Frauen in Kurdistan - Rote Zora

ein Beitrag von Frauen

Am 24.7.95 haben Frauen der ‘Roten Zora’ versucht, die Werft der Firma Lürssen in Lemwerder bei Bremen mit einem Sprengsatz zu beschädigen. Grund dafür war der jahrelange Export von Kriegsschiffen, Rüstungsgütern und militärtechnischem Wissen an die türkische Regierung, die mit deutscher Hilfe den vernichtenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei und gegen die kurdische Guerillaorganisation PKK führt. Leider zündete der Sprengsatz der Frauen nicht, und die Firma Lürssen erlitt keinen materiellen Schaden.

Trotzdem schon eine ganze Weile seit dem Anschlag vergangen ist, wollen wir auf die dazugehörige inhaltliche Erklärung der Roten Zora eingehen. (1) Sie erscheint uns nach wie vor aktuell, da der Krieg gegen KurdInnen unvermindert fortgeführt wird und mit dem Verbot der PKK und zahlreicher anderer kurdischer Organisationen in der BRD immer sichtbarer vor unserer eigenen Haustür stattfindet. Wir denken an das jährliche Aufmischen der NEWROZdemonstrationen, an Abschiebungen militanter oder vermeintlich militanter kurdischer AktivistInnen in Armut, Folter und Tod und nicht zuletzt an die Verschärfung des Ausländergesetzes, für das die diesjährigen NEWROZaktivitäten der BRD-Regierung als Vorwand dienten. Mittels geplanter Medienhetze wurde die bereits in der Schublade liegende Gesetzesverschärfung in Windeseile und mit breiter Zustimmung der deutschen Bevölkerung verabschiedet. Nennenswerte Proteste oder Widerstand seitens der deutschen Linken, gab es nicht!

Auch die verbliebenen Reste der autonomen Frauenbewegung beschäftigen sich inhaltlich (und sehr wenig auch praktisch) mit Solidaritätsarbeit zu Kurdistan.

Das alles ist Grund genug, nochmal auf die einzige militante Aktion, die in diesem Zusammenhang im letzen Jahr von Frauen gemacht wurde, zurückzukommen. Besonders befaßt haben wir uns dabei mit den Ausführungen der Zoras zum “Krieg gegen die Frauen in Kurdistan”, zu denen wir Fragen und Widersprüche haben.

Während der Auseinandersetzung mit der Erklärung fiel uns auf, daß einige Positionen, die die Zoras vertreten, bereits in ihrem 1993 erschienenem Grundsatzpapier “Mili’s Tanz auf dem Eis” (noch erhältlich in gut sortierten Infoläden) vorbereitet werden. Wir beziehen dieses Papier deshalb in unsere Überlegungen mit ein.

Darüberhinaus wollen wir die Geschichte und die politische Entwicklung der Roten Zora thematisieren. Wir gehen davon aus, daß viele LeserInnen nicht mehr präsent haben, wer sich hinter diesem Namen “verbirgt”, denn schließlich sind zwischen 1987 und 1993 keine Aktionen von den Zoras gemacht und keine Papiere unter ihrem Namen veröffentlicht worden. Es ist mittlerweile auch sicher nicht falsch, die Rote Zora als die einzige verbliebene, militant agierende Frauenstruktur in der BRD zu bezeichnen (abgesehen von kurzlebigen Grüppchen). Allein dadurch schon kommt ihr eine besondere Bedeutung für die Frauenbewegung zu. Auch das liegt uns im Magen und soll zur Sprache kommen.

Zu guter Letzt: Die Zora-Frauen haben ihrer Erklärung leider keinerlei Literaturhinweise beigefügt, was uns die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihrem Text sehr erschwert hat. Wir konnten z.T. nicht herausfinden, worauf sich ihre Aussagen stützen.

Leider haben wir erst kurz vor der Fertigstellung unseres Textes bemerkt, daß es bereits zwei teilweise konträre Beiträge zum gleichen Thema gibt. Es ist zu spät sie inhaltlich noch miteinzubeziehen. Doch da die jeweiligen Frauen sich zum Teil auch mit ganz anderen Aspekten der Erklärung beschäftigen, als wir (u.a: Frauenpolitik der PKK) verweisen wir an dieser Stelle ausdrücklich auf sie. (2)

Zur Lürssen-Erklärung der Roten Zora:

In der Erklärung zum versuchten Anschlag liegt das Hauptaugenmerk auf den kurdischen Frauen, ihrer Stellung in der kurdischen Gesellschaft und den verschiedenen Formen ihres Widerstands gegen das türkische Militär und die Zentralregierung.

Besonders hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang die Vernichtung der kurdischen Subsistenzwirtschaft. Dafür führen die Zoras verschiedene Gründe an:

Der kurdische Widerstand und die (vermeintliche oder tatsächliche) Unterstützung der Guerilla durch die Landbevölkerung sollen gebrochen werden, indem deren materielle Existenzgrundlage vernichtet wird. Der zweite Grund ist die Sicherung der wirtschaftlichen Ausbeutung kurdischer Gebiete durch die Türkei.

Bis dahin haben wir keinerlei Widersprüche. Die Zoras stellen weiter fest, daß kurdische Frauen gerade in den dörflichen Strukturen der Bergregionen eine starke gesellschaftliche Position einnehmen. Gleichzeitig wird diese angenommene Stärke an die Subsistenzwirtschaft gekoppelt. So lautet eine Feststellung im Hinblick auf die Zerstörung kurdischer Subsistenzgrundlagen durch das türkische Militär: “Obwohl die traditionelle Subsistenz so gut wie ausgelöscht wurde, konnte die Frauenstärke bisher nicht zerstört werden.” (Hervorhebungen in diesem Zusammenhang von uns.)

Diese Verkoppelung von Stärke und Kampfbereitschaft mit den Subsistenzstrukturen wird sowohl für Frauen als auch Männer angenommen: “Auch unter dem Druck der IWF- und der Weltbankauflagen setzt das türkische Regime bis heute nur auf den Krieg, um seine mörderischen bevölkerungspolitischen Ziele durchzusetzen. Es will damit die alten Solidarnetze und den Widerstand der KurdInnen, der mit ihren Lebensgrundlagen verwoben ist, zerschlagen.”

Fragezeichen und Widersprüche

Wir hatten beim Lesen der Erklärung stellenweise den Eindruck, daß die kurdischen Subsistenzstrukturen von den Zoras zu positiv dargestellt werden. Das geschieht u.E. dort, wo diese Wirtschaftsweise mit der angenommenen Stärke kurdischer Frauen bzw. der KurdInnen insgesamt in Verbindung gebracht wird. Diese Koppelung können wir in keiner Weise nachvollziehen. Wir können der Erklärung auch nicht entnehmen, worin sich die Stärke der Frauen genau begründet und warum der Widerstand der KurdInnen, untrennbar mit dieser Form von Produktion verbunden sein soll. Mit diesen Ausführungen wird suggeriert, daß die Subsistenzwirtschaft eine Produktionsform sei, die Widerstand begünstigt und deshalb besonders gut oder schützenswert ist.

Die Zoras verweisen an anderer Stelle kurz darauf, daß sie Herrschaftsmodernisierung generell ablehnen. Gemeint sind Veränderungen in der Wirtschaftstruktur eines Trikontlandes (in diesem Fall des Gebietes Türkisch-Kurdistan), die durch imperialistische oder neokolonialistische Eingriffe von außen gewaltsam herbeigeführt werden, wobei die zerstörten Wirtschaftsstrukturen meist Subsistenzstrukturen sind.

Da die Zoras ihre generelle Ablehnung nicht weiter erklären, gehen wir davon aus, daß sie sich mit ihrer Feststellung auf frühere Ausführungen zu diesem Thema in ihrem Grundsatzpapier beziehen.

Unter der Überschrift “Fortschritt” und Reproduktion” kritisieren sie dort den “männlichen Glauben an die Fortschrittlichkeit der “Entwicklung der Produktivkräfte”, der “im wesentlichen auf der Ausplünderung und Zerstörung von Reproduktionsstrukturen in nichtkapitalistischen Gesellschaften” und auf” Neuorganisierung von Gewalt- und Aneignungsformen gegenüber Frauen und ihrem reproduktiven Arbeitsvermögen (beruht)”. Soweit so gut, in unseren Augen. Die darauffolgende Passage aber finden wir völliges Wunschdenken. Sie erinnert uns direkt an die sehr positive Beurteilung der kurdischen Subsistenzstrukturen in der Erklärung.

“(...) ‘Ursprünglich’ (gemeint ist: In einer Gesellschaft frei von Ausbeutung und Macht) stand ‘Arbeit’ für eine umfassende gesellschaftliche Lebenspraxis, die Wiedererneuerung des Lebens und kulturelle Tätigkeiten als Ausdruck der Beziehungen zwischen den Menschen und der Natur bzw. ihrer Umwelt - im umfassenden Sinn gesellschaftliche Reproduktionsarbeit. Der Kapitalismus hat diese umfassende ‘Arbeit’ zum Zweck ihrer Umwandlung in Kapital auf den Kopf gestellt, die ‘produktive’ Arbeit geschaffen (zum Zwecke des Mehrwertraubs), indem er die “Reproduktion” davon abtrennte.” (3)

Ungeachtet dessen, daß auch schon vor dem Kapitalismus ausbeuterische Abhängigkeitsverhältnisse bestanden, kennen wir sowieso überhaupt keinen historischen Zeitraum, in dem von einem Leben “frei von Ausbeutung und Macht” gesprochen werden kann!

Uns drängt sich hier der Verdacht auf, daß die Zoras auch bei der Betrachtung der kurdischen Subsistenzwirtschaft vergessen, daß die (halb-) nomadischen KurdInnen nicht im Urkommunismus lebten, der jetzt durch die Kapitalisierung zerstört wird.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Auch wir lehnen die gewaltsame, imperialistische oder kolonialistische Zerstörung von Produktions- und Lebensweisen ab. Wir fragen uns in diesem Zusammenhang lediglich, was das an sich Gute und Schützenswerte dieser Wirtschaftsform ausmacht?

Subsistenzwirtschaft

In den Tälern Türkisch-Kurdistans, gibt es keine reine Subsistenzwirtschaft, sondern die Abhängigkeit der Bauern/Bäuerinnen von Großgrundbesitzern (Feudalstrukturen). In den höheren Bergregionen, leben die KurdInnen wirtschaftlich unabhängig in Dörfern oder als HalbnomadInnen in größeren Clans, die genau wie die Dorfstrukturen in den Tälern, auf der Basis altpatriarchaler Familien organisiert sind. Hier gibt es tatsächlich reine Subsistenzwirtschaft, wahrscheinlich weil sich eine Ausbeutung aufgrund der schwer zugänglichen Region bisher nicht lohnte.

Was uns dazu an positivem einfällt, ist folgendes: Menschen, die auf der Grundlage von Subsistenzwirtschaft leben, beuten keine anderen Gruppen für ihre Existenzsicherung und darüberhinausgehenden Reichtum aus. Wie und ob innerhalb der Gruppe ausgebeutet wird, ist aber auch zu berücksichtigen. Oft kann ganz klar von einer Ausbeutung aller Frauen durch alle Männer gesprochen werden, da die Frauen mehr Arbeit verrichten müssen. Ein weiterer Vorteil der Subsistenzwirtschaft ist, daß verglichen mit anderen existierenden Wirtschaftsformen, wahrscheinlich die wenigsten ökologischen Schäden anrichtet werden.

Andere Faktoren finden wir jedoch überhaupt nicht nützlich oder gut. So beschreibt Yakin Ertürk in ihrem Aufsatz “Geschlechtsspezifische Auswirkungen staatlicher Modernisierungspolitik” das Leben als Subsistenzbäuerin sehr arbeitsintensiv, beschwerlich und in völliger Armut:

“Beispielsweise müssen in einem Dorf der Provinz Erzurum die Frauen einen zweistündigen Fußweg zurücklegen, um Wasser zu holen. Je nach dem Wasserkonsum und der Zahl der Frauen in dieser Familie muß der Gang mehrmals am Tag wiederholt werden. Angesichts der Tatsache, daß die Wasserversorgung nur eine Aufgabe der Frauen ist, fällt es nicht schwer, das Ausmaß ihrer Belastung an einem Arbeitstag zu erkennen.” Aufgrund solch harter Lebensumstände erscheint uns eine technische Weiterentwicklung, besonders ein Ausbau der Infrastruktur durchaus sinnvoll.

Modernisierung

Wirtschaftliche Modernisierungsprozesse lehnen wir nicht generell ab. Es macht dabei allerdings einen großen Unterschied, ob eine gesellschaftliche Gruppe selbst Modernisierungsvorstellungen umsetzt, oder ob ihr diese, wie in Kurdistan, aufgezwungen werden, um die Angehörigen dieser Gruppierung zu vernichten oder zu assimilieren.

Außerdem spielt eine wesentliche Rolle, wie die jeweilige Gruppierung strukturiert ist: Solange ‘Modernisierung’ allein von den Herrschenden entwickelt und durchgesetzt wird, wird sie immer im Interesse der Herrschaftserhaltung stehen.

Selbst dann kommt es uns noch darauf an, genau zu gucken, wie eine wirtschaftliche Entwicklung die Lebensqualität von Frauen beeinflußt. Dabei meinen wir mit Lebensqualität nicht nur materielle Sicherheit, sondern alle Rechte, Pflichten und realen Möglichkeiten, also die Position der Frauen in einer Gesellschaft insgesamt und natürlich auch, auf welche Kosten das geht (materielle Sicherheit z.B.).

Wir hatten zu Beginn unser Auseinandersetzung mit diesem Thema die Vorstellung, daß wir eine Weiterentwicklung, sprich Modernisierung der kleinbäuerlichen Wirtschaftsform, die mit einem Ausbau der Infrastruktur (z.B. Wasser- und Elektrizitätsversorgung) und mit erweiterten Bildungsmöglichkeiten auch für Frauen verbunden sein würde, befürworten würden. Wir sahen darin gewisse Emanzipationsmöglichkeiten für Frauen bzw. die Chance, festgefügte Dorfstrukturen aufzubrechen, da die Dörfer nicht mehr so isoliert wären. Das wäre natürlich in unseren Augen nicht die Revolution, aber wir können uns auf der anderen Seite auch nicht einfach hinstellen und sagen: “So wie die Situation der Frauen in den kurdischen Bergregionen ist, ist sie gut und soll sie bleiben.”

Die tatsächlichen Modernisierungsprozesse in Türkisch-Kurdistan

Die traditionellen Gesellschafts- und Wirtschaftstrukturen der KurdInnen in den ländlichen Gebieten wurden in den letzten 10-15 Jahren durch teilweise gewaltsame Eingriffe der türkischen Regierung und des Militärs von außen aufgebrochen und zugunsten einer von der Türkei kontrollierten Kapitalisierung der Region zurückgedrängt.

Allerdings forderten KurdInnen z.T. auch wirtschaftliche Modernisierungsprozesse, angesichts der ärmlichen Lebensumstände großer Teile der Bevölkerung. Z.B. wurde die türkische Zentralregierung kritisiert, weil sie die kurdisch besiedelten Gebiete (im Gegensatz zu den türkisch besiedelten) bewußt in totaler Unterentwicklung und Armut gehalten hatte.

Modernisierung in Türkisch-Kurdistan meint “im weitesten Sinne die Eingliederung dieser Gebiete in die Marktwirtschaft durch die Durchsetzung der Herrschaft des (Zentral-) Staates (der Türkei, Anm. der Autorinnen) mit Hilfe seiner ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Institutionen.” (5)

Seit Ende der 80er Jahre ist es ein vorrangiges Ziel der türkischen Regierung ein marktwirtschaftliches Modell mit langfristigen Projekten in den ländlichen Gebieten zu forcieren. Die Projekte zielen auf eine Technisierung und Modernisierung der Landwirtschaft ab, die die Ernten und Erträge weit über die Subsistenzproduktion hinaus erhöhen sollen.

Die KurdInnen werden insofern in diesen Prozeß miteinbezogen, als sie diejenigen sind, die die neuen Techniken anwenden sollen. Yakin Ertürk untersuchte die Ergebnisse der “Entwicklungsprojekte”, die von der türkischen Regierung in Zusammenhang mit internationalen Organisationen wie der Weltbank und einigen privaten Gruppen in Ostanatolien durchgeführt werden, im Hinblick auf eine Verbesserung der Situation der Frauen. Ihr Ergebnis faßt sie folgendermaßen zusammen:

“Obwohl es noch nicht möglich ist, abzuschätzen, welche Veränderungen sich innerhalb der eingangs erwähnten Modernisierungsprozesse für die sozialen Beziehungen ergeben, haben die hier erwähnten, langfristig geplanten ländlichen Entwicklungsstrategien doch sicher geschlechtsspezifischen Charakter (...). Die Maßnahmen der Projekte stabilisieren die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, anstatt es Frauen zu ermöglichen, eine aktive Rolle zu übernehmen.” (6)

Obwohl in allen Projekten die Bedeutung der Frau erwähnt wird, wird die Verbesserung ihrer Lebenssituation in den Konzepten nicht berücksichtigt. Statt dessen wird stillschweigend angenommen, daß der Nutzen der Modernisierung von Arbeitsprozessen sich einfach “innerhalb der Familie automatisch vom Mann auf die Frau überträgt” (7), auch wenn ihre Arbeitsbereiche in keiner Weise berücksichtigt werden. “Die für Frauen geplanten Programme fallen in den Bereich der Hauswirtschaft, sind häufig von nur begrenztem praktischen Nutzen und für die Teilnehmerinnen eine kostspielige Angelegenheit. Das Interesse und die Beteiligung an diesen Programmen sind entsprechend gering” (8).

Von technischen Ausbildungen werden Frauen ausgeschlossen. Planung, Arbeitsorganisation und Vermarktung liegen weiter in den Händen von Männern, und zwar nicht irgendwelcher Männer, sondern meist Männer der Familie, was die Abhängigkeit der Frauen nochmal verstärkt. Insofern ist die real durchgeführte ‘Modernisierung’ tatsächlich überhaupt nicht dazu geeignet, die Situation der Frauen zu verbessern.

Allerdings bewertet Yakin Ertürk die Modernisierung differenzierter im Hinblick auf infrastrukturelle Entwicklungen:

“Dörfer, die sich außerhalb des Modernisierungsprozesses befinden, haben eine unzureichende Infrastruktur wie schlechte Verkehrsverbindungen, Wasser- und Stromversorgung, Kanalisation sowie unzulängliche Gesundheitsversorgung und Bildungsinstitutionen. Die Nachteile dieser Defizite betreffen hauptsächlich die Frauen. (...) Sicher verringert eine geeignete Infrastruktur, die im Rahmen der Modernisierung eingerichtet wird, die Arbeitsbelastung.” (9)

Ob es besser ist in isolierten Dörfern ohne Infrastruktur zu leben, oder in Gebieten, die von oben genannten Projekten betroffen sind, ist eine Frage, die wir erst gar nicht stellen wollen und die wenn, auch nur individuell beantwortet werden kann.

Das GAP-Projekt

Im Unterschied zur landwirtschaftlichen Modernisierung durch Technologietransfer, in die die kurdischen Bauern und Bäuerinnen miteinbezogen werden sollen, gibt es sogenannte Modernisierungsprozesse, die die Vertreibung eines großen Teils der kurdischen Bevölkerung zur Voraussetzung haben. Das umfangreichste dieser Modernisierungsprojekte ist sicherlich das GAP-Projekt, auf das sich auch die Zora-Frauen in ihrer Erklärung beziehen. Wir hatten einige Mühe herauszufinden, was GAP genau ist.

Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein gigantisches Staudamm- und Bewässerungsprojekt. In sechs kurdisch besiedelten Provinzen an der Grenze zu Syrien und Irak sollen bis zum Jahr 2010 auf einer Fläche von 73.000 Quadratkilometern 21 Staudämme und 17 Kraftwerke an den Flüssen Euphrat und Tigris entstehen. 41000 kurdische Dörfer und noch mehr Siedlungen sind von diesem Projekt betroffen. Für die meisten der dort lebenden Menschen bedeutet das die Vertreibung durch den unentschädigten Verlust von Häusern und ihrem bisher bewirtschaftetem Land. Türkisches Fachpersonal, mit der Leitung und wichtigen Funktionen des Projekts betraut, wird in der Region angesiedelt. Die verbliebenen KurdInnen müssen sich in den wirtschaftlichen Kreislauf der Türkei eingegliedern und sind somit von der Zentralregierung abhängig. Mit der Fertigstellung des GAP-Projekts kontrolliert die Türkei die mit Abstand größten Wasserrescourcen des Nahen Ostens, was auch schon zu heftigen Spannungen mit den arabischen Nachbarstaaten (vor allem Syrien und Irak) führte, deren Wasserversorgung und landwirtschaftliche Entwicklung schon jetzt zu große Teilen von der Türkei abhängig geworden ist. (10)

Die Zoras unterstellen der PKK, nicht gegen diese Modernisierungsprojekte vorzugehen,:” z.B. hat die PKK den Kampf gegen die Vertreibung in der GAP-region nicht unterstützt,...”

Wir können dies momentan nicht nachprüfen.

Während unserer Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Situation in Kurdistan ist uns allerdings öfters aufgestoßen, daß wir keine Vorstellung davon haben, wie Türkisch-Kurdistan als unabhängiger kurdischer Staat wirtschaftliche Autarkie erreichen könnte, ob es momentan überhaupt möglich ist, keine Kompromisse an die Marktwirtschaft machen zu müssen, die Multis nicht ins Land zu lassen,... Welche Pläne die PKK diesbezüglich genau verfolgt, ist uns nicht bekannt. Inwieweit Frauen an solchen Überlegungen beteiligt werden, auch nicht. Sicher ist aber, daß unter dem jetzigen Kriegsgeschehen, die Frage nach der angemessenen Wirtschaftsform, nach Modernisierung oder nicht und wenn, dann wie - verblasst. Modernisierung, Herrschaftssicherung, Zwangsassimilierung und Kriegsterror durch die Türkei sind so sehr ineinander verwoben, daß es kaum möglich ist die einzelnen Aspekte gesondert zu betrachten und zu bewerten.

Die Kämpfe der kurdischen Frauen als Bezugspunkt für weiße Feministinnen?!

1993 kündigten die Frauen der Roten Zora eine Veränderung ihrer politischen Orientierung und Bezugnahme an. In deren Mittelpunkt stellten sie die Situation von Frauen weltweit und deren unterschiedlichste Kämpfe: “Unser primäres Interesse gilt den Frauen, ihren Kämpfen, ihren Positionen, auch innerhalb der Befreiungsbewegungen”, heißt es in ihrem Grundsatzpapier.

Darin machen die Zoras eine Veränderung zu ihrem früheren internationalistischen Selbstverständnis fest, das von einem “starken Loyalitätsverhältnis zu bewaffnet kämpfenden antiimperialistischen Gruppen und von einer Faszination der Befreiungsbewegungen gekennzeichnet war” (12).

Die Bedeutung der Politik dieser Befreiungsbewegungen für emanzipatorische Kämpfe von Frauen - innerhalb oder außerhalb dieser Bewegungen - erscheint den Zoras gerade aus feministischer Sicht zu enttäuschend, als daß sie dazu weiterhin ein unkritisches Verhältnis einnehmen könnten. Zu Recht bezeichnen sie die Begeisterung radikaler Frauen und Lesben gegenüber bewaffnet kämpfenden Gruppen und Bewegungen im Trikont als Mystifizierung der eigenen - unerfüllten - Wünsche nach radikalen Befreiungskämpfen. Sich selbst nehmen sie davon nicht aus.

Diese Kritik an der Metropolenlinken der 70er und 80er Jahre ist sicherlich zutreffend und zwar gleichermaßen für linksradikale Männer und Frauen. Seit einiger Zeit, spätestens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks, werden solche Mystizifierungen auf verschiedensten Ebenen hinterfragt, was wir für eine grundsätzlich positive Entwicklung linker Geschichtsaufarbeitung und Theoriebildung halten.

Die Roten Zora-Frauen bleiben jedoch nicht stehen bei den Enttäuschungen, die die bisherigen Befreiungsbewegungen und nationalen Revolutionen (nicht nur) aus feministischer Sicht hervorgerufen haben. Im Gegenteil besticht die Lürssen-Erklärung weitgehend durch ein differenziertes, solidarisches und gleichzeitig kritisches Verhältnis zum kurdischen Befreiungskampf.

Damit befinden sich die Frauen im krassen Gegensatz zu den meisten Metropolenlinken, die sich wegen ihres unklaren oder ablehnenden Verhältnisses zur PKK am liebsten gar nicht zum Krieg gegen die KurdInnen und auch nicht zu der Verfolgung kurdischer MigrantInnen in der Metropole verhalten wollen.

Die Sabotage der deutschen Kriegsunterstützung ist auf jeden Fall richtig, auch wenn die Zoras (wir ebenfalls) viele berechtigte Zweifel daran haben, was die PKK irgendwann einmal an tatsächlicher Befreiung (besonders der Frauen) in einem unabhängigen kurdischen Staat zulassen würde.

Im Gegensatz zu der (selbst-) kritischen Auseinandersetzung mit ihrem Verhältnis zu den nationalen Befreiungsbewegungen der 70er und 80er Jahre wurden wir allerdings in Passagen der Lürssenerklärung das Gefühl nicht los, daß die Zoras auf ihrer Suche nach neuen politischen Bezugspunkten, ein ganz ähnlich verklärtes Verhältnis zu den von ihnen ausgemachten “weltweiten Frauenkämpfen” aufbauen. Dies betrifft besonders die Darstellung der Solidarnetze der kurdischen Frauen und ihren Widerstand gegen das türkische Regime und gegen die patriarchalen Verhältnisse.

So lesen wir unter der Überschrift: “Krieg gegen die Frauen”, daß die türkischen Militärs nicht nur in den Gebieten gegen die KurdInnen kämpfen, in denen die Guerilla stark ist, sondern auch dort, “wo die Frauen eine vergleichsweise starke und freizügige Stellung in der Gesellschaft haben: In den Bergregionen mit ihrer Tradition der halb-nomadischen Weidewirtschaft und gegen die Yezidi und AlevitInnen, die sich den patriarchalen und religiös verbrämten Unterdrückungsnormen stärker verweigert haben.”

Diese Ausführungen suggerieren, daß ein wesentliches Interesse der türkischen Regierung im Kampf gegen die kurdischen Frauen an sich liegt, weil diese angeblich eine starke Position in der kurdischen Gesellschaft haben. Sollte es tatsächlich der Fall sein, daß das türkische Militär Aktionen in kurdisch besiedelten Gebieten aus dem Grund durchführt, daß sich dort die Frauen schon immer stärker gegen patriarchale Unterdrückungsnormen gewehrt haben, so fänden wir es absolut notwendig, mehr als nur einige vage Sätze über diesen Zusammenhang zu verlieren. Leider weisen die Zoras in keiner Weise nach, wie sie zu dieser Behauptung kommen und wir verfügen über kein Material, das annähernd auf diese Zusammenhänge schließen lassen würde.

Wir halten die hier beschriebene Stärke von Frauen für eine krasse Beschönigung der tatsächlichen patriarchalen Gesellschaftsstrukturen in den entsprechenden Bergregionen. Daß ein Teil der kurdischen Frauen das türkische Militär durch die Verweigerung patriarchaler Normen und den Aufbau solidarischer Strukturen zum Handeln zwingt, können wir so nicht nachvollziehen.

Die Situation kurdischer Frauen in den traditionellen Bergdörfern: Angesichts dieser Darstellungen des Lebens der Frauen in der traditionellen kurdischen Gesellschaft und ihrer Kämpfe lag ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit darin, genaueres über die soziale und gesellschaftliche Position von Frauen in den Bergdörfern herauszubekommen.

Wir kamen dabei zu folgender Einschätzung:

Die dörflichen Strukturen sind relativ abgeschlossen und isoliert. Es herrscht eine klare Rollenzuschreibung für Frauen und Männer. Die Rolle der Frau ist vorwiegend an ihrer Funktion als Gebährende festgemacht: “Für die Beschreibung von Frauen gibt es folgende Kategorien:

Für Männer gibt es keine entsprechende Unterscheidung.” (13)

Frauen unterstehen hierarchisch allen Männern. Außerdem gibt es auch innerhalb der Frauengemeinschaft und Familienstrukturen unterschiedliche Wertigkeiten der Frauen. Ein Leben in solchen Strukturen bedeutet völlige Anpassung an die dort herrschenden Werte- und Moralvorstellungen. Ausbrechen ist nicht denkbar, außer indem die Gemeinschaft verlassen wird.

Die traditionellen Strukturen bieten eine wirtschaftliche Existenzsicherung (solange nicht der gesamte Clan oder das Dorf verhungern muß) und eine Einbindung in eine Gemeinschaft, in der sicherlich auch die Frauen wichtig sind. Natürlich steht das materielle Leben, (Essen, Kleidung, Wohnmöglichkeit und das Gefühl, dazu zu gehören) im Vordergrund jeder menschlichen Existenz. Darüberhinaus finden wir es für die Beurteilung der Position von Frauen in einer Gesellschaft jedoch auch wichtig, ob ihnen z.B. eine eigene Sexualität zugestanden wird, ob sie die Möglichkeiten haben, diese zu entwickeln, ob Frauen nur im Zusammenhang mit Männern existenzberechtigt sind oder ob sie unabhängig ihrer Funktion als gebärfähiges Wesen anerkannt werden,...

Das alles hat wenig mit der einen oder anderen Wirtschaftsform sondern mehr mit den konkreten Moral und Wertevorstellungen einer Gemeinschaft zu tun.

Daß diese Vorstellungen nicht nur unsere persönlichen, metropolenfixierten Werte sind, die wir den kurdischen Frauen überstülpen wollen, entnehmen wir den Aussagen kurdischer Frauen, die eben genau diesbezügliche Veränderungen, die sie durch das Verlassen traditioneller kurdischer Strukturen erfahren haben, als positiv für sich beschreiben.

Einige Beispiele:

“Die Mädchen werden nirgendwo sexuell erzogen oder vorher irgendwie aufgeklärt, wie sie was in der ersten Nacht mit dem Mann ganz alleine machen können. (...) Vom Erzählen her werden sie nicht aufgeklärt, weil solche Informationen oder solche Erläuterungen immer als unanständig gesehen werden. (...) Man darf als Mädchen vorher gar nicht wagen zu fragen (...).

In den letzten Jahren sind einige Bücher herausgegeben worden. Man kann in den Laden gehen und sich als Frau oder Mann über die Sexualität wirklich selbständig informieren. Aber diese Möglichkeit besteht nicht überall. Ein Junge oder ein Mädchen im Dorf haben sie überhaupt nicht. Aber die Mädchen in den Städten und Gemeinden haben ein bißchen Glück, daß sie solche Bücher kaufen können.

Ich freue mich sehr, wirklich, ich kann mich auch als Beispiel geben. Ich war im letzten Semester meines Studiums und wußte gar nichts über solche sexuellen Beziehungen, wie z.B. eine Frau diese irgendwie erfolgreich führen kann, ohne sehr enttäuscht zu werden. Dann hatte ich eine Möglichkeit, in den Laden zu gehen und ein Buch zu kaufen. (...) Das war sehr gut.” (14)

Dieselbe kurdische Frau zur Möglichkeit der Frauen ohne Ehemann zu leben: “Es ist zwar einfach, sich scheiden zu lassen, aber dann kommen so viele Schwierigkeiten auf eine geschiedene Frau zu. Sie muß ihr Leben allein führen, und das ist sehr schwer. (...) Leider kommt es meistens so: Sie wird als eine Möglichkeit für die anderen Männer gesehen, sie irgendwie als Prostituierte zu gebrauchen. Deswegen haben Frauen wirklich viel Angst sich scheiden zu lassen. Ich kenne so viele Frauen, die lieber mit Ach und Krach mit ihrem Mann zusammenleben. Für einen geschiedenen Mann ist es nicht schwer, eine neue Frau zu finden. Wirklich, für den Mann ist es keine Frage, egal ob seine Frau gestern gestorben ist, egal ob er sich gestern hat scheiden lassen. Denn er hat die freie Entscheidung für sich zu heiraten oder auch nicht.

Es passiert öfters, daß geschiedene Frauen ein zweites Mal heiraten. Die Frauen müssen versuchen eine neue Ehe zu schließen. Sie müssen es unbedingt (...). Sie sind immer in Gefahr. Vielleicht ist die Situation in den großen Städten noch ein bißchen lockerer, weil die Einwohnerzahl so hoch und die Bekanntschaft ziemlich eng begrenzt ist.

Deswegen kann eine Frau dort alleine leben. (....), aber bei uns in den Dörfern geht das überhaupt nicht. Es gibt auch keine Scheidungen, auch nicht von Seiten der Männer. Wenn die Frau keine Kinder bekommen kann, wird die Ehe auch nicht aufgelöst. (...) Die Frau muß zu Hause bleiben, und es kommt eine neue Frau ins Haus: Die Zweite.

Gesetzlich ist das nicht erlaubt, gesetzlich hat die erste Frau die Rechte, die zweite kann nur Kinder produzieren. Das wird öfters gemacht. Ich habe es selbst gesehen und erlebt, das ist Tatsache, wirklich.” (15)

Die gleiche Frau, eine kurdische Akademikerin, die ihrem Mann in die BRD folgen mußte, führt ihre eigenen Fortschritte im Kampf um ein gleichberechtigteres Leben mit dem Ehemann auf ihre Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zurück und behauptet, daß sie als Bäuerin in den Dörfern nicht die gleichen Rechte hätten erstreiten können.

Aus diesen und vielen ähnlichen Aussagen entnehmen wir, daß kurdische Frauen, die ihre Dörfer verlassen haben, das Leben innerhalb der Dorfstrukturen als vergleichsweise unfreier erleben. Welches Dilemma sich dadurch auftut, beschreibt eine kurdische Frau, die zeitweilig nach Deutschland emigriert ist, folgendermaßen:

“Falls meine Tochter später wie ein deutsches Mädchen leben möchte, würde ich damit nicht einverstanden sein. Wenn wir für immer in Deutschland bleiben würden, ginge es, aber wir wollen zurückgehen! Sie soll hier wie ein deutsches Mädchen lernen, aber nicht so frei wie ein deutsches Mädchen leben. (...) Ich möchte nicht, daß meine Tochter mit 18 Jahren sagt, daß sie alleine eine Wohnung oder mit einem Freund zusammenleben will. (...)

Meine Meinung ist, daß die Kinder so lange bei mir wohnen sollen, bis sie verheiratet sind. Das ist mein Wunsch und das muß ich mir wünschen. Ich denke, so wie mein Volk denkt, muß auch ich denken. Wir können uns da nicht so schnell ändern. Es ist mein Wunsch, aber ich kann meine Kinder nicht dazu zwingen. Ja, natürlich kann sie sich ihren Mann selbst suchen; sie lebt mit ihm zusammen, nicht ich. Ich glaube, daß meine Tochter es schwer haben würde, mit einem kurdischen Mann zusammenzuleben, der nie in einem westlichen Land gelebt hat. (...)

Z.B. meine Schwester, die in Kurdistan verheiratet ist, lebt ganz anders mit ihrem Mann zusammen. Sie ist zwar auch berufstätig, aber tut alles, was der Mann möchte. Sie hat nicht so einen starken eigenen Willen. Sie hört darauf, was die Nachbarn, Verwandten und ihr Mann sagen. Das mache ich nicht mehr, und meine Tochter wird das auch nicht mehr können.” (16)

Solidarnetze kurdischer Frauen - Frauenstärke

Die Zoras verbinden die Subsistenzwirtschaft mit der traditionell starken, selbstbewußten kurdischen Frau. Uns ist aufgefallen, daß dieses Bild in vielen Texten auftaucht, auch von kurdischen Frauen selbst. Meistens gibt es leider keine genaue Erläuterung, worauf diese Koppelung zurückzuführen ist. Kurdische Frauen vergleichen sich oft mit türkischen Frauen und empfinden ihre eigene Position z.B. Männern gegenüber als freier und vorteilhafter. Dies zu beurteilen trauen wir uns nicht zu.

Innerhalb der traditionellen kurdischen Gesellschaftsstrukturen bilden die Frauen eines Dorfes ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, das auch einen großen Teil ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen ausmacht. Dieses Beziehungsgeflecht bezeichnen die Zora-Frauen als “Solidargemeinschaft” oder “Frauennetze” der Kurdinnen, die einen großen Teil der Stärke der Frauen ausmachen sollen.

Wir finden diese Begriffe der Zoras in dem Zusammenhang sehr verwirrend. Sie sind belegt mit Bildern von Frauenräumen, die erkämpft wurden, oder Strukturen, die den Anspruch haben Hierarchien abzubauen. Das was wir zu den kurdischen Frauensolidarnetzen in der Literatur gefunden haben, hat uns in dem Gefühl bestätigt, daß diese nur wenig mit unseren Vorstellungen von unabhängigen Solidargemeinschaften zu tun haben. So kommt Nükhet Sirman in ihrer Analyse der “Verhaltensstrategien von Bäuerinnen zur Stärkung ihrer Position in Ehe und Familie” zu folgendem Schluß:

“Es ist nicht richtig, die Beziehungen der Frauen zu ihren Nachbarinnen als eine Solidaritätsstrategie zu sehen, die sich mit dem von Männern beherrschten System kritisch auseinandersetzt.

(...) das (...) Ansehen eines Haushalts hängt letztlich vom Ansehen seiner einzelnen Mitglieder ab, auch von dem der Frauen. Das Ansehen der Frau hängt aber wiederum von ihrem Status und ihrer Anerkennung innerhalb des Dorfes ab.

(...) Das Ziel einer Frau ist letztendlich, eine gute Zukunft für ihre Kinder vorzubereiten, d.h. zu gewährleisten, daß sie in einer angesehenen Familie aufwachsen, damit sie eine optimale Ehe eingehen können. Der Informationsumlauf unter Frauen und die diesen Austausch nährende Konkurrenz bringen sowohl das Ansehen der Person als auch das des Haushalts hervor, können es aber auch zerstören. Deswegen muß eine Frau zunächst ihren Kindern, dann ihrem Haushalt die höchste Priorität einräumen. Gegebenenfalls muß sie die Frauen ihrer Umgebung, die Bestandteil ihres eigenen Informationsnetzes sind, als ‘Fremde’ betrachten. Das heißt, die Solidarität unter den Frauen ist kurzfristig, zweckgebunden und kann rasch in Konkurrenz und damit verbundenes negatives Begleitverhalten umschlagen.

(...) (Frauen stehen) mehrere Möglichkeiten offen, um innerhalb der Familie und des Haushalts ihre Position zu stärken.

(...) Das Beispiel von Frauen, deren Wort in ihren Haushalten nichts gilt, zeigt auch, daß Frauen nicht allein dadurch einen besseren Status ereichen, indem sie Kinder gebären und alt werden. Um ihrem Wort Geltung zu verschaffen, ist eine Frau gezwungen, sich zu bemühen, Beziehungen zu anderen Frauen auf der Ebene von Haushalt, Familie und Wohnviertel zu entwickeln. Die größtmögliche Unabhängigkeit der Frau unter den gegebenen Voraussetzungen besteht zum einen darin, daß sie sowohl mit der Familie ihres Mannes als auch mit ihrer Herkunftsfamilie unter Wahrung ihrer Erbrechte eine distanzierte Beziehung unterhält, und zum anderen, daß sie mit anderen jungen Ehefrauen in der Nachbarschaft, die sie unterstützen können, ein Netz von Besuchsbeziehungen entwickelt, die auf ausgewogener gegenseitiger Hilfe beruhen.” (17)

An einigen Textstellen in der Erklärung der Zoras zeigt sich, daß auch sie nicht ungebrochen überzeugt sind von der freizügigen, antipatriarchalen Gesellschaftsstellung der Frauen in den traditionellen kurdischen Strukturen. Der Widerspruch, der sich dadurch zu anderen Textpassagen ergibt, wird von ihnen nicht weiter thematisiert. So heißt es unter der Zwischenüberschrift: “Kurdische Frauen und die PKK”:

“(...) Im Prozess dieser sogenannten Unterentwicklung und der Repressionen und im anwachsenden Widerstand dagegen, wuchs auch die Sehnsucht vieler Frauen nach mehr Freiheit, Vielfalt, Erfahrungen ect. und ihre Ablehnung derjenigen traditionellen Dorfstrukturen, die sie einengten und unterdrückten. Mit der Auflösung der Großfamilie ist zugleich ihre Aussicht auf Macht und Wertschätzung als ältere Frau - die Frauen auch immer zu VerteidigerInnen des Patriarchats machten - im Schwinden begriffen. Unter den jungen Frauen bekämpfen viele ihre patriarchale Unterdrückung in der Familie und entscheiden sich für die PKK, um aus dieser auszubrechen.

(...) ‘zuhause befielt immer der Vater, und wenn er nicht da ist der Bruder. Bei der Guerilla kann ich mich endlich selbst bestimmen, auch Kommandeurin werden...,’ sinngemäßes Zitat einer jungen Frau von der PKK.”

Resümee:

Der Zoratext hat uns angeregt, genaueres über die Situation kurdischer Frauen herauszubekommen. Zu vielen interessanten Aspekten, die wir gerne genauer thematisieret hätten sind wir aufgrund ungenügendem Infomaterials, Zeit- und Platzmangel gar nicht mehr gekommen. Zum Beispiel zur Situation der Frauen in der PKK, zu verschiedenen kurdischen Frauenorganisationen, deren Selbstverständnis und Zielen,... Wir würden damit gerne beim nächsten Mal weitermachen und zwar unabhängig vom Rote Zora Text. Wenn ihr Infomaterial dazu besitzt, schickt es uns an unsere Postadresse.

Abschließend zur Roten Zora: Wir haben hier nur einige Textstellen herausgegriffen, um unsere Kritik an der Lürssen-Erklärung zu verdeutlichen. Im Grunde geht es uns um mehr: Die Zoras haben in ihrer Broschüre “Mili’s Tanz” zurecht das von Mystifizierung und Projektionen geprägte Verhältnis zu trikontinentalen antiimperialistischen Befreiungsbewegungen aufgegeben. Jetzt scheint es uns so, als würden sie dieses Verhältnis durch die Hintertür wieder hereinholen und es auf die “weltweiten Frauenkämpfe” als ihren neu ausgemachten Bezugspunkt übertragen.

Die Bezugnahme auf Frauenkämpfe finden wir richtig. Wir kritisieren lediglich ihre Verklärung und Überbewertung. Warum brauchen wir schon wieder neue Projektionsflächen?

Diese Frage beantworten die Zoras gewissermaßen selbst in “Mili’s Tanz”: “Nur auf uns gestellt müßten wir daran zweifeln, welche gesellschaftliche Kraft hier denn eine tragfähige Basis und breite Zustimmung für unseren Kampf abgeben könnte. Denn nur eine solche Sicherheit, getragen zu werden von den gleichen Hoffnungen und Kämpfen anderer, kann langfristig den Mut zum Widerstand lebendig halten.” (18)


Militante Frauengruppen

Tatsächlich ist es so, daß die Zoras, zumindest was den Frauenkampf in der BRD angeht, einsam auf weiter Flur agieren. Nirgends sind Frauen in Sicht, die ihrerseits militante Frauenaktionen für unverzichtbar halten und dem auch praktisch Rechnung tragen.

Vieles, was zu diesem Thema gesagt werden kann, wurde unter der Überschrift: “Wir wollten diesen Sommer doch jeden Tag ein Ei legen!?” - “Vergiß es!!” (19) thematisiert. Wir wollen das an dieser Stelle nicht wiederholen und verweisen auf den Artikel.

Die Situation und Befindlichkeit der Frauenzusammenhänge gleicht in ihrer Schwäche weitgehend der, der gemischten Linken. Die meisten Gruppen haben sich aufgelöst, viele Frauen haben sich gänzlich aus einer aktiven politischen Rolle zurückgezogen. Egal, welche Form von Fraueninitiativen und -protest wir uns ansehen, uns erscheint es auf allen Ebenen zu wenig, was passiert.

Der Rückzug ins Private, das Überdenken von Fehlern, Dogmen und Verhaltensweisen der vergangenen Jahre, bedeutet für die Frauen (genauso für die gemischte Scene) der Generation, die von Mitte oder Ende der 80er an durchgerödelt hat, ganz offensichtlich erstmal einen Rückzug aus allem, was mal war. Viele versuchen nichts mehr über den privaten Rahmen hinaus. Eine große Kluft tut sich auf zu denen, die irgendwie weitermachen (wollen) bzw. neu anfangen.

Bezüglich ihrer inneren Verfaßtheit erinnert uns der Zustand der radikalen Linken zum Teil an das, was wir über die Linke in der Zeit nach 1977 wissen. Z.B. fallen uns einige Ähnlichkeiten auf, wenn wir die Stimmung heute mit der Beschreibung der Frauenzusammenhänge 1977 in “Mili’s Tanz” vergleichen:

“Der powervolle Aufbruch der ‘Neuen Frauenbewegung’ - mit ihrer anfänglichen Fülle militanter Aktionen gegen Sexismus und ihrem radikalen Umkrempeln der persönlichen Lebensverhältnisse - war im letzten Drittel der 70er Jahre schon verebbt. Unter dem Eindruck des ‘Deutschen Herbst’ 1977 wurde der Gedanke an militanten Widerstand weitestgehend aus dem FrauenLesben-Bewußtsein (wie auch aus dem GemischtLinken) verdrängt. Ein Teil der FrauenLesben zog sich vom offensiven Durchsetzen der politischen Forderungen und den provokanten Aktionen in die Innerlichkeit der Esoterik zurück. Zunächst noch von vielen FrauenLesben als Erweiterung für feministisch-politisches Handeln begriffen, stellte sich dieser Weg schnell für viele als bewußte Abgrenzung von radikaler, öffentlich feministischer Politik heraus.

Andere hielten daran fest, sich und andere darin zu stärken, soziale Räume gegen die sexistische Gewalterfahrung zu schaffen und z.B. autonome Frauenhäuser aufzubauen. Auch diese politisch sehr wichtige und notwendige Arbeit wurde damals von vielen FrauenLesben als Alternative und Distanzierung zu militantem Widerstand gemacht und propagiert. (...)

Radikale FrauenLesben fühlten sich oft vereinzelt, viele gingen zurück in die auch sehr dezimierten GemischtLinken.

Wir sahen in dieser Situation unseren Beitrag unter anderem darin, die Idee und Praxis radikalen, militanten Widerstands entgegen aller Integrations- und Repressionsmaßnahmen des Staates wachzuhalten.” (20)

Nach fast 20 Jahren scheinen die Zoras wieder in einer ähnlichen Position zu sein. In Zeiten der Verunsicherung, in der von Power und Aufbruchsstimmung aber auch gar nichts zu spüren ist, halten sie die Idee und Praxis des militanten Widerstands von Frauen wach. Radikale Frauen sind auch heute wieder mit ihren Vorstellungen und Positionen vereinzelt und überlegen sich, ob sie sich mit Männern zusammentun, mit denen sie sich militante Praxis vorstellen können. Es gibt zwar keine Wiederholung des Deutschen Herbst, aber der Zusammenbruch des Ostblocks hat viele Linke in eine ernsthafte Krise gestürzt. Weltweit scheinen die Bedingungen für Revolutionen in einzelnen Ländern erstmal aussichtslos, allein wegen der nun ökonomisch ausschließlichen Abhängigkeit vom imperialistischen Weltmarkt, zu der wirtschaftliche Gegenpol der Ostblockstaaten immerhin für manche Staaten eine reale Alternative und Überlebensmöglichkeit bot. Alles dreht sich im Kreis?

In mancher Hinsicht ist es beruhigend zu wissen, daß nach 1977 die Welt (entgegen dem subjektiven Empfinden vieler Linker) nicht untergegangen ist. Frauen befanden sich in ganz ähnlichen Zwiespälten und Nöten und doch kamen bessere Zeiten, in denen wieder etwas von ihren Ideen und ihrer Stärke zu spüren war, Zeiten, in denen viele es wieder richtig fanden, gerade als Frau mit ihrer Sozialisation zu brechen und auch militant Widerstand zu leisten.

Soviel zu den Kreisbewegungen, die sich hoffentlich irgendwann als Spirale und nicht als abgeschlossener Kreis entpuppen.

Die Enttäuschung über den beinahe Zusammenbruch der autonomen Frauenstrukturen, über unsere Sprach- und Aktionslosigkeit ist das Problem einer bestimmten Frauengeneration. Natürlich gibt’s auch die Frauen, die in den 90ern angefangen haben, sich für linksradikale und feministische Politik zu interessieren. Sie finden die ältere Generation reichlich abgegessen, unspontan und langweilig und versuchen ihr eigenes Ding. Die meisten beteiligen sich an gemischten Aktivitäten, denn die sind einfach präsenter als die wenigen Initiativen, die von Frauenzusammenhängen ausgehen.

Leider sind die Frauen der Roten Zora, die sich 93 nochmal einen Kick gegeben haben und nach ihrer Krise mit neuen Frauen einen neuen Anfang versuchen, auch nicht diejenigen, die viel Wirbel um sich machen. Es ist gut möglich als feministisch interessierte und auch aktive Frau in der BRD zu leben und nichts von ihrem Dasein mitzukriegen. Das finden wir schade, besonders in Zeiten, in denen Frauen sich verstärkt zurückziehen und das, was auf der Tagesordnung steht, wie meistens, von Männern angeregt wird.

Das dem so ist, liegt zum Teil an den Zoras selber. Auch eine Gruppe mit komplizierter Kommunikationsstruktur könnte durchaus mehr von sich reden machen. Warum wird z.B. nach dem Bekannt-Werden, daß der Anschlag auf Lürssen nicht geklappt hat, nicht nochmal spontan was dazu gesagt? Das ist auch möglich, ohne vorher mit allen Zoras jedes Wort genau diskutiert zu haben. Warum klinken sich die Zora- Frauen nicht öfters mal in Diskussionen ein, auch wenn gerade kein Anschlag auf der Tagesordnung steht? Gerade die Frage, ob und wie deutsche Linke sich solidarisch zu den KurdInnen verhalten können, welche Positionen sie einnehmen können und wie praktische Solidarität aussehen kann, ist ja immerhin in bestimmten Teilen der Linken diskutiert worden. An dieser Auseinandersetzung z.B. hätten sich die Zoras wesentlich lebendiger beteiligen können.

Wir wissen kein Rezept, den militanten Frauenwiderstand wiederzubeleben. Aber wir denken, daß das Wenige, so gut wie möglich sichtbar und präsent gemacht werden sollte. Und daß in diesem Sinne die Zoras selbst, als derzeit einzig realexistierender militanter Zusammenhang, mehr zur Vermittlung ihres Ansatzes, mehr Antörnendes und Belebendes, beitragen könnten.

Wer ist die Rote Zora?

Für alle LeserInnen, die die Geschichte der Gruppe nicht kennen: Die Rote Zora geht aus den, in den 70er Jahren entstandenen bewaffnet/militant kämpfenden Revolutionären Zellen hervor, in denen Männer sowie Frauen sich organisiert hatten. Das neueste, umfangreiche Konzeptpapier der Zoras wurde im Dezember 1993 unter dem Namen “Mili’s Tanz auf dem Eis” veröffentlicht. Die Zoras gehen darin auf ihre bisherige Geschichte, auf ihre Aktionen und auf die Veränderung ihrer Standpunkte im Laufe der letzten 20 Jahre ein. Wir zitieren hier einige Passagen aus ihrem Selbstverständnis und ihrer eigenen Geschichtsaufarbeitung.

“Unsere Konstituierung als autonome Frauengruppe innerhalb der revolutionären Zellen (RZ) fiel mit der Entsolidarisierungswelle mit bewaffneter/militanter Politik in der BRD 1977 und einer Polarisierung innerhalb der FrauenLesbenbewegung zusammen. (...)

Wir sahen in dieser Situation unseren Beitrag u.a. darin, die Idee und Praxis radikalen, militanten Widerstands entgegen allen Integrations- und Repressionsmaßnahmen des Staates wachzuhalten. In dieser Zeit wurde die Fähigkeit des Systems deutlich, Proteste zu integrieren und fundamentale Opposition zu Innovationsschüben zu nutzen, außerparlamentarische Politik als Kreativspender auszunutzen, andererseits Widerstandsstrukturen mit aller Härte zu zerschlagen.

Das bestätigte uns, daß die Gegnerinnenschaft zum System sich grundlegender zeigen muß, weniger kontrollierbar sein sollte und nicht ihr Ende finden an staatlich gesetzten Grenzen. Die Aufrechterhaltung klandestiner Zusammenhänge war eine Konsequenz für uns, um in dieser politischen Eiszeit ‘im Herzen der Bestie’ die Ruhe zu stören und den Gedanken an die Angreifbarkeit der Herrschenden lebendig zu halten. Zugleich hofften wir, damit den militanten, klandestin organisierten FrauenLesbenwiderstand zu verbreitern und zu verankern. (...)

‘Bildet eure eigenen Banden’ war die Parole der Anfangszeit. (...)

Wir machten unter diesem Aspekt Aktionen mit einfachen nachahmbaren Mitteln und griffen Themen aus der FrauenLesbenbewegung auf (218 und Gewalt gegen Frauen). Wichtig war es uns zu zeigen, daß das Unrecht, die Gewalt nicht nur strukturell sind, sondern die Täter greifbar, angreifbar sind: ‘Die Schweine haben Namen, Frauen sucht euch die Adressen!’

Wir sahen keine Hierarchie in verschiedenen Aktionsformen: Flugblatt verteilen, Besetzungen, Sprühaktionen, Schlösser verkleben, Steine schmeißen, Spreng- und Brandsätze legen - alles war wichtig, wenn es zusammengriff.

So ist es auch heute noch für uns richtig. Dabei haben wir allerdings die besonderen Bedingungen und Konsequenzen unserer Art der Organisierung unter den Tisch fallen lassen. Im Wunsch, zur Nachahmung und damit Verbreiterung unserer Aktionsformen zu ermuntern, stellten wir zeitweise unsere Organisierung so locker dar (Interview Emma 1984), als könne jede mal eben so mit ihrer Freundin losziehen und das gleiche machen wie wir.

Auch wenn wir teilweise mit militantem Kleingruppengefühl agierten, verleugneten wir damit den anderen Teil unserer Geschichte und Praxis. Die dargestellte Lockerheit verschleierte die konkreten Barrieren/Unterschiede. Wir unterschieden uns von Kleingruppen durch die auf Langfristigkeit, Kontinuität und Verbindlichkeit ausgerichtete Organisierung. Dies ermöglicht(e) es nicht nur, einen anderen Hintergrund von Logistik aufzubauen, d.h. Kenntnisse, Fertigkeiten, Beschaffung materieller Mittel, die über einen Kleingruppenrahmen hinausgehen, sondern auch, kontinuierliche Gruppen- und Städteübergreifende Diskussionen zu führen und Befreiungsideen zu entwickeln. Das Primat der Praxis half uns dabei, Unterschiedlichkeiten und Differenzen teilweise stehen lassen zu können und uns einem weltweiten Befreiungsprozeß und den Frauen darin, verbunden zu fühlen, aus dem wir einen großen Teil unserer Stärke bezogen. (...)

Unsere Identität beziehen wir zwar auch aus gelungenen Aktionen, vor allem aber aus der langfristigen Perspektive, eine militante Frauenorganisierung aufzubauen.

Nach wie vor finden wir die verschiedenen Organisierungsformen für subversiven Widerstand wichtig - also auch Kleingruppen aus der Frauenöffentlichkeit heraus, die durch Einbindung in soziale Zusammenhänge, durch spontanere Handlungsmöglichkeiten usw. oft ausgesprochen lebendig sind, meist aber durch die Bullen einkreisbar, weshalb sie äußerst flexibel sein müssen und oft nur kurzlebig sein können. Darin alle Möglichkeiten auszuprobieren und auszureizen, ist nicht nur für die Stärkung der FrauenLesbenbewegung notwendig, es ist auch für unseren Lernprozeß wichtig.

Wir wollen aber ebenso, daß Frauen, die unsere Politik als Rote Zora richtig und wichtig finden, sich der Frage einer entsprechenden Organisierung stellen und nicht diese Art militanter Politik an unseren Zusammenhang deligieren.

Wir tragen Verantwortung, mit unserer Geschichte genau umzugehen, aber nicht die alleinige Verantwortung, diese Politik fortzuführen” (20).

Wieso kam es zur Trennung der Zoras den RZ?

“Als selbständige Frauengruppe in der RZ lebten wir von Anfang an mit dem Widerspruch, daß wir im öffentlichen Rahmen die Autonomie von Frauen für unverzichtbar hielten, uns innerhalb unserer klandestinen Organisierung aber mit Männern arrangierten - zwar als selbständige Gruppe, aber mit der Verbindlichkeit einer gemeinsamen Organisation.

Dafür gab es verschiedene Hintergründe: Wir konnten in diesem Zusammenhang auf bereits entwickelte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen, wir trauten uns keine eigene tragfähige Struktur zu, da wir so wenige militante Feministinnen waren. Außerdem waren die militanten Kräfte (Ende 70er/Anfang der 80er Jahre) innerhalb der Linken insgesamt so gering, daß wir meinten, Frauen und Männer müßten sich gegenseitig stärken.

Wir waren eng verbunden mit der linken Geschichte und den entsprechenden Denkstrukturen und Handlungsmustern. In den Anfängen unserer militanten Frauenorganisierung gelang es uns noch sehr wenig, uns von diesen zu lösen und unsere Befreiungsvorstellungen und -wege auf feministisch-revolutionäre Füße zu stellen. Dafür gab und gibt es bis heute kein umfassendes Konzept. An diesem mitzustricken, haben wir uns seitdem vorgenommen.

Einige von uns hatten zudem die Illusion, daß in der existentiellen Verbundenheit des gemeinsamen Kampfes die Geschlechtergegensätze nicht so krass seien, die Radikalität ‘unserer’ Genossen sich auch in einer radikalen Infragestellung ihrer patriarchalen Identität ausdrücken müsse/könne, daß die Männer ihre Chance zur Erweiterung ihres Horizontes und Handlungsrahmens erkennen würden, indem sie sich an unserem feministischen Kampf orientierten. (...)

Die zermürbenden, nie enden wollenden Streitereien, in denen wir begreiflich zu machen und durchzusetzen versuchten, daß Frauenkampf kein Teilbereichskampf sein kann, sondern daß die Befreiung vom Patriarchat grundlegend für jede Befreiung ist und das Hinzukommen neuer FrauenLesben, die sich ganz bewußt in Frauenzusammenhängen organisieren wollten und nicht einsahen, warum wir irgendwelche Energien in Diskussionen mit Männern steckten, führten endgültig zur organisatorischen Trennung.

Erst in der Trennungsphase begriffen wir, daß nicht nur ‘unsere’ patriarchal denkenden und handelnden Männer in ihrer Unfähigkeit und Borniertheit eine fruchtbare Zusammenarbeit verhinderten, sondern daß autonome FrauenLesbenorganisierung für uns hier und heute - auch im militanten Kampf - eine grundsätzliche politische Notwendigkeit ist. Gemeinsame Organisierung mit Männern bindet nicht nur unsere Energien in der ständigen Auseinandersetzung und Behauptung von FrauenLesbenpositionen, sondern bindet uns auch in von Männern gesetzte Diskussionsprozesse ein, bringt uns immer wieder auf das Gleis der Orientierung an männlichen Normen, die wir selbst oft tief verinnerlicht haben. Sie blockiert uns damit in unserem Denken und unserer Entwicklung und steht der Herausbildung einer revolutionär-feministischen Perspektive ständig im Wege.

Mit dieser klaren politischen und organisatorischen Trennung der Roten Zora von den RZ brachen wir mit der sonst von uns Frauen - um den Preis unserer Selbstverleugnung - wie selbstverständlich erwarteten Solidarität. Damit verweigerten wir uns der Vereinnahmung, die in der Behauptung liegt, Feminismus sei in ein linkes Konzept einzuordnen, was immer darauf hinausläuft, Frauenkampf einer ‘umfassenderen linken Zielsetzung’ unterzuordnen. Mit dieser völlig veränderten Vorraussetzung und politischen Klarheit, die erstmal nicht von gemeinsamen Zielsetzungen ausgeht, sind punktuelle Bündnisse oder solidarische Verhältnisse mit Männern oder gemischten Gruppen nicht ausgeschlossen, werden so aber von uns bestimmt” (S.6).

Die Praxis der Roten Zora

Die Zoras machten Aktionen gegen Sexshops (1978), Angriffe auf Frauenhändler und in dem Zusammenhang auch auf die Philipinische Botschaft (1982). Nach der Trennung von den RZ (1984) führten sie Aktionen gegen Bevölkerungspolitik, Gen- und Reproduktionstechnologien durch (Angiffsziele waren u.a. Schering, das Max-Planck-Institut in Köln und das Humangenetische Institut der Uni Münster). Es folgten Angriffe gegen den Textilmulti Adler, um Frauenkämpfe der Flair-Fashion-Arbeiterinnen in Südkorea zu unterstützen (Flair-Fashion ist eine Tochterfirma von Adler). Diese Aufzählung ist nicht vollständig, macht aber deutlich, worauf sich die Zoras praktisch konzentriert haben.

Repression

Im Dezember 1987 fanden Hausdurchsuchungen und die Verhaftung von Ulla Penselin und Ingrid Strobl mit dem Vorwurf der Unterstützung der Roten Zora/RZ statt. Weitere 4 Haftbefehle wurden ausgeschrieben, aber die entsprechenden Personen konnten abtauchen und wurden nach unserem Kenntnisstand auch nie gefaßt. Eine Frau ist inzwischen wieder zurück, so wie wir die aktuellen Zeitungsmeldungen interpretieren wird weiter gegen sie ermittelt. Leider wurden die Umstände des Abtauchens und der weitere Verlauf ihrer Geschichte auch niemals öffentlich thematisiert.

Die Zoras schreiben zu dem Repressionsfall:

“Einfallstor für die Bullen war unser Fehler, zu lange den gleichen Wecker als Zeitzünder zu besorgen, was ihnen (den Bullen) die Gelegenheit bot, mit einem aufwendigen Programm Käuferinnen dieser Weckersorte zu identifizieren.” (S.30)

Ingrid Strobl, der unterstellt wurde einen entsprechenden Wecker für den Bau eines Zeitzünders gekauft zu haben, wurde trotz großer öffentlich bekundeter Solidarität zu 5 Jahren Haft verurteilt, dann aber auf 2/3 tel entlassen.

Seit dieser Zeit meldete die Rote Zora sich bis zum Dezember 1993 nicht mehr zu Wort und Tat. Viele glaubten, sie habe sich längst stillschweigend aufgelöst und vermißten ein entsprechendes Schreiben, eine Art Ausstiegserklärung.

Die Jahre des Schweigens

Mit “Mili’s Tanz” meldeten sich die Zoras erstmals wieder zu Wort und versuchten aufzuarbeiten, was inzwischen bei ihnen an Entwicklungen und Veränderungen stattgefunden hat, und was ein Weitermachen (neben der Repression) vorerst verhindert hatte.

“Dieses veränderte politische Klima (Mauerfall, Golfkrieg, Zerfall des Ost-Imperiums, Anm. der Autorinnen) - zusammen mit den Verunsicherungen durch die Repression - stoppte erstmal all unsere praktischen Pläne. (...) Wir unterlagen unserem eigenen Mythos, was sich ebenfalls in unserem hohen Anspruch an eine mögliche Praxis ausdrückte. Wir konnten uns als Rote Zora keine Aktion vorstellen, die hinter der Entwicklung unserer bisherigen Praxis zurückfiel. Das lag aber in der speziellen Situation jenseits unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten. Je länger der Zeitraum ohne praktische Politik, desto unmöglicher die praktische Umsetzung. So schloß sich der Kreislauf zunächst einmal. Die Kontakte untereinander hatten wir zum Schutz der Struktur auf ein Minimum eingeschränkt, von unserem politischen Frauenumfeld fühlten wir uns nicht getragen. Auch das schlug sich negativ auf unsere Lust und Kraft zum Weitermachen aus.

Die aufwendige Form der politischen Organisierung ohne konkrete Umsetzung in Aktionen und eine komplizierte Kommunikationsstruktur (nicht selten landeten Papiere im Ofen, bevor sie die letzte erreicht hatten, was eine kontinuierliche Diskussion nicht gerade beflügelt), verstärkten bei vielen von uns Unzufriedenheit und massive Zweifel, ob wir als illegale militante Organisation in der Lage seien, in die politischen Prozesse einzugreifen.

Aus verschiedensten Gründen - andere Schwerpunkte setzen, militanten Widerstand nicht mehr angemessen finden, Festgefahrenheit in der Organisationsstruktur und damit einhergehender Schwerfälligkeit und Verlust von Lebendigkeit - trennten sich die meisten Zoras von unserem Zusammenhang, und somit stehen wir quasi am Neuanfang.

Die grundsätzlichen Fragen nach Wirksamkeit, Legitimation, Ziel, Basis und persönlicher Umsetzbarkeit unserer Politik haben sich uns verschärft gestellt. Das sind zwar Fragen, die uns ständig begleiten, aber in Zeiten geringer politischer Gewißheit und in Phasen der notwendigen Klärung von Perspektiven werfen wir immer wieder die politischen Erfolgsaussichten und persönliche Gefährdung und Einschränkung neu in die Waagschale.

Zudem mußten wir uns gegen den mainstream dieser Zeit behaupten, der v.a. von gemischten Gruppierungen ausging (unserer Meinung nach teilweise auch von Gruppen der RZ, Anm. der Autorinnen), daß militanter Widerstand in dieser Situation nichts mehr bringe.

Die offene Frage ist nicht eine der Form, sondern wie den Zersplitterungen und Individualisierungen unserer Metropolenrealität die Gemeinsamkeit einer Strategie entgegengesetzt werden kann, welche zur Entwicklung einer Frauenbefreiungsbewegung auch in der Metropole beiträgt, die damit anfängt, die heutigen weltpolitischen Umbrüche auch in der Metropole in eine radikal-feministische Kraft umzusetzen.

In einer Phase von Perspektivlosigkeit, nachlassendem und zersplittertem Widerstand und geballt erscheinender Übermacht des Systems, greift Resignation desto mehr um sich, je mehr wir glauben, die vielen Zuspitzungen sexistischer und rassistischer Gewalt und Ausbeutung ohne sichtbare Gegenwehr hinnehmen zu müssen.

Es liegt an uns, Teil dieser Resignation zu sein oder sie zu durchbrechen!” (S.32)

Quellenangaben:

(1) radikal Nr.153, Teil1, S.51-55
(2) Swing, autonomes rhein-main info Nr.77, ab S.49
(3) Rote Zora: Mili’s Tanz auf dem Eis, S.21
(4) Yakin Ertürk: Geschlechtsspezifische Auswirkungen staatlicher Modernisierungspolitik, in: Neusel, Ayla; Tekeli, Sirin; Akkent, Meral (Hrsg.): Aufstand im Haus der Frauen, Berlin 1991, S.172
(5) ebda., S.169
(6) ebda., S.175
(7) ebda., S.173
(8) ebda., S.174
(9) ebda., S.172
(10) Broschüre von StudentInnen, die 1992/93 an einer Delegationsreise nach Nord-West-Kurdistan teilnahmen: Freiheit für Kurdistan!
(11) Rote Zora: Mili’s Tanz, S.22
(12) ebda., S.19
(13) Köhler, Gesa; Nogga Weinell, Dorothea: Azade - vom Überleben kurdischer Frauen, Göttingen, 1984, S.?
(14) ebda., S.80
(15) ebda., S.84
(16) ebda., S.55
(17) Nükhet Sirmann: “Verhaltensstrategien von Bäuerinnen zur Stärkung ihrer Position in Ehe und Familie”, in: Aufstand im Haus der Frauen, S.263ff
(18) Rote Zora: Mili’s Tanz, S.19
(19) radikal Nr.153 ab S.28
(20) Rote Zora: Milli’s Tanz, S.4