Aktion gegen den ehemaligen kommissarischen Kreishauptmann von Kolomyia und Nazimörder Claus Volkmann/Peter Grubbe

“Wir stellen den Kampf erst ein,
wenn auch der letzte Schuldige
vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen
Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens
und der Freiheit ist unser Ziel!”
(aus dem Buchenwaldschwur 19.4.45)

“Ihr lebt ja wie Engel. Aber bald werdet ihr alle Engel sein.”
(Claus Volkmann bei einem “Besuch” des jüdischen Waisenhauses in Kolomyia)

Wir haben heute an dem Bungalow von Claus Volkmann alias Peter Grubbe, Seeblick Nr.18, 22952 Lütjensee, Tel. 04154/7132, Scheiben zerstört sowie Farbflaschen und Buttersäure in seinem Wohnzimmer als auch an den Hauswänden verteilt. Diese Aktion kann keine angemessene Bestrafung sein für die Verbrechen, die Volkmann/Grubbe zu verantworten hat. Dafür wären andere Aktionsformen notwendig. Neben den Unannehmlichkeiten, die so ein nächtlicher Schrecken mit sich bringt, wollten wir lediglich noch einmal versuchen öffentlichen Druck zu iniitieren, nachdem das Mediengewitter um seine Person im letzten Herbst relativ schnell verklungen war und er jetzt wieder in beschaulicher Ruhe im idylischen Lütjensee seinen “Lebensabend” verbringen kann.

“Menschen mit einer solchen Vergangenheit haben kein Recht, in Ruhe zu sterben.
(S. Wiesenthal

“Meine Geschichte ist doch eine ganz normale deutsche
Geschichte.
”(Volkmann/Grube 1995)

“Im Generalgouvernement als Verwalter des Schlachthauses”
(die “Zeit”)

Volkmann trat mit 19 Jahren am 1.5.33 der NSDAP bei (Mitgl.Nr. 2280558). Nach abgeschlossenen Jurastudium ging er ‘39 als Assessor in die deutsche Verwaltung des von den Nationalsozialisten besetzten sog. Generalgouvernements um Karriere zu machen und um für seine weiteren Aufgaben ausgebildet zu werden. 1940 wurde er zum stellvertretenden Kreishauptmann in Krasnyslaw ernannt.

Ab August 1941 übernimmt er als einer der ersten deutschen Verwaltungsbeamten im bis Sommer 41‘ sowjetisch besetzten Ostgalizien, nun “Generalgouvernement”, den Posten des Kommissarischen Kreishauptmannes für Kolomyia. Er ist damit oberster ziviler Verwalter eines besetzten Gebietes, in dem mehrere hunderttausende Menschen leben, darunter ungefähr 30.000 Juden und Jüdinnen (von denen ca. 15.000 1939 vor den Deutschen nach Kolomyia geflüchtet waren).(...)

Nachdem er sich in einer vormals von Juden und Jüdinnen bewohnten konfeszierten Villa eingerichtet hatte, war eine seiner ersten Maßnahmen die Kennzeichnungspflicht aller jüdischen BewohnerInnen durchzusetzen. Wer den sog. “Davidstern” nicht trug war mit dem Todesurteil bedroht. (...) In den folgenden Monaten bis zu seiner Versetzung im Sommer 42` trug Volkmann die Mitverantwortung für jede Razzia, für jede Massenerschiessung, für jede Deportation in das Vernichtungslager Belzec sowie für das gezielte Verhungernlassen der “arbeitsunfähigen” Juden und Jüdinnen in Kolomyia. (...)

Im Ghetto wurden die Juden und Jüdinnen täglich Opfer der ihre antisemitischen Phantasien auslebenden Nazis. Im Oktober 41‘ findet die erste Massenerschießung statt. 1200 Personen werden zusammengetrieben und im Wald von Szeparowce erschossen. Die Leichengruben hat der Volkmann persönlich unterstellte sog. “Sonder-dienst”, ein aus “Volksdeutschen” bestehender Miliztrupp, ausheben lassen.

Am 23.12.41 werden alle Jüdinnen und Juden mit ausländischem Paß zur Gestapo bestellt und später im Wald von Szeparowce erschossen.(...) Ab März 1942 rollen die Züge der Reichsbahn in die Vernichtungslager Belzec und Kulmhof. So werden am 3. und 4.April 5000 Menschen nach Belzec deportiert, weitere 250 in den Straßen des Ghettos ermordet. Nach Schätzungen waren in der Zeit von Beginn der deutschen Besetzung Kolomyias bis zum ersten Todestransport weit mehr als 5000 Jüdinnen und Juden erschlagen, erschossen oder zu Tode rationiert worden. Volkmann soll persönlich an Selektionen auf dem Marktplatz von Kolomyia teilgenommen haben. (...) In der bei der Untersuchungsstelle für NS-Verbrechen in Tel Aviv vorhandenen Akte über Volkmann, die ihn als Kriegsverbrecher einstuft, finden sich Aussagen Überlebender, daß er persönlich die jüdische Schneiderin Sarah Becher und einen jüdischen Mann namens Brawer erschossen hat. Andere Aussagen bezeugen weitere Morde Volkmanns an “Namenlosen”. Überlebende beschuldigen ihn außerdem, die Liquidierung der ungarischen Juden von Kolomyia angeordnet zu haben. Immer wieder wurde Volkmann von Überlebenden zusammen mit Peter Leideritz, dem Chef der Gestapo in Kolomyia, zu den Leitern des Massenmordes gezählt. Auch Aussagen im Wiener Kriegsverbrecherprozeß von 47 gegen die Schutzpolizei, die in Kolomyia gewütet hat, belasten Volkmann erheblich.

Augenzeugen berichten:

“...Volkmann hat Juden zur Zwangsarbeit eingeteilt. Wer nicht arbeitsfähig war, wurde ins Vernichtungslager geschickt.”

“...er war bestechlich. Gegen Pelze und goldene Uhren von Juden ließ er mit sich reden.”

“...als am 17.10.1941 zehn Juden in der Synagoge verbrannt wurden, sah er sich am nächsten Tag die verkohlten Leichen an.”

“...er hat Menschen mißhandelt. Bei Gestapo-Torturen war er ebenfalls anwesend.”

Im Juni/Juli 42 wird Volkmann wegen Korruption aus seinem Amt in Kolomyia entlassen. Laut Aussagen von Schupos soll er dabei geraubte Wertsachen mitgenommen haben. (...) Er ist ab 1943 zuständig für die Rekrutierung polnischer Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie. 1944 bekommt er für hervorragende diesbezügliche Leistungen das Kriegsverdienstkreuz 1.Klasse verliehen. In Kolomyia vollenden andere Volkmänner die von ihm mitbegonnene Arbeit (...) Am 2.2.43 werden die letzten BewohnerInnen des Ghettos ermordet und das Ghetto aufgelöst. (...)

1945 flieht Volkmann vor der Roten Armee nach Westen und gibt sich dort flugs einen neuen Namen: Peter Grubbe. Unter diesem Namen wird er als “linksliberaler” Journalist und Sachbuchautor Karriere machen. Er gilt als einer der bekanntesten “linksliberalen” Autoren der westdeutschen Nachkriegszeit. Er produziert über 40 Fernsehfilme und schreibt über ein Dutzend Bücher, v.a. über die Situation in Regionen des Trikonts und die Ausbeutung der sog. “dritten Welt” durch die kapitalistischen Metropolen.

Doch aller Anfang ist schwer: Steinberg, Herausgeber der Jugendzeitschrift “Die Zukunft”, für die Volkmann/Grubbe schreibt, hatte bezügl. seiner Vergangenheit Verdacht geschöpft und ihn bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft angezeigt. Grubbe kann sich der Verhaftung entziehen und flieht in die britische Zone. Nur seine damalige Freundin wird inhaftiert, da bei Durchsuchungen Materialien zum Fälschen von Identitätspapieren gefunden wurden. Für die FAZ geht Grubbe von 1948 an als Auslandskorrespondent nach London. Dort arbeitet er ab 53 für die “Welt”, 58 kehrt er nach Deutschland zurück. Ab 63 schreibt er für den “Stern”, später auch für die “Zeit” und produziert für den NDR. Er benutzt in dieser Zeit beide Namen, Volkmann für amtliche Angelegenheiten, Grubbe für seine Karriere; den meisten bleibt seine wahre Identität verborgen. (...)

Auch andere ehemalige Kollegen aus dem sog. “Generalgouverne-ment” machen Karriere. So wird der ehemalige Kreishauptmann und Ghettokommissar Zinder Richter am Bundesverwaltungsgericht. Ein anderer, Schöning, wird Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung.

Doch von 1963-69 ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen Volkmann und 27 andere Verwaltungsschergen aus Kolomyia “wegen Beteiligung an der Endlösung”, Mord sowie Beihilfe zum Mord. 375 Tatkomplexe werden den Angeklagten vorgeworfen. Wie es nahezu die Regel ist in der bundesdeutschen juristischen Aufarbeitung der Shoah und des NS, wurde das Verfahren gegen alle (!) aus “Mangel an hinreichendem Tatverdacht” eingestellt, obwohl die schon erwähnten Aussagen aus Tel Aviv und Wien vorlagen. Zur Begrün-dung heißt es (wie in fast allen NS-Prozessen in der BRD): Die In-dividualisierung der Taten sei unmöglich gewesen. Volkmann/Grube wurde gar zu Gute gehalten, daß ihm als Zivilbeamten nicht klarge-wesen sei, was der Zweck z.B. der Selektionen gewesen war, und dies obwohl Mitarbeiter von ihm, gegen die ermittelt wurde, aussagten, sowohl ihnen als auch Volkmann/Grube sei spätestens im Dezember 41` klargewesen, was sich hinter den Begriffen “Aussiedlung” und “Sonderbehandlung” verbarg. (...)

Volkmann bleibt unbehelligt, obwohl der oben erwähnte Schriftsteller Günther Steinberg Volkmanns Geschichte in dem Kriminalroman “Und nebenbei ein Mord” verarbeitet, in einem Vorwort zur Neuauflage noch einmal auf Volkmanns Doppelidentität hinweist und schließlich 1989 in der DDR-Literaturzeitschrift “Sinn und Form” über das Doppelleben des Peter Grubbe berichtet. Erst Ende September 1995 tritt ein Bericht von Maußhardt in der taz eine Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Kreishauptmann von Kolomyia los. Und nun erleben wir eine erneute Wandlung des Volkmann: Wahrscheinlich inspiriert von dem Kinoerfolg “Schindlers Liste” verwandelte er sich von dem nichts ahnenden, nichts wissenden und bei Deportationen sowie Massenerschiessungen zufällig auf Dienstreisen weilenden Verwaltungsbürokraten der Voruntersuchungen von Darmstadt zum “guten Menschen von Kolomyia”. Jetzt gibt er die Version zum Besten, er habe hunderten von Jüdinnen und Juden zur Flucht über die Grenze nach Ungarn und Rumänien verholfen; er sei nur auf seinem Posten geblieben um Leben zu retten, da potentielle Nachfolger wahrscheinlich nicht so gutmütig wie er gewesen wären. (...) Für diese weiße-Westen-Version gibt es keine Zeugen. Alle Überlebenden belasten Volkmann, allenfalls können sich manche nicht mehr genau erinnern, ob er selber geschossen habe. Es gibt kein Wort der Reue oder des Bedauerns von ihm. Als Verhöhnung der Toten und der wenigen Überlebenden von Kolomyia müssen letztere es empfinden, wenn Volkmann von sich selbst sagt, er habe sich nichts vorzuwerfen und sei mit sich im Reinen.

Simon Wiesenthal forderte im Herbst 95 die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Claus Volkmann wegen Mord und Beihilfe zum Mord. Er habe weiteres umfangreiches belastendes Material. Die Staatsanwaltschaft in Darmstadt wies aber sofort eilig darauf hin, dies habe wenig Aussicht auf Erfolg. So wird es denn wohl kein Verfahren mehr geben gegen den “Verwalter des Schlachthauses”. Aber es darf auch keine Ruhe mehr für ihn geben...

Wir nutzen die Gelegenheit anläßlich unserer Initiative gegen Grubbe/Volkmann die uns bekannten noch lebenden NS-Mörder und Schergen in Hamburg sowie einige ausgewählte bundesweit in einem Anhang zu diesem Schreiben zu “outen”. Dies tun wir in der Hoffnung, daß sich Menschen finden, welche die Vergangenheit der Täter thematisieren und vielfältig aktiv werden, um sie aus ihrer sicheren ruhigen Anonymität zu reißen: Information der Nachbarschaft, Flugblätter, Kundgebungen, direkte Aktionen, etc.; der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Unserer Meinung nach stellt die Nichtbeschäftigung bzw. Ignoranz gegenüber den TäterInnen des NS und ihrer Verbrechen einen großen Fehler dar der Radikalen Linken, welche sich ab Mitte der sechziger Jahre formierte. Obwohl die Beschäftigung und Thematisierung mit dem NS als eine der Triebfedern der sog. 68er zu Protest und Widerstand angesehen wird, hatte dies praktisch allerdings wenig Auswirkungen. Tausende von TäterInnen waren bekannt und einfach aufzuspüren, dennoch gab es kaum Aktionen oder Initiativen gegen sie. Die NS-Prozesse, die in jeder größeren Stadt liefen, blieben von der Linken größtenteils unbeachtet. Bei den Demonstrationen anläßlich der Prozesse z.B. gegen Lischka etc. in Köln oder Asche in Kiel (zur Person Asche siehe Anhang) blieben die Überlebenden des Terrors unter sich. Von ihnen wurde in den Gerichtssälen akribische Beschreibungen ihrer entsetzlichen Erlebnisse in den Lagern gefordert, um den Tätern individuelle Verbrechen nachzuweisen, oft genug von Nazi-Verteidigern oder wieder in Amt und Würden eingesetzten ehemaligen NS-Richtern. Während viele sog. “Opfergruppen” auch jetzt noch keine Entschädigungen oder Renten erhalten, werden den ehemaligen SS-Angehörigen, Blutrichtern u.a. ohne Problem z.T. opulente Gelder gezahlt. Die CDU lädt gar einen ehemaligen NS-Militärrichter als Sachverständiger in der Anhörung des Bundestages zur Rehabilitierung und Entschädigung der überlebenden Opfer der NS-Militärjustiz. Die Radikale Linke überließ die Abrechnung mit den TäterInnen ausgerechnet der deutschen Justiz mit der nicht überraschenden Konsequenz, daß seit 1945 von den 107.000 Personen, gegen die ermittelt wurde, gerade mal 6500 rechtskräftig verurteilt wurden (davon lediglich knapp 800 wg. “Tötungsdelikten”), meist zu Bagatellstrafen.

Auch für die verschiedenen Guerillagruppen in der BRD der 70er und 80er Jahre waren die Verbrechen der NS-Mörder überwiegend kein Thema. Die RAF z.B. ließ die Möglichkeit, an der Person des Nazischweins Schleyer faschistische Kontinuitäten in der Machtelite aufzuzeigen, ungenutzt.

Genauso gab es 1995, dem “Gedenkjahr”, von einigen verdienstvollen Ausnahmen abgesehen, neben nervenaufreibenden (z.T. kontraproduktiven) Diskursen über antinationale Politik etc. wenig Praxis, das Feld wurde den Herrschenden überlassen.

Die Mörder leben unter uns - unbehelligt und in friedlicher Ruhe. Der Schleier des Vergessens ist ein Hohn gegen die Opfer - die Überlebenden wie die Millionen Ermordeten.

Den 51.Jahrestag der Befreiung vom Faschismus haben wir zum Anlaß genommen, diesen Schleier ein wenig zu lüften und die Ruhe des Nazimörders Volkmann/Grube zu stören.

Antifaschistische Zelle “Kein Vergeben - Kein Vergessen!”

Lütjensee, 17.5.96

Anhang