Zur Beendigung des Waffenstillstands durch die IRA

“Nur sehr widerstrebend gibt die Führung von Oglaigh na hEireann (IRA) bekannt, daß die komplette Aussetzung aller militärischen Operationen am 9.Februar um 18.00 Uhr enden wird.”

In der Nummer 151 (Dez.‘94) hatten wir einige Aspekte der einseitigen Waffenstillstandserklärung der IRA vom 31.8.94 dargelegt.

Unmittelbar nach der Beendigung führte die IRA in London eine Aktion durch. Dazu erreichten uns einige kritischen Anmerkungen, die wir weiter unten abdrucken. Zuvor wollen wir kurz die wichtigsten Knackpunkte darlegen, die letztlich dazu geführt haben werden, daß die IRA ihre Waffenstillstandserklärung aufgehoben hat. Laut einem Artikel in der jw vom 29.5.96 gibt es wieder neue Spekulationen, daß die IRA erneut einen Waffenstillstand erklären wird.

* Die Frage der Gefangenen:

Weder hat es eine größere Verlegung von Gefangenen nach Nordirland gegeben, noch wurden die Haftbedingungen erträglicher.

Im November ‘95 wurden zwar mediengerecht 84 Gefangene entlassen, von denen allerdings eh nur 29 republikanisch waren. Die meisten der Freigelassenen wären eh in Bälde entlassen worden.

Im Gegensatz dazu wird im Juli 95‘ der britische Fallschirmjäger Clegg vorzeitig aus dem Knast entlassen. Gerade erst 1990 war er zu “lebenslänglich” wegen Mordes an einem katholischen Mädchen verurteilt worden.

Im November wird er zum Gefreiten befördert und darf somit ausbilden.

* Die Frage der Waffen:

Immer wieder hat die britische Regierung darauf beharrt, die IRA solle zuerst ihre Waffen abgeben, erst dann könne sich mit der Sinn Fein an einen Tisch gesetzt werden.

Zuletzt hatte eine internationale Kommission (bestehend aus einem US-Senator, dem ehem. finnischen Ministerpräsidenten und dem Chef des kanadischen Verteidigungsstabes, der der Befehlshaber während der Auseinandersetzungen mit den Mohawks gewesen war) im Januar ‘96 sofortige Gespräche empfohlen “ohne Vorbedingungen”, dies wurde von der britischen Regierung ignoriert. Das eine Waffenabgabe nicht in Frage kommt, hat die IRA immer wieder erklärt, dies haben auch Sinn Fein und sowieso Teile der Community immer als Selbstverständlichkeit herausgestellt.

Natürlich will die Bewegung nie wieder in eine Situation geraten, wie Ende der 60er Jahre, als die IRA nicht in der Lage war, die nationalistischen Viertel vor den Angriffen von LoyalistInnen und Polizeikräften zu schützen (siehe auch Nr.143, zur Entstehung der IRA).

Uneinigkeit besteht natürlich auch in der Thematisierung der britischen Waffen: Sinn Fein fordert unmißverständlich deren Abzug und begreift die britischen Waffen als Teil des Konfliktes, während die brit. Regierung lediglich IRA auf der Einen und loyalistische Paramilitärs auf der anderen Seite sieht. Diese wiederrum sehen in jedem klitzekleinsten Zugeständnis (wie zb. das irgendein nordirisches Unternehmen angekündigt hat auf den UNION JACK im Firmenwappen zu verzichten) sofort den Untergang des unionistischen Territoriums. Beharren tun sie natürlich auch auf der Sichtweise - erst gibt die IRA die Waffen ab und “dann schau`n mer mal” was wir mit unseren Waffen machen.

* Die Frage des Rückzugs:

Die britische Regierung hat im vergangenen Jahr nichts unternommen, um die Situation im Norden Irlands konkret zu verändern. Weiterhin sind etwa 17.000 britische Soldaten im ganzen Norden stationiert, für die es eine Frage von Stunden oder Tagen ist, die alte Situation wieder herzustellen: Straßensperren zu errichten, massiv zu patrouillieren und die Bevölkerung wieder zu kontrollieren.

Eine Umstrukturierung oder sogar Auflösung der RUC steht absolut nicht auf der Tagesordnung. Es kam immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen, Mißhandlungen und die RUC selbst zählt in einem Bericht vom November auf, daß in dem Jahr nach dem Waffenstillstand über 100 Plastikgeschosse verschossen und dabei acht Menschen z.T. schwer verletzt wurden.

* Die Frage der Aktionen:

Sich auf einen Friedensprozeß einzulassen geschah natürlich innerhalb der republikanischen Community nicht widerspruchsfrei.

Die INLA beispielsweise erklärte von Anfang an, daß für sie der Waffenstillstand nicht bindend sei, allerdings ist sie aufgrund ihrer desolaten (sowohl der politischen wie auch der personellen) Situation nicht in der Lage, Aktionen durchzuführen.

Zum Jahreswechsel 95/96 wurden in Belfast 5 Drogendealer erschossen. Verantwortlich dafür zeichnete sich eine Gruppe “Direct Action against Drugs” - in den Medien (auch den deutschen) wird allerdings die IRA dafür verantwortlich gemacht.

Am 10.November wurde in Südirland ein LKW gestoppt, in dem 150 kg Sprengstoff gefunden werden.

Auch dies verweist darauf das jede unakzeptable Bedingung die die engl. Regierung in der Vergangenheit stellte, die Bereitschaft innerhalb Teile der republikanischen Community erhöhte, den Kampf wieder aufzunehmen.

* Zur irischen Regierung:

Bis Mitte 1995 vertrat die irische Regierung offen entgegengesetzte Postionen zu der britischen Regierung. London sollte sich in der Gefangenenfrage bewegen und aufhören, die Waffenabgabe der IRA als Vorbedingung für Gespräche mit Sinn Fein-Beteiligung machen. Zwei Gipfeltreffen wurden im 2.Halbjahr von der irischen Regierung abgesagt.

Doch dies hatte sich zuletzt gewandelt. Seit dem sog. Hume/Adams-Plan von Herbst 1993 (siehe Nr.151) war die ehemalige und auch die aktuelle irische Regierung im Gespräch mit der Sinn Fein gewesen und wurden neue Schritte gemeinsam vordiskutiert. Doch nun ist Sinn Fein von Gesprächen der irischen Regierung ausgeschloßen.

Es wird spekuliert ob dies nicht auch mit Clinton‘s Besuch im November 95‘ zu tun hatte, desweiteren ist es natürlich sowieso eine Frage wie lange eine irische Regierung es wirtschaftlich und politisch durchhalten kann einen Anti-Kurs gegenüber England durchzuhalten.

* Fazit:

Sämtlichste Grundlagen waren im Laufe des 95‘er Jahres für eine weitere politische Entwicklung auf dem Verhandlungswege zunächst einmal entzogen - die britische Regierung vertrat größtenteils wieder offen rein loyalistische Positionen und bestand mit der vorrauseilenden Waffenabgabe durch die IRA auf einer symbolischen Kapitulation durch die republikanische Bewegung. Das Kräfteverhältnis wurde durch den Kurswechsel der irischen Regierung nocheinmal ungünstiger.

Schließlich ist auch das Verhältnis zwischen Sinn Fein und der IRA kein Bündnis, in dem nur eine einzige Option verfolgt werden würde. Sinn Fein steht im Kreuzfeuer zwischen den Fronten - parteiinterne KritikerInnen die ihre Linie für zu verwaschen und kompromißlerisch halten, andererseits werden sie beständig von den anderen Parteien mit denen sie ins Gespräch kommen will, dazu gedrängt auf die IRA Druck auszuüben, so wurden die Äußerungen von Gerry Adams (SF) kurz vor dem Clinton-Besuch immer schwammiger bezügl. einer Waffenabgabe.

In einem Interview mit AP/RN vom 15.Februar äußert ein/e SprecherIn der IRA folgendes:

Die IRA ist vor dem 9.Februar zu der Überzeugung gekommen, daß es nicht einmal den Anschein der Hoffnung gegeben hat, daß Britannien und damit auch die unionistischen Führungen zur Zeit ansatzweise an positiven Entwicklungen beteiligt sind. Wir können nicht einen Schwindel mittragen, dessen Zweck die eigene Kapitulation ist.”

(Die meisten Infos entstammen aus einem Artikel aus “Spirit of Resistance, Nr.4”. Zu beziehen über “Irland-Gruppe, c/o Infoladen Anschlag, Heeper Str.132, 33607 Bielefeld)


Zur Kritik an den IRA Aktionen

Die ersten Aktionen der IRA nach der Wiederaufnahme haben hier, aber vor allen Dingen innerhalb der republikanischen Bewegung dieselben Diskussionen und dieselbe Kritik ausgelöst, wie bei ähnlichen Aktionen in den Jahren zuvor. Insgesamt gesehen geht es dabei um die Planung von Angriffen auf zivile Ziele vor allen Dingen in England selbst und den Umgang mit telefonischen Warnungen, die, und das weiß die IRA mittlerweile ganz genau, von den englischen Behörden meist zumindest z.T. ignoriert werden.

Die Bombe auf der Isle of Dogs in London am 9.Februar tötete zwei völlig unbeteiligte Zivilpersonen und verletzte über hundert. Im folgenden der Ablauf des Abends aus Sicht der IRA:

Um 17.30 haben wir das Ende der Aussetzung erklärt. Um 17.35 gab es auf beiden Seiten der irischen See mehrere Warnungen an verschiedene Stellen. Es gingen auch Warnungen direkt nach South Quay, Canary Wharf. Wir wiesen darauf hin, daß um 19 Uhr eine große Bombe in South Quay explodieren wird und forderten die völlige Evakuierung. Wir haben die Warnungen bis um 19 Uhr fortgesetzt. Um 19.01 explodierte die Bombe. Keine 200 Yards von dem von uns angekündigten Standort der Bombe, starben zwei Menschen in einem Geschäft. Wir haben die Situation beschrieben und sie kann unabhängig geprüft werden. Die britischen Kräfte müssen erklären, warum sie Menschen nach vollen 91 Minuten erlaubt haben, in der unmittelbaren Nähe einer Bombe zu bleiben, vor der sie nicht nur gewarnt waren, sondern die sie auch schon lokalisiert hatten.” (Interview mit einer Person des Generalhauptquartiers der IRA, AP/RN 15. Februar 1996)

Diese Darstellung wird übrigens im großen und ganzen von den britischen Behörden bestätigt, vor allen Dingen daß der genaue Standort der Bombe bekannt war. Eine Erklärung für die Nicht-Evakuierung gibt es allerdings nicht, es sei denn, angeblich zu wenig Zeit rechtfertigt es, erst gar nicht mit einer Evakuierung zu beginnen.

Bei dieser Sichtweise behält die IRA natürlich Recht, die zivilen Opfer dem britischen Nichtreagieren auf Warnungen zuzuschieben. Allerdings, und genau da setzt die Kritik an, ist diese Sichtweise verkürzt. Die militärisch Verantwortlichen innerhalb der IRA müssen sich zur Zeit fragen lassen, warum denn überhaupt Aktionen geplant werden, bei denen eine extreme Gefährdung von Unbeteiligten existiert und sich auf die Reaktionen der Briten verlassen werden muß, um so eine Gefährdung wieder aufzuheben.

Die Argumentation, die zivilen Opfer bedauert, gleichzeitig aber solche Aktionen für notwendig hält ist vielschichtig. Vorneweg: Wir glauben auch, daß die IRA bemüht ist, zivile Opfer zu vermeiden bzw. eine Gefährdung Unbeteiligter zu minimieren, egal ob bei Angriffen auf militärische oder ökonomische Ziele, egal ob in England, im Norden Irlands oder auf dem europäischen Festland.

In der aktuellen politischen Situation für die republikanische Bewegung ist es für die IRA eine Notwendigkeit militärische Aktionen in England durchzuführen. Und in dieser Entscheidung steckt drin, daß zivile Opfer nicht auszuschließen sind, so eine Argumentation. Es gibt weder eine Alltagssituation wie in Belfast, in der die militärischen Ziele auf der Straße klar auszumachen sind, noch sind die IRA-Einheiten in der Lage sich in England so zu bewegen wie im Norden Irlands, von der eingeschränkten Logistik ganz zu schweigen.

Die politische Situation vor dem 9. Februar ist für eine Bewertung nicht ganz unwichtig. Es gab eine Aussetzung von militärischen Operationen durch die IRA, mit dem Ziel Verhandlungen zu ermöglichen. Die Entscheidung zur Wiederaufnahme von Aktionen scheint, auch wenn sie politisch immer wieder diskutiert sein dürfte, innerhalb von kürzester Zeit gefallen zu sein. In der Zeit vorher dürfte es politisch so gut wie unmöglich gewesen sein, umfangreiche Vorbereitungen für große militärische Operationen in England durchzuführen. Für die republikanische Bewegung, vor allen Dingen Sinn Fein hätten vor dem 9. Februar festgenommene IRA-Mitglieder mit einer halben Tonne Sprengstoff zu einer politischen Katastrophe geführt.

Am 18. Februar explodierte in einem Londoner Linienbus eine Bombe und verletzte acht Menschen z.T. schwer und der IRA Freiwillige Ed O’Brien kommt dabei ums Leben. Natürlich ist es gefährlicher Unsinn von Selbstmordaktionen der IRA zu sprechen. Es war ein schrecklicher Unfall. Aber nichtsdestotrotz.....wie kann es angehen, daß ein IRA Freiwilliger eine scharfe Bombe in einem öffentlichen Verkehrsmittel transportiert. Gleichzeitig ist aber auch klar, einen sauberen Krieg kann es nicht geben, perfekte revolutionäre Kriegsführung ist nicht möglich. Aber wir hoffen, daß die Diskussionen innerhalb der republikanischen Bewegung weitergehen und konkrete Veränderungen in der Planung von Operationen stattfinden.