Bewegungsle(eh)re?

Anmerkungen zur Entwicklung alternativer und linker Gegenöffentlichkeit.

Obwohl die (radikale) Linke sich permanent selbst vergewissert, welch toter Hund sie im Grunde genommen sei, will sie selbst doch nicht ganz daran glauben. Derzeit unternehmen nicht wenige disputierende Zirkel unter dem Label ‘Gegenöffentlichkeit’ einen Wiederbelebungsversuch. Doch für uns besteht der Verdacht, daß die Roßkur des medialen (Dis)Kurses von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, nachdem die Utopien abhanden gekommen sind. Die aktuellen Diskussionen zum Thema ‘Gegenöffentlichkeit’ erscheienen uns mit zwei Tendenzen eng verknüpft: dem generellen Lamento über die heutige Krise der lenken Medien einerseits und den kontrastierenden, mitunter fast euphorischen Hoffnungen auf die mit den neuen telematischen Kommunikationstechnologien (Internet) verbundenen Möglichkeiten.

Im Folgenden gehen wir zunächst der linken Version des Mythos von der ‘Informationsgesellschaft nach. Daran schließen sich zum zweiten einige Anmerkungen zur Rolle der alternativen und eigenen Medien in der ‘Blütezeit’ der sozialen Bewegungen an. Drittens versuchen wir, einige Konsequenzen für die Rekonstruktion eines politischen Projekts einer radikalen Linken zu umreißen, die sich vor dem Hintergrund der analysierten aktuellen Tendenzen im Bereich ‘Gegenöffentlichkeit’ ergeben. .


Medientheorie und Informationsfetisch

Bei der gegenwärtigen Diskussion um linke Gegenöffentlichkeit und Gegenmacht werden unseres Erachtens zwei historisch unterschiedliche linke Medienkonzepte ständig durcheinandergeworfen. In Anlehnung an Geert Lovink (Agentur Bilwet, Amsterdam) gehen wir davon aus, daß es Sinn macht, die Medien der linken Gegenöffentlichkeit hinsichtlich ihrer Funktion idealtypisch in ‘alternative’ und ‘eigene’ Medien zu unterscheiden. ‘Alternative’ Medien spiegeln sich vornehmlich an bürgerlichen Medien, indem sie beständig eine inhaltlich korrigierende und das bestehende Informationsspektrum ergänzende Aufgabe wahrnehmen.

Dabei kam den ‘alternativen’ Medien vor allem bei der Bereitstellung abweichender Lesearten sozialer und politischer Widersprüche in den 70er/80er Jahren eine wichtige Funktion für die Konstitution einer ‘liberalen’ Öffentlichkeit zu. Davon zu unterscheiden ist die Herausbildung ‘eigener’ Medien, die nicht mehr so sehr auf die Bewußtwerdung der anderen, sprich auf eine direkte Beeinflußung bis Bereicherung der allgemeinen ‘Öffentlichen Meinung’ zu setzen. Der eigentliche Unterschied zu den ‘alternativen’ Medien besteht dabei in der Art und Weise der Selbstpositionierung auf politischem Terrain, die sich nicht nur inhaltlich in explizit linken Stellungnahmen und Diskussionen äußert, sondern auch über das Aufgreifen subkultureller Themen und Codes. Auf Szenen und subkullturelle Orte bezogen stellen ‘eigene’ medien gewissermaßen Orientierungspunkte der dortigen sozialen Praxis bereit. Dabei kommt ihnen primär eine Idetitäten und Binnenkurse stabilisierende Funktion zu. Zwar bewegen sich die ‘eigenen’ Medien in einem durch Slang und Gangart ihrer subkulturellen Basis eng begrenzten Raum, doch funktioniert hier der Austausch zwischen Publikum und MacherInnen noch am besten.

Bei dieser Einschätzung der Funktionsweise linker Medien wird deutlich, daß die sozialen Beziehungsrahmen und die außermedialen politischen und kulturellen Praxen, in die sich linke Medien einordnen, für uns einen zentralen Stellenwert haben. Die Bedeutung dieses Bezuges wurde aber in den Diskussionen um linke Gegenöffentlichkeit weitgehend außer acht gelassen, solange überzogene Vorstellungen von den Möglichkeiten einer mediealen linken Intervention in die bürgerliche Öffentlichkeit dominierten. Es wurde, zugespitzt formuliert, davon ausgegangen, daß nur genug AktivistInnen an möglichst vielen Stellen Gegenöffentlichkeit herstellen müßten, wodurch dan irgendwann eien gesellschaftsverändernde Kettenreaktion ausgelöst würde. Eine Vielzahl linker Medienprojekte stellte sich aus dieser Logik die Aufgabe, die in den bürgerlichen Medien unterbliebenden Nachrichten zu verbreiten. Diese Konzeption von ‘Gegenöffentlichkeit’ bezeichnet G. Lovink als ‘Megaphonmodell’, denn sie unterstellt unausgesprochen einen kausalen Zusammenhang zwischen Information, Bewußtsein und Handeln. Dahinter steht die Vorstellung einer manipulativen Medienwirkung, derzufolge es ausreicht, im Kommunikationskanal die ‘falschen’ Ideen durch die ‘richtigen’ zu ersetzen: Wenn die Menschen nur lange genug die ‘Wahrheit’ hören, werden sie irgendwann ihre Meinung ändern und sich gegen die (sie be)herrschenden Verhältnisse wenden. Diese klassische Schaffung von Gegenöffentlichkeit kann sich auf Theoretiker wie Brecht oder Enzensberger berufen. Sie nährten im Glauben an die Wirkung von richtigen Informationen die Überzeugung, daß es genüge, wenn die Linke die Sendezentralen der Massenmedien übernehme bzw. über ausreichend starke eigene Medien verfüge, um ihren Ideen Plausibiltät und Durchschlagskraft zu verleihen. Ein derartiges medientheoretisches Konzept, das darauf abzielt, Handeln durch Informationen zu bewirken, versteht die Medien letzten Endes als Manipulationsinstrument. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, daß ein solches, auf die Ünermittlung der ‘richtigen’ Informationen fixiertes Verständnis von Medien und Medienrezeptionen zu kurz greift. Denn heute sind, nicht zuletzt durch die Existenz von Gegenöffentlichkeit, auch gesellschaftskritische Informationen jederzeit verfügbar. Sie bleiben aber folgenlos. Das deutet darauf hi, daß die Medienkonsumenten gezielt Informationen auswählen und andere ignorieren. Diese Auswahl ist srrukturiert durch das Interesse, gesellschaftliche Wirklichkeit in einer Weise wahrzunehmen, die die eigenen Selbst- und Gesellschaftskonzepte legitimiert. Es geht darum, zur Kenntnis zu nehmen, daß es ein gesellschaftliches Verhältnis gibt, das Erkenntnis vorstrukturiert. So wird umgekehrt ein Schuh daraus: Heute mangelt es in der bürgerlichen Gesellschaft nicht an Informationen, sprich an Gegenöffentlichkeit, sondern das Hauptproblem ist deren absolute Folgenlosigkeit.

In “Öffentlichkeit und Erfahrung” haben Negt/Kluge bereits 1972 darauf verwiesen, daß die Subjekte sich “die bloße Abbildung der Realität” nur dann aneignen, wenn sie zugleich wissen, wie sie aktiv die sie bedrückenden Verhältnisse verändern können: “Erst aus dieser Handlungsmöglichkeit könnte sich ihr Interesse am Realismus rekrutieren.” Das macht deutlich, daß ein umfaßender Gegenöffentlichkeitsbegriff nicht auf den mediealen Aspekt reduziert werden darf. Mediale Interventionen müssen in einem umfassenden Kontext von sozialem, politischem und kulturellem Handeln gedacht werden. (Gegen-) Öffentlichkeit ist dann mehr als Bildschirm, Radio oder Zeitung. Mediale Strategien, die allein auf den Informationsaspekt setzen und den umfassenderen Lebenszusammenhang bei der Konzipierung politischer Strategien außen vor lassen, laufen Gefahr, den medialen Bereich zu überschätzen. (Mit dieser Überschätzung von Medienwirkungen befinden sie sich übrigends in gutbürgerlicher Gesellschaft, vgl. die Diskussion um Mediengewalt.)

In diesem Zusammenhang erscheint uns ein weiterer Aspekt wichtig, der zwar genau wie Negt/Kluges Erkenntnis hinreichend bekannt ist, aber genau sowenig Folgen für die Diskussion der Strategien linker Gegenöffentlichkeit hatte: Die linken Medientheoretischen Vorstellungen in der Nachfolge Brecht/Enzensbergers setzen voraus, daß die herkömmlichen Massenmedien sich - einmal im Besitz der richtigen Leute - als ein Instrument zur demokratischen Willensbildung einsetzen lassen. Aber das ist eine Mystifikation, denn Massenmedien sind nicht demokratisch. Ihre Kommunikationsform macht einen wirklich gleichberechtigten Austausch unmöglich, denn Massenmedien beruhen auf dem Prinzip der Vervielfältigung von Informationen in nur eine Richtung, von den Produzierenden hin zu den KonsumentInnen. Außerdem reproduzieren durch die Einbahnstraße ihres Kommunikationskanals Machtpositionen. Eine Strategie von Gegenöffentlichkeit, die sich auf Massenmedien stützt, vergißt, daß Massenmedien keine Reziprozität im Sinne von Gegenseitigkeit ermöglichen, sondern einen eng gesteckten Rahmen setzen,was von wem in welcher Weise mitgeteilt werden kann und wer zum Schweigen verurteilt ist. Reversibilität (also Umkehrbarkeit des Informationsflußes, z.b. HöreInnenanrufe oder LeserInnenbriefe) ist nicht mit Reziprozität gleichzusetzen. Aufgrund dieser Nicht-Reziprozität können Massenmedien für die EmpfängerInnen allenfalls in sehr reduzierter Weise Ausgangspunkt oder Element von überden reinen Medienkonsum hinausgehenden sozialen Praxen werden (für die Macher mag das anders aussehen.

Gegenöffentlichkeit und soziale Praxis

Diese Kritik an einem verbreiteten linken Medienverständnis rückt aus unserer Sicht auch die derzeitige Krise ‘alternativer’ Medien in ein anderes Licht. Denn möglicherweise war es gar nicht so, daß linke Gegenöffentlichkeit ‘früher’ besser ‘funktionierte’. Wir denken, daß nicht die damalige Medienpraxis gur war, sondern vielmehr, daß die Stärke der sozialen Praxis die Unzulänglichkeiten der medialen, ‘inhaltlichen’ Vermittlung unsichtbar machte. Wo man glaubte, durch Aufklärung weitergekommen zu sein, war es in Wirklichkeit nicht die schlagende Brillanz der Argumente aus der Gegenöffentlichkeit, die bei vielen Leuten ein Interesse für bestimmte Themen und Sichtweisen und ein Bedürfnis nach entsrechenden Informationen hervorrief. Vielmehr war dieses Interesse Ausdruck von Veränderungen der eigenen Lebenszusammenhänge vor dem Hintergrund jener gesellschaflichen Transformationen, in deren Zuge auch die ‘neuen sozialen Bewegungen’ ihre Bedeutung gewannen. .

Etwas zugespitzt ließe sich daraus folgern, daß es nicht die linken Medien waren, die zur Ausbreitung politischer Bewegungen beitrugen, sondern daß umgekehrt die Stärke der Bewegungen vor dem Hintergrund einer spezifischen gesellschaftlichen Situation den linken Zeitungen, Zeitschriften und Radios zu einer gewissen Verbreitung verhalf. Und in dieser Leseart ist es offensichtlich, worin der Unterschied zwischen den Funktionsweisen linker Öffentlichkeit damals und heute besteht. Die Friedens-, die Anti-AKW- oder die feministischen Bewegungen boten konkrete Handlungsangebote und -zusammenhänge. Gegenöffentliche Medieninformationen gewannen vor diesem Hintergrund ihr Interesse, wurden verbreitet und rezipiert. Die Tatsache, daß Medieninformationen ohne im Rahmen einer sozialen Praxis gegebene Handlungsmöglichkeiten wirkungslos bleibt, fiel damals gar nicht weiter auf, und dies führte zu dem Trugschluß, daß Masseninformationen per se zu politischem Handeln führt.

Heute aber wird vor dem Hintergrund des Fehlens starker politischer und sozialen Bewegungen deutlich, daß zwischen Anspruch und realer Funktion von Medien der ‘Gegenöffentlichkeit’ ein Widerspruch besteht (und vielleicht schon immer bestand). Auch solche Medien, deren Anliegen es war, in die bürgerliche Öffentlichkeit zu wirken, dienten faktisch wohl doch in erster Linie eher der Vernetzung und Selbsvergewisserung innerhalb der Linken, sodaß es sich letzten Endes eher um ‘eigene’ denn ‘alternative’ Medien handelte. Solange soziale und politische bewegungen der 70er Jahre ‘intakt’ waren, fiel dieser Widerspruch zwischen Anliegen und tatsächlicher Funktion ebensowenig auf wie die Tatsache, daß Information und Ideologiekritik für sich genommen keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Nun aber unterstreicht die Entwicklung die Richtigkeit von Negt/Kluges Analyse, daß Informationen per se nichts bewirkt, wenn nicht eine soziale Praxis damit verbunden ist. Wenn aber Stellnwert und Wirkungsweise von Informationen nicht allein durch ihren Wahrheitsgehalt bestimmt sind, sondern durch den Kontext, innerhalb dessen Information rezipiert wird und die Schlüße und Handlungsweisen, die daraus abgeleitet werden, dann ist das Konzept einer Aufklärung durch Information problematisch.

Campaigning

Betrachten wir über den Tellerrand der linken Medienpraxis hinaus den Mainstream der bürgerlichen Massenmedien, so scheint es zunächst, daß ein solcher Blick unsere These “Informationen bleiben tendenziell folgenlos” widerlegt. Themen, die eigentlich in den Bereich der klassischen Gegenöffentlichkeit (Ökologie, Rüstung) gehören, wurden Gegenstand großangelegterund in ihrem selbstgesetzten Rahmen auch erfolgreicher Medienkampagnen. Auf kurzfristige Ziele bezogen, erreichten die Greenpeace-Proteste gegen das Versenken der Shell-Bohrinsel in der Nordsee sowie gegen die französischen Atomversuche auf dem Mururora-Atoll relativ große Breitenwirkung. Naja Greenpeace ...

Aber solche Aktionen, die die Funktionsweise öffentlicher Medien genau kalkulieren, um eine möglichst breite Wirkung zu erzielen, sind auch in anderen Bereichen möglich. Während kleine politische Gruppierungen seit Jahren versuchten, Solidarität mit dem politischen Gefangenen Mumia Abu Jamal zu organisieren und nur relativ bescheidene Erfolge erzielen konnten, gelang es in einer großangelegten Solidaritätskampagne wenigstens zunächst, de staatlichen Mord an Mumia zu verhindern.

Offenbar ist es also durchaus möglich, durch eine bestimmte Form der Nutzung börgerlicher Medienöffentlichkeit nicht nur gesellschaftliche Resonanz, sondern auch konkrete Erfolge zu erzielen. Bedingung für eine Mediennutzung, die wir hier als Campaigning bezeichnen, ist allerdings, sich den Funktonsmechanismen börgerlicher Medien weitgehen zu unterwerfen. Professionalisierung, Effizienz und Medienkompabilität werden hierbei zu wesentlichen Kriterien politischen Handelns. Der Medienfetisch ‘Ereignis’ bestimmt, was berichtet wird. Das Spektakel der Greenpeace-Aktionen bedient diesen Fetisch ebenso wie die Darstellung von Mumia (“Der Mann, der ein Buch aus der Todeszelle schrieb”). Der Erfolg dieser Art von Campaigning liegt nicht zuletzt darin, daß es sich auf kurzfristige, punktuelle und ‘realistische’ Interventionen beschränkt, in deren Rahmen der/dem MedienkonsumtIn konkrete Handlunganweisungen angeboten werden, an denen jedeR im Rahmen seines Alltags mitmischen kann: tankt nicht bei Shell, kauft keine französischen Produkte, schreibt an Richter Sabo. Diese Handlunganweisungen stellen aber das grundsätzliche Handeln bzw. die Lebensweise der Handelnden nicht infrage, sondern ermöglichen es den BürgerInnen, sich als kritische TeilhaberInnen am politischen Geschehen wahrzunehmen, ohne die Verfaßtheit der Gesellschaft als Ganzes zu kritisieren. Das massenmedial vermittelte gesellschaftliche Handeln erschöpft sich darin, im Einklang mit zumindest Teilen der Herrschenden in Einzelfragen zu intervenieren (Weizsäcker und Kinkel für Abu Jamal).

Losgelöst von jeder grundlegenden Gesellschaftskritik dient diese Form der Intervention hauptsächlich dem guten Gewissen aller Beteiligten. Es entsteht weniger eine soziale Praxis als eine (mediale= Simulation derselben (In demselben Sinne ließen sich vielleicht auch die Lichterketten als eine Simulation von Antirassismus interpretieren, die eine nicht existierende antirassistische Alltagspraxis ersetzte). Es soll jetzt nicht darum gehen zu behaupten, Campaigning sei per se verwerflich und diene nur der Stabilisierung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse. (Auch uns ist es lieber, daß Mumia noch lebt.) Vielleicht steckt in solchen Medienkampagnen ja doch noch ein Kern von Politisierung der KonsumentInnen. Aber: Schon aufgrund der Struktur massenmedialer Kommunikation ist mehr wohl prinzipiell nicht zu erreichen. Eine Handlungsaufforderung wie “Kauft nicht bei Shell!” läßt sich massenmedial erfolgreich vermitteln. Eine soziale Praxis, die auf grundlegendere Veränderungen der Gesellschaft abzielt, ist aber nicht in solche Anweisungen zu kleiden. Sie erfordert Diskussionen, Versuche, Mut zum Unfertigen und Unrealistischem - all das, wofür in der Einbahnstaße massenmedialer Kommunikation kein Platz ist.

Don’t believe the hype? Gegenöffentlichkeit im Internet

Wenn wir uns der Frage zuwenden, welche Chancen sich für eine linke ‘Gegenöffentlichkeit’ aus neuen technischen Entwicklungen ergeben, ist für uns das zentrale Problem nicht, welche neuen Kanäle der Informationsübermittlung sich durch freie Radios, Mailboxen und Internet allgemein bieten. Vielmehr geht es darum zu klären, wo solche Medien im sozilaen Raum positioniert sind und welche neuen (Handlungs)perspektiven sie eröffnen. Auch die Diskussion um das Internet als neuen Ort linker Medienpraxis kreisen in erster Linie um den Fetisch “Information, Information, nochmal Information und zwar für alle”. Dabei werden Diskussionen über die nun technischen Möglichkeiten von Gegnöffentlichkeit wiederholt, wie sie ähnlich z.B. auch im Zusammenhang mit freien Radios geführt wurden. Berauscht von der Tatsache eines riesigen, internationalen und deswegen kaum zensierbaren Informationsflusses bleibt die Diskussion zumindest innerhalb der Linken häufig an diesem Punkt stehen. Dabei ist auch hier zufragen, welcher Stellenwert solcher Information zukommt: “Die von der Mailbox als universelles Medium erweist sich vollends als Mythos, wenn der Austausch von Daten und politischen Informationen zum puren Selbstzweck wird, falls diese sich am Ende in politischer Praxis materialisieren. Das heißt, die Anwendung dieser neuen Technologie (für sich genommen) erreicht nichts!” (Thomas Kunz, links 3/94).

Die spannendere Frage wäre aber aus unserer Sicht, was von Vorstellungen zu halten ist, die das Internet auch und gerade als potentiellen Ort neuer sozialen Praxen verstehen. Es darf nicht übersehen werden, daß sich das Internet von traditionellen Medien insofern wesentlich unterscheidet, als es die Möglichkeit einer reziproken und interaktiven Kommunikation bietet. Besteht die Aussicht, sich in diesem Rahmen selbstbestimmte Orte zu schaffen, ‘temporäre autnome Zonen’ (Hakim Bey), in denen die gesellschaftlichen Regeln zumindest zeitweise außer Kraft gesetzt (bzw. noch gar nicht verbindlich formuliert) sind? Und wenn ja, welche Auswirkung hat das auf die soziale Existenz außerhalb der Netze?

Die Kritik an solchen Vorstellungen wird häufig von einer Position aus formuliert, die offen oder implizit die’authentischen’ Formen von Kommunikation, Interaktion und sozialer Praxis in der ‘wirklichen’ Welt der Scheinwelt des Cyberspace gegenüberstellt. Uns erscheint eine solche unterschwellig naturalisierende Gegenüberstellung und Bewertung von Formen menschlicher Praxis fragwürdig. Vielleicht bietet gerade die reduzierte und ‘unauthentische’ Form der Kommunikation im Netz die Chance, dort bestehende soziale Identitäten zumindest teilweise außer Kraft zu setzten. Bei der Beurteilung, welche tatsächlichen Möglichkeiten sich hier bieten, ist unkritische Begeisterung ebenso unangebracht, wie vorschnelle Ablehnung. Viele Fragen, die sich uns aufdrängen, sind aus anderen Zusammenhängen wohlbekannt: Wer sind die Akteure im Internet (90% männliche weiße MetropolenmittelschichtsbürgerInnen, genau wie in der Linken ...)? Wie lange wird es dauern, bis die bestehenden Spielräume im Netz juristisch und polizeilich domestiziert sind? Inwieweit besteht die Gefahr, einmal mehr die Funktion der Avantgarde im kapitalistischen Modernisierungsprozeß zu übernehmen, deren Praxen dann in kommerzialisierter und entschärfter Form in den gesellschaftlichen Mainstream eingehen? Wesentlich erscheint uns auf jeden Fall, sich bei der Diskussion nicht selbst in den Cyberspace zu katapultieren, sondern das Verhältnis Cyber-Netzkommunikation und Kommunikation im ‘realen’ Echtzeitleben im Auge zu behalten. Sonst laufen wir stets Gefahr, allzu technologiezentriert zu diskutieren oder gar dem Mythos der ‘Informationsgesellschaft’ aufzusitzen. .

Vorwärts und viel vergessen”

Es bleibt zum Schluß die Frage, was aus unseren Überlegungen für die llinke Medienpraxis folgt. Das Hauptziel derzeitiger linker Politik müßte unseres Erachtens sein, Alternativen über die Natur gesellschaftlicher Beziehungen gegenüber dem bestehenden hegemonialen Konsens wieder denkbar zu machen, wobei es notwendig ist, die Modalitäten der Herstellung dieses Konsens in Rechnung zu stellen.

Ungeachtet der Verschärfung von Klassengegensätzen vollzieht sich gleichzitig eine Ausdifferenzierung von Lebensstilen und deren Repräsentation in der bürgerlichen Öffentlichkeit. Das hat zur Folge, daß, was sich früher als klar umrissener hegemonialer Diskurs ausmachen ließ, heutzutage immer schwerer zuordenbar ist. Das liegt unter anderem auch daran, daß sich dieser Diskurs in erster Linie nicht mehr um Bestimmte Inhalte dreht, sondern zugleich in der Form ihrer Repräsentation aufgeht. Damit geht ein Eindringen in das Themenfeld alternativer Medien einher, deren Form absorbiert und deren Inhalte neutralisiert werden (So, wenn die in den ‘alternativen’ Medien entwickelten innovativen kulturellen Servicefunktionen mittlerweile die ökonomische Grundlage von Stadtmagazinen a la Prinz geworden sind).

Aufgrund des mit dieser Entwicklung einhergehenden Funktionsverlusts sehen sich die Medien der ‘Gegenöffentlichkeit’ auf die Rolle von Fanzines zurückgeworfen, die sich nur noch an eine relativ kleine soziale Gruppe wenden.

Als solche sind sie allerdings keinesfalls funktionslos. Linke Medien können nach wie vor einen Ausgangspunkt bilden, um bestimmte Informationen in eine (auch bürgerliche) Öffentlichkeit zu tragen und dort Momente einer Delegitimierung der herrschenden Ordnung zu bewirken; derartige Informationen sind nicht deshalb unnötig, weil sie nicht zwangsläufig zu gesellschaftsverändernden Handeln föhren. Es gilt aber, die Beschränktheit einer solchen Funktion von Medien zu reflektieren und um Möglichkeiten und Spielräume sozialen Handelns zu ringen (catchen? boxen? aikido?). Eine gesellschaftsverändernde soziale Praxis bedarf der Utopie von einer anderen Gesellschaft. Doch ein solches Projekt darf nicht als hauptsächlich medial erreichbares gedacht werden. Gesellschaftliche Veränderung beginnt auch und in erster Linie im sozialen Alltag der Subjekte. Die Utopie einer anderen Gesellschaft läßt sich nicht in Buchstaben, sondern allenfalls in kulturellen Formen artikulieren, nicht als fertiger Text, sondern stets fragmentiert und unvollständig. Und in einem solchen Kontexthaben die linken Medien einen wichtigen Platz, auch wenn derselbe den MacherInnen (welche bekanntlich gerne große und weitreichende Gedanken formulieren) nicht behagen mag: Als Fanzines einer Subkultur sind linke Medien unverzichtbar.

Gemessen an alten Illusionen mag das wenig sein. Mehr als nichts ist es allemal.

Aus dem Internet von der autonomen a.f.r.i.k.a.-Gruppe