Freiheit für Benjamin Ramos Vega

Am 28.1.1995 wurde Benjamin Ramos Vega, der ein knappes Jahr zuvor aus Barcelona geflohen war und illegal in Berlin lebte, von einem Sondereinsatzkommando in Zusammenarbeit mit der spanischen Polizei verhaftet. Er sitzt seitdem in Berlin-Moabit in Isolationshaft. Der spanische Staat wirft ihm die “Unterstützung” der ETA vor und fordert seine Auslieferung. Um die Auslieferung gibt es einen langen politischen und juristischen Konflikt. Der Kern dieser Auseinandersetzung ist die inzwischen gerichtlich anerkannte Tatsache, daß die Anklage gegen Benjamin aus Beweisen besteht, die die spanische Guardia Civil durch die Folterung eines politischen Gefangenen erpresst hat. Das Berliner Kammergericht hatte trotzdem unter dem politischen Druck aus Bonn und Madrid die Auslieferung für rechtmäßig erklärt.

Benjamin trat daraufhin in einen unbefristeten Hungerstreik, den er am 12.1.96 unterbrach, nachdem seine Anwältin eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hatte. Während des Hungerstreiks kam es zu internationalen Protestaktionen, in Bilbao und Donosti wurden die deutschen Konsulate besetzt, es gab Demos und Kundgebungen in Barcelona und Bilbao.

Die Beschwerde der AnwältInnen von Benjamin gegen dieses Urteil wird aktuell vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht verhandelt. Es geht dabei zentral um die Frage, ob unter Folter erpresste Beweismittel vor Gericht verwendet werden dürfen oder nicht. Sollte das BVG das Urteil des Kammergerichts aufheben, würde das Verfahren zurückverwiesen und müßte neu verhandelt werden. Falls das BVG das Urteil bestätigt, ist der Vollzug der Auslieferung keine juristische, sondern eine rein politische Frage, die vom Bundesjustizministerium entschieden wird. Das würde mit großer Wahrscheinlichkeit die sofortige Auslieferung bedeuten. Mit einer Entscheidung ist demnächst zu rechnen.

DIE PCE-I

Benjamin kommt aus einer ländlichen Gegend an der portugiesischen Grenze. Anfang der 70er Jahre zog seine Familie auf der Suche nach Arbeit in die Nähe von Barcelona ins industrialisierte Katalonien, wo Benjamin sich als Jugendlicher an den antifaschistischen Kämpfen beteiligte. Er bekam Kontakt zu der damals relativ starken PCE-Internacionalista, einer linken Abspaltung der kommunistischen Partei, die unter ImmigrantInnen und in den Arbeiterbasiskomitees der Großbetriebe in Katalonien verankert war. Die PCE-I unterstützte offensiv die nationalen Befreiungsbewegungen, die gegen den spanischen Zentralstaat kämpften. Besonders wichtig war die Solidarität mit der Frente Polisario in der Westsahara und der MCAIAC (“Bewegung für die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung des Kanarischen Archipels”), aber auch zu den Unabhängigkeits-bewegungen auf dem Festland, im Baskenland, in Galizien und Katalonien, bestand im Unterschied zur PCE ein solidarisches Verhältnis. Die Partei machte mehrere Sprengstoffanschläge und agierte militant auf der Straße. 1978 kam es zu einer schweren Repression: um die 80 Parteimitglieder wurden verhaftet und bei Demos wurden Leute erschossen. Viele gingen in die Illegalität oder ins Exil in arabische Länder.

DIE KATALANISCHE UNABHÄNGIGKEITSBEWEGUNG

Die neue katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die für ein “unabhängiges, sozialistisches und basisdemokratisches” Katalonien kämpfte, entstand in dieser Zeit. Katalonien hat zehn Millionen EinwohnerInnen und eine eigene Sprache. Es liegt an der Ostküste und umfasst ein Gebiet von Perpignan in Frankreich bis Valencia im Süden, zusätzlich noch die balearischen Inseln. Während der Zweiten Republik von 1931 bis 1939 war Katalonien autonom, im Franco-Faschismus wurden die KatalanInnen blutig unterdrückt. 1978 erhielten sie, ähnlich wie das Baskenland, Galizien oder Andalusien, regionale Autonomie.

1980 gründete sich die bewaffnete Organisation Terra Lliure (“Freies Land”), die mit jährlich bis zu 40 Aktionen gegen ökonomische und militärische Institutionen des spanischen Staates in Katalonien vorging. Das 1983 entstandene linke Bündnis MDT (“Bewegung zur Verteidigung des Landes”), dem sich Terra Lliure politisch zuordnete, konnte Mitte der 80er Jahre Zehntausende auf ihre Demos mobilisieren.

In Katalonien gab es zu dieser Zeit eine starke Solidarität mit dem Kampf im Baskenland. Für die geschwächte PCE-I, deren Gefangene sich im Knast mit den baskischen Gefangenen solidarisierten und nach ihrer Entlassung teilweise zur ETA gingen, spielte das eine zentrale Rolle. Benjamin beteiligte sich 1986 an einer Wahlkampagne für die baskische Partei Herri Batasuna (“Einheit des Volkes”) in Katalonien, er besuchte regelmäßig baskische Gefangene und fuhr jedes Jahr zu der großen Solidaritätsdemo vor dem Hochsicherheitsknast Herrera La Mancha, wo zeitweise bis zu 600 baskische Gefangene saßen.

1987 setzte ein Prozeß von Spaltung in der katalanischen Bewegung ein. Eine Minderheit setzte sich für ein Zusammengehen mit bürgerlich-nationalistischen Kräften und den Eintritt in die sozialdemokratische Parlamentspartei ERC (“Republikanische Linke Kataloniens”) ein, während für die Mehrheit innerhalb des MDT und Terra Lliure die soziale Befreiung der Kern des Unab-hängigkeitskampfes und deshalb ein Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie ausgeschlossen blieb. Dieser Teil, der sich in der FRC (“Revolutionäre katalanische Front”) zusammenschloß, sah die Perspektive im gemeinsamen Kampf mit anderen linken Bewegungen.

Pep Muste, ein im März 1996 freigelassener katalanischer Gefangener, sagte in einem Interview dazu: “Der Kampf für Unabhän-gigkeit und Sozialismus ist kein Kampf, der durch einen einfachen Bruch charakterisiert wird. Man kann den Unabhängigkeitskampf nicht auf das simple Erlangen der Souveränität der Paisos Catalanes reduzieren. Vielmehr leitet sich dieser Kampf von einem Wertesystem ab, das Freiheit, Gleichheit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit umfasst, den Erhalt der Natur, die Entfaltung einer menschlichen Kultur, die Realisierung der Menschenrechte. Der Kampf richtet sich gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und für eine Gesellschaft, in der die Menschen die Probleme demokratisch und rational lösen können”.

ETA IN KATALONIEN

Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung bei der Spaltung der katalanischen Bewegung war die Frage des Verhältnisses zum baskischen Unabhängigkeitskampf. Als das Kommando Barcelona der ETA 1987 in einem ArbeiterInnenviertel in Barcelona eine Bombe in einem Supermarkt zündete und damit 23 Menschen tötete, kam es zu einer breiten Entsolidarisierung: eine halbe Million Menschen, darunter auch Linke, demonstrierten in Barcelona gegen den terroristischen Anschlag. Die Selbstkritik und Entschuldigung der ETA bei der katalanischen Bevölkerung konnten nicht ändern, daß die Solidarität mit dem baskischen Unabhängigkeitskampf in der katalanischen Linken eine absolute Minderheitsposition wurde, die auch heute noch schnell zur politischen Isolation führt.

Das baskische Kommando wurde festgenommen, aber bis 1994 setzten neue ETA-Kommandos, an denen auch KatalanInnen beteiligt waren, die Aktionen in Katalonien fort. Weitere ZivilistInnen kamen dabei zu Tode, zuletzt starb im Dezember 1995 eine Frau durch eine Bombe in einen Einkaufszentrum in Valencia. Derartige Aktionen verstärkten die Distanz und auch den Haß gegenüber der ETA bis in die katalanische Linke hinein.

1991 griff das Kommando Barcelona einen Militärstützpunkt im katalanischen Vic mit einer Rakete an, zehn Menschen, Militärs und ihre Angehörigen, starben. Kurz darauf kam es zu einer Schießerei zwischen dem Kommando und der Polizei in der Nähe von Benjamins Wohnort. Ein katalanisches ETA-Mitglied wurde erschossen, einen angeschossenen Basken ließ die Polizei mehrere Stunden ohne ärztliche Hilfe, so daß er verblutete. Benjamin arbeitete in der Kommission zur Aufklärung der Todesumstände mit.

Im April 1994 wurde das dritte Kommando Barcelona, das mehrere Bomben- und Raketenangriffe gegen das Olympische Dorf und staatliche Gebäude gemacht hatte, zerschlagen. Die Polizei verhaftetete in Barcelona Pipe, ein ehemaliges Führungsmitglied von Herri Batasuna, der sich seiner Festnahme wegen “Unterstützung der ETA” durch den Gang in die Illegalität entzogen hatte. Unter der fünftägigen Folter nannte er die Adresse zweier Wohnungen, in denen die Polizei laut eigenen Angaben dann Sprengstoff und Waffen fand. Die Mietverträge für diese Wohnungen hatten Benjamin und seine deutsche Lebensgefährtin unterzeichnet. Benjamin ging in die Illegalität und wurde neun Monate später, im Januar 1995, in Berlin verhaftet. Einige Tage danach wurden in Katalonien weitere elf Leute festgenommen. Viele von ihnen sind ehemalige Mitglieder der PCE-I; sechs von ihnen sitzen bis heute in Untersuchungshaft. Heute sind fast alle katalanischen politischen Gefangenen nicht wegen “Mitgliedschaft in Terra Lliure”, sondern aufgrund ihrer Solidarität mit dem baskischen Unabhängigkeitskampf inhaftiert und gehören größtenteils, wie auch Benjamin, dem baskischen Gefangenenkollektiv an. Terra Lliure führte 1992 ihre letzten Aktionen gegen die Olympischen Spiele und die 500. Jahrfeier der Conquista in Barcelona durch. In diesem Zusammenhang wurden um die 50 Leute verhaftet. Einige von ihnen wurden zu VerräterInnen und kamen so auf dem Weg der “Wiedereingliederung” frei. In einem großen KronzeugInnenprozeß gegen 25 KatalanInnen 1995 wurden Pep Muste und Joan Rocamora, die seit 1992 in Untersuchungshaft saßen, wegen “Mitgliedschaft” in Terra Lliure zu über 90 Jahren Knast verurteilt. Nach den Wahlen im März 1996 wurden sie begnadigt. Die Repression führte zu einer weitgehenden Auflösung der Strukturen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die ohnehin schon durch die Spaltung geschwächt worden waren.

SCHMUTZIGER KRIEG GEGEN BASKISCHE FLÜCHTLINGE

Die Verhaftung von Benjamin fiel genau in eine Zeit, in der sich die Verstrickung des gesamten Polizeiapparates und der PSOE-Regierung in die Aktivitäten der Todesschwadronen GAL (“Antiterroristische Befreiungsgruppen”) nicht länger verheim-lichen ließ. Die GAL führte von 1983 bis 1987 im Auftrag der PSOE-Regierung und des Militärgeheimdienstes CESID hunderte Anschläge und mindestens 28 Morde im spanischen und besonders französischen Baskenland durch. Der Terror richtete sich hauptsächlich gegen die etwa 700 baskischen Flüchtlinge, die im französischen Baskenland lebten. Sie galten der spanischen Regierung als Basis der ETA, auf die sie aufgrund der französischen Weigerung, die baskischen Flüchtlinge auszuliefern, jedoch keinen Zugriff hatten. Der Einsatz der Todesschwadronen war Bestandteil einer modernen Strategie gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung, des sogenannten Plan ZEN, der 1983 im Auftrag der sozialdemokratischen spanischen Regierung u.a. vom ehemaligen Hamburger Verfassungsschutzpräsident Hans Horchem (auch Sozialdemokrat) ausgearbeitet worden war.

Als Frankreich 1986 begann, im Rahmen der “europaweiten Terrorismusbekämpfung” systematisch gegen die Flüchtlinge vor-zugehen, stellte der spanische Staat im Gegenzug die Terroraktionen der GAL auf französischem Territorium ein. Die Todesschwadronen hatten ihr Ziel erreicht: seitdem wurden über 300 Flüchtlinge an den spanischen Staat ausgeliefert, über 60 inhaftiert, über 80 in die Bretagne verbannt und unter Hausarrest gestellt, über 50 in afrikanische und lateinamerikanische Länder deportiert. Die etwa 2000 baskischen Flüchtlinge leben heute klandestin in vielen verschiedenen Ländern. Sobald sie vom spanischen Geheimdienst, der ein weltweit operierendes “Flüchtlingsjäger-Kommando” unterhält, lokalisiert werden, stellt der spanische Staat ein Auslieferungsbegehren, dem in der Regel auch stattgegeben wird. Sollte es “Schwierigkeiten” geben, wird allerdings zu altbewährten Methoden gegriffen: 1992 wurden drei baskische Flüchtlinge aus Nicaragua entführt und mit einer Militärmaschine nach Madrid geflogen, weil sie als nicaraguensische Staatsbürger nicht ausgeliefert werden konnten. Als 1994 ein belgisches Gericht ein spanisches Auslieferungsbegehren für zwei baskische Flüchtlinge aussetzte, gab es drei Bombendrohungen gegen belgische Bahnhöfe im Namen der ETA. Der belgische Innenminister sagte jedoch, die Bombendrohungen stammten “mit Sicherheit nicht von der ETA”. Ebenfalls 1994 erzwang ein brutaler Polizeieinsatz die Auslieferung dreier im Hunger- und Durststreik befindlicher Flüchtlinge aus Uruguay. Die Polizei schoß auf eine Demo mit 10 000 Leuten gegen die Auslieferung, zwei Menschen starben und hunderte wurden verletzt. Der spanischen Polizei hatten die uruguayischen Kollegen eine ganze Polizeiwache direkt am Einsatzort überlassen. Desweiteren versuchten “Unbekannte” die Sprecherin der baskischen Flüchtlinge in Uruguay mit einer Bombe zu töten. Schon 1989 hatten “Unbekannte” mit spanischen Dialekt zwei baskische Flüchtlinge in Uruguay entführt und gefoltert. Ein Jahr später wurden die beiden in Frankreich erneut verhaftet, und zwar von einem ihrer damaligen Entführer, dem spanischen Geheimdienstoffizier und Chef des “Flüchtlingsjäger-Kommandos” Carlos Fuentes, gegen den inzwischen wegen der Morde der GAL ermittelt wird. Daß der “schmutzige Krieg” nicht der Geschichte angehört, sondern als Option immer vorhanden ist, das zeigt die Drohung von Felipe Gonzales nach der ETA-Offensive letzten Winter: “Wenn die Attentate nicht aufhören, kann ich für nichts garantieren”.

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT

Die reibungslose Auslieferung von Oppositionellen ist ein zentrales Ziel nicht nur Spaniens, sondern aller imperialistischen Staaten. Seit den 70er Jahren werden systematisch die Rechte politischer Flüchtlinge abgebaut, um Auslieferungen mittels internationaler Abkommen wie das von der BRD initiierte “Antiterrorismusübereinkommen” von 1977 zu vereinfachen. In den TREVI-Konferenzen, den Ministerrunden der Schengener Vertragsstaaten und inzwischen auch mittels der Europol-Behörde wird gerade in letzter Zeit intensiv an der Umsetzung dieser Politik gearbeitet.

Im Oktober 1995 trafen sich die TREVI-Minister auf der zum spanischen Staat gehörenden Kanarischen Insel La Gomera und beschlossen, die internationale Zusammenarbeit der Polizei- und Justizapparate “zur Überstellung terroristischer Straftäter” zu verbessern. Auf dem Treffen der EU-Regierungschefs im Dezember 1995 in Madrid stand neben anderem auch die Bekämpfung der ETA auf dem Programm. Die “für Terrorismus zuständigen Minister” der G7/P8 Staaten, die sich Mitte Dezember in Ottawa trafen, beschlossen, sich für die “Harmonisierung der Gesetzgebungen im Bereich der Rechtshilfe und Auslieferung” einzusetzen. Schließlich berief der spanische Staat im Januar dieses Jahres ein Sondertreffen der Schengen-Staaten zur “Verstärkung der Terrorismusbekämpfung” ein.

Reibungslose Auslieferungen?

So reibungslos, wie sich Politiker und Geheimdienste das vorstellen, laufen die Auslieferungen bisher noch nicht. Eine Bedingung dafür wäre die Leugnung von Menschenrechtsverletzungen und Folter innerhalb der EU. Vor allem einige Gerichte beugen sich nicht ohne weiteres diesen politischen Vorgaben, was jeweils zu offenkundigen politischen und diplomatischen Querelen führte:

Anfang Februar stoppten belgische Justizbehörden die Auslieferung der baskischen Flüchtlinge Luis Moreno und Raquel Garcia, die der Justizminister Mitte Januar 1996 verfügt hatte. Luis und Rakel waren bereits 1992 nach Belgien geflohen, nachdem ihnen von den spanischen Behörden vorgeworfen wurde, ein ETA-Kommando versteckt zu haben. In Belgien wurden sie als politische Flüchtlinge anerkannt und konnten dort legal leben und sich frei bewegen. Mitte Januar 1996 wurden die beiden dann auf Weisung des Justizministers von belgischen Bullen festgenommen. Der “Raad van State”, das juristische Beratungsorgan des Parlaments, machte dem Justizminister allerdings einen Strich durch die Rechnung, indem es den Auslieferungsbeschluß wieder außer Kraft setzte. Bereits der belgische Gerichtshof hatte in einer Entscheidung anerkannt, daß die BaskInnen in Spanien nicht mit einem rechtsstaatlichen Verfahren, dafür mit Folter zu rechnen hätten. Die belgischen Justizbehörden beschlossen daraufhin, Luis Moreno und Raquel Garcia vorerst nicht an Spanien auszuliefern und ließen sie wieder frei.

In Spanien wurde daraufhin der belgischen Botschafter einbestellt und die weitere juristische Zusammenarbeit beider Staaten ausgesetzt. Auf Betreiben Spaniens wurde eine außerordentliche Konferenz der Schengen-Staaten einberufen, in der es vor dem Hintergrund der Entscheidung in Belgien ausschließlich um Auslieferungsfragen ging.

Im Fall von Benjamin hatte das Berliner Kammergericht im Oktober 1995 offiziell die Einhaltung der Menschenrechte in Spanien angezweifelt und deshalb die Auslieferung von konkreten Garantien der spanischen Behörden abhängig gemacht: Benjamin solle nicht in Isolationshaft kommen, eine angemessene medizinische Versorgung erhalten (Benjamin ist HIV-positiv) und in einem Verfahren sollten die unter Folter zustandegekommenen Aussagen keine Verwendung finden dürfen. Der Beschluß erregte in der spanischen Öffentlichkeit großes Aufsehen. Der deutsche Botschafter wurde einbestellt und der spanische Innenminister verlangte Gesetzes-Änderungen in der Bundesrepublik, falls Benjamin nicht ausgeliefert würde. Die spanischen Behörden legten ein Papier vor, das die konkreten Foltervorwürfe in Spanien leugnete und die geforderten Garantien nicht abgab. Rechtzeitig vor dem Ende der spanischen EU-Präsidentschaft beugte sich das Kammergericht Berlin im Widerspruch zu seinem eigenen Beschluß vom Oktober dem politischen Druck und erklärte die Auslieferung für rechtmäßig. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich aber wiederum auf den Beschluß des Berliner Kammergerichts vom Oktober 1995 und geht davon aus, daß in Spanien gefoltert wird.

Im Gegensatz dazu leugnet sowohl die spanische als auch die deutsche Regierung gegenüber dem Kammer- und dem Bundesverfassungsgericht jegliche Menschenrechtsverletzungen in Spanien und bezeichnet die Folter, zuletzt in einer Stellungnahme des deutschen Außenministeriums, als “Propaganda der ETA”. Drei Tage später wurde der Bericht der Antifolterkommission des Europarates über die Menschenrechtssituation in Spanien veröffentlicht. Spanien war neben der Türkei der einzige Staat, der die Veröffentlichung des Berichts bislang verweigert hatte. Nicht ohne Grund. Das über 200 Seiten starke Papier bestätigt die Vorwürfe, die von amnesty international oder der UNO-Menschenrechtskommission seit Jahren gegen den spanischen Staat erhoben werden: in den Kasernen und Gefängnissen der Guardia Civil werden Gefangene, die mit ETA-Vorwurf festgenommen wurden, systematisch mißhandelt und gefoltert. Die Folterpraktiken gehen von Elektroden im Genitalbereich über Betäubungsgas bis zu Plastiktüten, die den Gefangenen bis kurz vor dem Erstickungstod über den Kopf gezogen werden. Die Aussagen von Folteropfern wurden in dem Bericht ausdrücklich für glaubwürdig erklärt.

Schreibt an:

Benjamin Ramos Vega
Buchnr. 501/95-3
Alt Moabit 12a
10559 Berlin

Aus der Abbrucherklärung:

“Ich kann nicht aufhören, daran zu denken, was mich im monarchistischen spanischen Staat erwartet, wo die Strategen und Baumeister des Terrors die gefangenen Genossinnen und Genossen unmenschlichen Haftbedingungen unterwerfen und nicht einmal ihre eigenen Gesetze beachten, wenn es gegen die Opposition geht. Es sind die Faschisten, diese spanischen Nationalisten, die mitansehen mußten, wie ihre heiligen, unantastbaren Grenzen in den letzten 98 Jahren verändert wurden (Kuba, Puerto Rico, Marokko, Guinea, Sahara (alles ehemalige spanische Kolonien, die der spanische Staat durch Kriegsverluste oder Befreiungskämpfe verloren hat, die Red.)), die zusammen mit ihren Kollaborateuren den Terror, die Folter und das langandauernde Leiden zur Verfügung haben und benutzen, immer auf der Suche nach den Grenzen der menschlichen Existenz.”