mai die Bevölkerung in Nord- und Südirland in einem Referendum zu entscheiden hat. Die vorgeschlagenen Verwaltungsstrukturen sollen jetzt also tatsächlich umgesetzt werden.

D.h.;

  1. es wird ein nach dem Verhältniswahlrecht gewähltes Regionalparlament in Belfast geben. das fair die meisten Bereiche der Verwaltung verantwortlich sein wird.

  2. für einige Bereiche soll es eine Kooperation zwischen nord und südirischer Regierung geben.

  3. sollen ein britisch - irischer Rat unter Einschluss aller Regionalparlamente, der Londoner und der Dubliner Regierung und eine britisch - irische Regierungskonferenz zwischen Dublin und London eingerichtet werden.

  4. soll in die Europäische Menschenrechts Konvention mit einigen speziellen Ergänzungen für Nordirland angewendet werden

  5. hebt die britische Regierung das Gesetz auf, das die Zugehörigkeit Nordirlands zu Britannien regelt. im Gegenzug werden 'die Artikel 2 & 3 der irischen Verfassung, die den territorialen Anspruch Irlands auf den Norden festschreiben, geändert.

Dazu kommen einige wieder sehr vage gehaltene Aussagen über die Abgabe der Waffen und die Freilassung der Gefangenen.

Das Abkommen wie es jetzt auf dem Tisch liegt hat auf allen Seiten heftige Reaktionen hervorgerufen. Ein Teil der UnionistInnen lehnt es wegen der zu weitgehenden Kooperation zwischen Nord- und Südirland ab. Bei genauerem Hinsehen sind das aber wieder nur vorgeschobene Argumente. Die Zusammenarbeit beschränkt sich auf so interessante Bereiche wie Fischereirecht, Tourismus oder andere Bereiche von ähnlicher Relevanz, bei denen es z.T. schon seit Jahren eine Kooperation gibt. Jedenfalls ist unmöglich darin den schleichenden Beginn der Vereinigung zu sehen; wie Paisley das lautstark verkündet. Aber selbst innerhalb der UUP, die das Papier mit ausgehandelt hat, gibt es eine starke Opposition. Eine Opposition, die sich gegen jede Veränderung sträubt, die wenn auch nur scheinbar oder oberflächlich Verhältnisse in Nordirland verändert. Zwar haben sich 70% der UUP-Delegierten für die Unterzeichnung des Abkommens ausgesprochen, aber die verbliebenen 30% nähern sich mit ihrer Kampagne gegen das Abkommen immer bereiter an Paisley und die LVF an.

Weitaus wesentlicher aber dürfte die Haltung der republikanischen Belegung sein. Das Ergebnis der Verhandlungen ist immerhin weit hinter den gesteckten Zielen geblieben und SF war nicht in der Lage, die so vehement bekämpfte interne Lösung zu verhindern. Trotzdem bezeichnet die Parteiführung das Abkommen als einen wesentlichen Schritt und Erfolg. Was bleibt ihr allerdings auch anderes übrig als nun die Partei und die IRA von der Richtigkeit dieser Einschätzung zu überzeugen. Das Abkommen wird von der SF-Führung nicht als endgültige Lösung betrachtet und eingestanden. daß nichts in dem Papier eine republikanische Lösung darstellt. Vielmehr müsse sich die Bewegung jetzt darauf einstellen innerhalb der Institutionen und auch auf der nun festgeschriebenen Grundlage weiterzukämpfen.

Die republikanische Bewegung wird über kurz oder lang vor einer wesentlichen Zerreißprobe stehen. Kritik innerhalb SF und der IRA gibt es genug. Auch wenn Gerry Adams behauptet, die Union Nordirlands mit Britannien wäre geschwächt worden oder das Vetorecht der UnionistInnen mehr oder weniger zerschlagen, so wird aus dem Abkommen genauso auch das Gegenteil herausgelesen. So heißt es z.B. im Zusammenhang mit der Nord- Südkooperation ein ums andere Mal, daß Entscheidungen 'by Agreement', also in Einigkeit getroffen werden müssen. Wenn die unionistischen Parteien in diesen Gremien also immer wieder ihr berechtigtes NEIN von sich geben, egal zu welchem Thema wird ein Nord- Süd Gremium eine reine Farce.

Die wesentliche Kritik innerhalb der Bewegung richtet sich

allerdings gegen die Einnahme der Sitze im nordirischen Parlament. Auch wenn es zur Zeit so aussieht, als ob innerhalb der Partei die notwendige 2/3 Mehrheit für eine Satzungsänderung zustande kommen wird und SF die Sitze einnehmen kann. bleibt fraglich ab die Bewegung diesen Schritt ohne Spaltung aushalten wird. Es ist für die Parteiführung trotz aller Aufrufe zur Einheit schwer zu legitimieren, eine Institution mitzutragen und sich darin zu verhalten, die die Teilung Irlands verwaltet und aufrechterhält.

Kurz vor dem SF- Parteitag im April wurden mehrere Leute. die die Strategie während der Gespräche massiv kritisiert hatten, aus der Partei ausgeschlossen. Zu groß war die Befürchtung, daß eine offene Auseinandersetzung vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu einer Spaltung der gesamten Partei geführt hätte.

Die IRA hat ihre Aussetzungserklärung zwar auch wieder um vier Monate verlängert. aber auch dort gibt es angeblich massive Auseinandersetzungen über die nächsten Schritte.

In dieser Situation hat SF gegenüber der britischen Regierung ultimativ den Abzug der Armee und die Auflösung der RUC gefordert. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die Kommission, die Eingerichtet werden soll, um über die RUC einen Bericht zu schreiben, sei Veränderung genug. Eine Auflösung der nordirischen Polizei stünde überhaupt nicht zur Diskussion; und die Armee würde solange in Nordirland bleiben, wie es nötig sei. Punktum! Worte, die so deutlich von Mr. Blair während der Verhandlungen nicht zu hören waren.

Was tun?

Was tun bleibt die wesentliche Frage. Deutlich ist, daß UnionistInnen und LoyalistInnen alles tun werden, um auf der Grundlage dieses Abkommens irgendwelche Veränderungen zu verhindern. Sei es auf der Ebene eines Ian Paisley oder der LVF, die weiterhin sektiererische Morde begeht. Oder auf der Ebene des künftigen Regierungschefs David Trimble und des institutioiulisierten Nein Sagens.

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden SF und die IRA die jetzt eingeschlagene Strategie weiterverfolgen, denn nach allem was während des 'Friedensprozesses' passiert ist, stellt sich natürlich auch die Frage der Alternative. Jetzt an einem Punkt, an dem ein Abkommen auf dem Tisch liegt, das SF immerhin mitausgehandelt hat, ist die Rückkehr zum bewaffneten Kampf für die republikanische Bewegung wie sie heute existiert endgültig ausgeschlossen, selbst wenn die Zeit zeigen wird, daß nicht ein Milimeter an Veränderung möglich ist. An diesem Punkt hat Gerry Adams Recht, wenn er sagt, der Kampf ist in neue neue Phase auf einem neuen Terrain getreten.

Ob sich aber nicht auch das Bild der republikanischen Bewegung wie sie heute existiert sehr schnell verändern kann, wird sich schon bald zeigen. Denn so oder so wird die erste entscheidende Probe aller Beteiligten wieder einmal die Marschsaison des Orange-Order in diesem Sommer sein. Wieder werden diverse unionistische Triumphmärsche durch nationalistische Viertel führen und wieder werden sich die Betroffenen dagegen wehren. Die im Zuge der Gespräche gebildete Kommission, die Ciber diese Märsche zu beraten und entscheiden hat, hat gerade ihren ersten Rückschlag erlitten. Vermutlich aus Protest gegen die Entscheidung den Marsch in der nationalistischen Garvaghy' Road, an dem die Situation in den letzten Jahren immer wieder eskaliert ist, zu verbieten, sind die beiden unionistischen Vertreter zurückgetreten. Der Orange-Order hat angekündigt auf jeden Fall zu marschieren, denn das Abkommen würde ja traditionelle kulturelle Rechte festschreiben und schützen.

Schon jetzt hat sich die britische Regierung in eine Zwickmühle manövriert. Sollte sie den Marsch tatsächlich verbieten und verhindern, wird es mit Sicherheit massive Proteste der militanten Unionistlnnen und LoyalistInnen geben. Unter Umständen in einem Ausmaß, der das gesamte Abkommen beenden könnte.

Sollte sie den Marsch allerdings gegen die Proteste der AnwohnerInnen durchsetzen, wie in den letzten beiden Jahren, wird sich die Frage nach der Alternative zur bisherigen Strategie der republikanischen Bewegung für viele Menschen einfach nicht mehr stellen. Dann wird es sie geben.

Quellen: diverse Nummern der Spirit of Resistance